Eigentlich ganz schnuckelig

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Weiden, Pferde und alte Bauernhöfe sind charakteristisch für den Doppelort.

Weiden, Pferde und alte Bauernhöfe sind charakteristisch für den Doppelort.

Obwohl der Verkehr nervt, finden viele Lipp und Millendorf sehr liebenswert.

Bedburg-Lipp-Millendorf - Es gibt keine Disco in Lipp oder in Millendorf, auch ein Kino oder einen Supermarkt sucht man hier vergeblich. Trotzdem fühlen sich die meisten Menschen wohl in dem kleinen Doppelort. „Ja, eigentlich schon“, meint die 17-jährige Jennifer Bartels und schwärmt: „Schließlich gibt es hier schöne Wege zum Ausreiten.“ Auch Nataly Iserhardt mag ihre Heimat. „Die Leute sind freundlich und grüßen auf der Straße, das ist doch sehr angenehm“, sagt die Mutter zweier Kinder. Alleine eines fehle: „Wenn es einen Kiosk geben würde, könnte man wenigstens das Nötigste kaufen.“

Der Ort leidet darunter, dass es keine Schule mehr gibt. Die Kinder werden schon seit vielen Jahren in Bedburg oder Kaster unterrichtet, und das hat Folgen. Denn dort treffen sie auf Klassenkameraden, die Mitglied in Bedburger oder Kasterer Vereinen sind und melden sich dann ebenfalls dort an. „Das Lipper Vereinsleben findet deshalb leider weitgehend in anderen Ortsteilen statt“, beklagt der stellvertretende Bedburger Bürgermeister Helmut Breuer, der schon seit vielen Jahren in Millendorf wohnt.

Kathrin Becker und ihre beiden Töchter Anna und Julia fühlen sich dennoch wohl. „Hier gibt es einen schönen Martinszug, gut wäre, wenn hier noch ein großer Spielplatz mit modernen Geräten angelegt würde.“ Und dann hätte sie noch einen Wunsch, der sich wohl eher nicht erfüllen lassen wird. „Statt der vielen Felder müsste es hier Wald geben“, sagt sie lachend mit den Kindern auf dem Arm.

Sorgen machen sich einige Lipper und Millendorfer um die Zukunft der wenigen Vereine. Weil die Stadt sparen muss, will sie sich vom Lipper Fußballplatz trennen. Dementsprechend sauer sind die Verantwortlichen vom Fußballverein „Rot-Weiß Lipp“. „Wir sind gerade dabei, neue Mannschaften aufzubauen“, sagt Geschäftsführer Josef Pfeifer. „Ohne eigenen Platz werden wir keine Chance haben“, erklärt er verständnislos. „Schlimm ist, dass sich die Stadt wohl auch noch von der ehemaligen Schule trennen will“, moniert Hans Bläser. „Wo sollen die Vereine proben, wenn ihnen die Räumlichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen?“, fragt der Rentner sorgenvoll. Die Karnevalisten der KG „Kleine Lipper“ proben dort und wissen nicht, wohin sie ausweichen könnten. Doch Vorsitzender Willy Beuth setzt auf eine Zusage von Bürgermeister Gunnar Koerdt. „Er hat uns versprochen, im Falle des Verkaufs für Ersatzräume zu sorgen“, sagt er und will die Hoffnung nicht aufgeben.

Kölsche Messe

Doch längst nicht alle Vereine im Ort haben Sorgen. So ist Pfarrer Christian Hermanns mit den Aktivitäten der 1600 katholischen Christen zufrieden. „Wir haben derzeit mehr als 50 Messdiener, eine positive Zahl.“ Erfreut ist er auch über die Situation des Familienchores: „Bei uns singen 60 Sänger im Alter von drei bis 75 Jahren, das ist eine tolle Sache“, sagt auch Chorleiter Thomas Marx erfreut.

Dabei gibt es den Chor noch gar nicht lange, „zum ersten Mal getroffen haben wir uns im Sommer des Jahres 2004“. Heute ist der Chor aus dem Gemeindeleben nicht mehr wegzudenken. Die Chorleute veranstalten Jugendmessen, für Januar planen sie zusammen mit der Lipper Karnevalsgesellschaft eine Kölsche Messe. Für Kinder und Jugendliche ist in Lipp oder Millendorf ansonsten nicht viel los. Dennoch gibt es mit der Freiwilligen Feuerwehr ein Angebot, dass derzeit immerhin von 15 Zehn- bis 17-Jährigen angenommen wird. „Die feuerwehrspezifischen Dinge stehen auch nicht im Vordergrund, eher schon das Freizeitangebot“, erklärt Jugendwart Stefan Heffels im Besprechungszimmer der Feuerwache. Er und seine Jugendlichen treiben viel Sport, unternehmen Fahrradrallyes oder treffen sich zu Spielabenden. „Außerdem gehen wir schwimmen oder fahren ins Phantasialand“, sagt der 13-jährige Eric Steinhäuser, der mit Sarah Blank einer der Jugendsprecher ist.

Trotz des im Vordergrund stehenden Freizeitaspektes freut sich Löschzugführer Jürgen Pautz über jeden Jugendlichen, der später aktives Mitglied im Löschzug wird. Von den derzeit 35 Aktiven kommen dann auch immerhin zwölf aus der eigenen Jugend. Wer einmal bei der Jugendwehr vorbeischauen möchte, ist dienstags, 17.45 Uhr, im Gerätehaus willkommen.

Der nicht ortskundige Besucher von Lipp oder Millendorf dürfte rasch ins Schwärmen geraten, denn die Orte haben zahlreiche malerische Ecken. Auf vielen Wiesen weiden Pferde, einige alte Bauernhöfe besonders in Millendorf sorgen für eine urige Atmosphäre. Auf einem dieser großen Anwesen, dem Offermanns-Hof, lebt seit 1985 die Malerin Margret Offermanns. Sie malt seit neun Jahren und stellt seit acht Jahren aus. Ihre Bilder sind zu sehen in ihrer Hof-Galerie, die sie seit dem Jahr 2003 betreibt.

Derzeit ist die Künstlerin dabei, Lipp-Millendorf über die Grenzen hinaus bekannt zu machen. Die von ihr organisierte Ausstellung „Bedburger LandART“ aus dem Jahr 2005 war ein Erfolg. Damals tummelten sich hunderte Kunstinteressierte auf ihrem Hof, dazu gab's Wein vom Winzer und Live-Musik. Derzeit verbringt sie viel Zeit in ihrem Arbeitszimmer, denn zwischen Pinseln und Farbtöpfen fühlt sie sich besonders wohl: „Mein Plan ist, eine solche Ausstellung künftig alle zwei Jahre zu veranstalten.“ Die zweite Ausstellung dieser Art soll noch größer werden. Die Zahl der Aussteller zumindest soll auf mindestens 20 verdoppelt werden. Beeindruckend wird auch wieder die Zahl der geladenen Gäste sein. „Es dürften mehr als 3000 werden“, kündigt Margret Offermanns an.

Trotz der ländlichen Atmosphäre plagt die 2500 Einwohner ein gemeinsamer Missstand. „Der Verkehr auf der Erkelenzer Straße ist ein wirklich riesiges Problem“, sagt Helmut Breuer mit einem empörten Kopfschütteln. In der Tat: Besonders die Ortsdurchfahrt von Millendorf ist derart eng, dass zwei entgegenkommende Fahrzeuge kaum aneinander vorbeifahren können. „Millendorf ist leider zu einem beliebten Zubringer für die Autobahn 61 geworden“, klagen Breuer und Landwirt Jürgen Kühl vom Ivenhof. „Es gab schon Proteste, die haben aber nichts gebracht.“ Dennoch gibt es eine Idee, wie das Problem zumindest für Millendorf gelöst werden könnte. Der Plan lautet, die Millendorfer Straße übers Feld direkt auf die Landstraße 213 zu führen, denn genau dort befinden sich die Auffahrten auf die A 61. Die veränderte Verkehrsführung hätte zur Folge, dass Millendorf vom Zubringerverkehr Richtung Autobahn komplett entlastet wäre.

Auch Hans Bläser und sein Bekannter Heinrich Dreikhausen wünschen sich dringend eine Entschärfung der Situation auf der Erkelenzer Straße. „Dort wird gerast, keiner hält sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung, es ist eine Katastrophe“, sagen beide entnervt.

Vieles ist schön in Lipp und Millendorf, vieles gibt es aber auch noch zu tun. Dennoch würden die meisten hier wohl Kathrin Beckers Einschätzung teilen: „Eigentlich ist es doch ganz schnuckelig hier“, sagt sie lachend, bevor sie mit ihren beiden Töchtern von dannen zieht.

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