„Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück gehabt“

Lesezeit 5 Minuten
Allgegenwärtig ist das Klingeln des Handys in Wolfgang Overaths Büro. Der Geschäftsmann organisiert und führt sein Unternehmen „freihändig“, ohne Angestellte. Neben ihm an der Wand ein Bild seines Sohnes Sascha. BILD: BE

Allgegenwärtig ist das Klingeln des Handys in Wolfgang Overaths Büro. Der Geschäftsmann organisiert und führt sein Unternehmen „freihändig“, ohne Angestellte. Neben ihm an der Wand ein Bild seines Sohnes Sascha. BILD: BE

Das Gespräch mit dem Star drehte sich einmal nicht um Fußball.

Siegburg - Es bleiben noch ein paar Minuten bis zum verabredeten Besuchstermin. Aus Wolfgang Overaths Troisdorfer Büro dringen Stimmen hinaus in den geräumigen Flurbereich, der freilich vollgestellt ist mit Allwetter-Bekleidung für den sportiven Menschen. Für den Hersteller mit den drei Streifen hat der Ausnahmefußballer als Repräsentant seinen Ruf eingesetzt, seit er 1977 aufgehört hat mit dem genialischen Pass-Spiel im Trikot des 1. FC Köln.

Kinderlachen ist zu hören und der Gastgeber, der einen Scherz gemacht hat zum Abschied. Die Tür geht auf, und heraus tritt eine fünfköpfige, erkennbar freudige Familie, deren jüngstes Mitglied in der Baby-Tragetasche liegt. „So machen wir's“, ruft Wolfgang Overath noch hinterher. Der Geschäftsmann baut und verwaltet Häuser, Sozialwohnungen. Man darf erahnen, was die Familie gerade glücklich gemacht hat.

Das Büro eines Millionärs stellt sich einer anders als jenes vor, das sich in dem Zweckbau an der Meindorfer Straße zeigt: Es ist so schmal, dass sich auch der Schreibtisch am Fenster in die Länge ziehen muss. Die hintere Wandfront füllt ein Gemälde des 1971 geborenen Sohnes Sascha, Absolvent der Düsseldorfer Kunstakademie, Meisterschüler von Markus Lüpertz. Der zwei Jahre ältere Bruder Marco ist Kaufmann wie sein Vater. Töchterchen Silvana, die gerade elf ist, wird an diesem Gesprächsnachmittag in ihrem Zimmer in Seligenthal sitzen und Hausaufgaben machen.

Beim Griff zur Kaffeetasse fällt der Blick zufällig auf einen Bilderstapel. Da ist zu sehen der Spieler Overath in sehr kurzen, heute untragbaren Fußballer-Hosen, aber mit beachtenswert langen Haaren. Eine Kopf-Tracht, die unsereins in den 70-er Jahren Matte genannt hat. Die trägt Wolfgang Overath natürlich nicht mehr.

Er hat ein blaukariertes Hemd an und blaue Jeans. Er fläzt sich in einen schwarzen Drehsessel aus Leder und hängt das rechte Bein über die Lehne. Nicht eine verräterische Falte über dem Hosenbund. Das Sportmagazin „kicker“ hatte - das war vor zehn Jahren - geschrieben: „Würde er mit den Kölner Profis aus dem Kabinengang kommen, dann könnte man ihn fast für einen der ihren halten“. Der Satz hat Bestand. Der Mann wird heute 60. Er ist austrainiert wie eh und je, rank und schlank. Es begegnet dem Besucher zudem ein Mensch, der eine tiefe Zufriedenheit ausstrahlt. Und der Jüngste von acht Kindern, in Siegburg geboren, in bescheidenen Verhältnissen dort aufgewachsen, bilanziert sein bisheriges Leben knapp und ehrlich: „Ich stehe auf der Sonnenseite und dafür bin ich sehr dankbar.“

Wolfgang Overath hat viel Geld verdient. Schon zu seiner Profizeit übernahm er die Generalagentur einer Versicherung, später dazu die Gebiets-Generalvertretung des Sportartikel-Herstellers adidas. Der Einstieg in die Immobilien-Branche komplettierte den Geschäftsgang. Der Fußballweltmeister hat den Globus umreist, hätte nach Abschluss seiner Kicker-Karriere neben Pele in der amerikanischen Soccer-Liga spielen können (wogegen Ehefrau Karin erfolgreich Protest einlegte). Familie, Fußball, Geschäft. Wolfgang Overath sagt: „Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück gehabt, und mir ist es immer gut gegangen.“

Was so vordergründig nach satter Selbstzufriedenheit riecht, ist aber in Wahrheit die Antwort auf die Frage, warum Wolfgang Overath derart verdienstvoll den Armen und Schwachen in dieser Gesellschaft eine Bresche schlägt. „Ich will von meinem Glück etwas zurückgeben“, sagt er. Das tut Overath nun schon seit Jahren zugunsten des Katholischen Vereins für soziale Dienste (SKM) in Siegburg.

Es ist dies ein bemerkenswertes und geldwertes Engagement, das sich im so genannten Overath-Fonds manifestiert, welcher das soziale Netz, das allgemein immer großmaschiger wird, im SKM-Beritt wieder enger knüpft. Die Mittel aus dem Fonds ermöglichen es dem SKM, sofort und unbürokratisch zu helfen, wenn zum Beispiel einer Familie kurz vor Weihnachten der Strom abgestellt wird, wenn die von ihrem Mann verlassene Frau mit ihren Kindern vor dem Wochenende nichts mehr zu essen hat. Leider, sagt Clemens Bruch, der Vorsitzende des SKM, werden die Gründe für den Einsatz von Fonds-Mittel immer zahlreicher, und natürlich wird die Zahl der Menschen größer, die diese Mittel benötigen. Und Bruch weiß deshalb: „Ohne den Wolfgang könnten wir das hier alles nicht bewältigen“.

Der will nicht, dass man auf ihn mit dem Finger zeigt, auf den großen Wohltäter, als der er sich nicht fühlt. Er empfindet seinen Einsatz als selbstverständlich, nicht geeignet dafür, dass er in der Öffentlichkeit breit getreten wird. Der Zwiespalt ergibt sich, weil er doch möchte, dass sich Nachahmer finden, Menschen, die ihr soziales Gewissen nicht mit dem Schließen des Kirchenportals ablegen. Am 21. Dezember, am vierten Advent, gibt es im Siegburger Servatiushaus die nunmehr neunte Weihnachtsfeier für die Menschen auf der Schattenseite. Und wieder wird Wolfgang Overath seinen weitläufigen Bekanntenkreis ermutigen, die Geschenkkisten zu füllen, Geld springen zu lassen. Bislang hat das immer gereicht, über ein Jahr lang die notwendigsten Hilfeleistungen bewerkstelligen zu können.

Etwas zurückgeben vom Lebensglück wollten die Overaths auch, als sie - die beiden Söhne waren erwachsen - 1992 ein damals fünf Wochen altes Baby aus Brasilien, Silvana Marcina, adoptierten. Allerdings ist das Zurückgeben nicht gelungen. Vielmehr hat sich das Glück noch einmal vervielfältigt. Wolfgang Overath ignoriert ausnahmsweise einmal die immerfort klingelnden Telefone. „Die Kleine“, sagt er mit glänzenden Augen, „war ein Geschenk des Himmels“.

Und dann spricht er von seiner Sorge, dass so viele junge Menschen aus dieser Gesellschaft herausfallen, ohne Perspektiven bleiben werden. Er sieht eine immer tiefer werdende Kluft zwischen Menschen, die alles besitzen, und Menschen, die vor dem Nichts stehen. „Der Mittelstand“, analysiert er, „der früher manche soziale Verbiegung begradigt hat, wird immer dünner.“

Der Mann ist nicht sonderlich zum Feiern aufgelegt. Er ist vereist. Seinen 50. Geburtstag hatte er noch mit 500 Leuten im Fantasialand zelebriert. Damals hatte er mit seinem Alter kein Problem, jetzt hat er das schon, gesteht er. Er empfindet die 60 als Schwelle, an der er zu knabbern hat.

Mal wieder klingelt eines der Handys. „Wie, die können nicht?“, bellt er im schönsten siegburgisch hinein. „Dann spielen wir eben drei gegen drei, ich muss mal wieder trainieren.“ Und zwar im Schatten des Michaelsbergs in der Stadt, die ihn auch schon als Prinz im Karneval sah, die er wie keine andere liebt, in der er verwurzelt und in der er „der Wolfgang“ geblieben ist.

KStA abonnieren