Kreis EuskirchenAufbau von Psychologen-Netzwerk für geflüchtete Ukrainer

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Oksana Kredentser und Frank C. Waldschmidt stellten das Projekt vor.

Oksana Kredentser und Frank C. Waldschmidt stellten das Projekt vor.

Kreis Euskirchen – Ein Krieg hat immer schwerwiegende psychologische Folgen für die Menschen, die davon betroffen sind. Auch jene, die vor Bomben und Bedrohung fliehen konnten, spüren die vermeintliche Sicherheit in der neuen Umgebung oft nicht. So leiden auch viele Ukrainer, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, an vielfältigen Stresssymptomen, Ängsten, Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit. Insbesondere betroffen davon sind Kinder und Jugendliche.

Angstlinderung und Stabilisierung

Das Projekt stößt bereits auf reges Interesse und Anerkennung. Andere Städte lassen sich von Frank C. Waldschmidt und Oxana Kredentser beraten. Dr. Sophie von Preysing, Regional- und Landesgeschäftsführerin der Malteser in NRW, spricht davon, dass die Malteser im Kreis Euskirchen „jetzt schon einen zweiten landesweit strahlenden Leuchtturm mit ihrer Expertise rund um psychosoziale Unterstützungsleistungen setzen können“.

Die im Projekt vernetzten Psychologen helfen Betroffenen, Spannungen und Ängste zu lindern, sich zu stabilisieren und Selbsthilfetechniken zu erlernen. Gespräche finden in Online-Meetings oder persönlich statt. Infos über die Angebote des Unterstützungsnetzwerks gibt es in der Facebook-Gruppe oder per E-Mail. (hn)

www.facebook.com/psychology.ukraine.deutchland

oksana.kredentser@malteser.org

Auch Dr. Oksana Kredentser hat es geschafft, mit ihrer Familie die Heimat zu verlassen. In der Ukraine zurückgeblieben ist nur ihr Vater. Die Professorin, die am Psychologischen Institut der Nationalen Wadym-Hetman-Wirtschaftsuniversität in Kiew forscht und lehrt, war in einer Flüchtlingsunterkunft in Aachen untergebracht. Dort kam sie zufällig mit Sergej Klimov ins Gespräch kam. „Der stellvertretenden Leiter des Malteser-Bildungszentrums Euregio hat mittlerweile über 70 ukrainischen Familien Wohnungen außerhalb der Flüchtlingsunterkunft besorgt“, erzählt Frank C. Waldschmidt, Mitglied des Malteser-Koordinierungsstabes „Ukraine“ auf Landesebene.

Kultursensibel und muttersprachlich

Und so kam der Stein ins Rollen, aus dem sich zwischenzeitlich ein vielversprechendes Projekt entwickelt hat, das sich die kurz-, mittel- und langfristige psychosoziale Unterstützung (PSU) ukrainischer Menschen auf die Fahnen schreibt.

Für Familie Kredentser wurde eine Wohnung in Schleiden gefunden. Und es dauerte nicht lange, bis der Kontakt zu Frank C. Waldschmidt hergestellt war. Ein Match sozusagen: Der PSU-Experte der Malteser und die Psychologie-Professorin ersonnen die Idee, ein ukrainisch-deutsches Psychologen-Netzwerk aufzubauen, das sich um die seelische Gesundheit der Geflüchteten kümmert. Kultursensibel und muttersprachlich, wie Waldschmidt erklärt, denn allein dieser Hintergrund würde Betroffenen enorme Sicherheit bieten.

Ukrainer wesentlich onlineaffiner

Zunächst habe man die Idee gehabt, Oksana Kredentser eine Anstellung bei den Maltesern zu geben, erzählt Waldschmidt. Das aber sei für die Kiewerin nicht infrage gekommen, schließlich habe sie einen Job, den sie zum Teil auch online fortführen könne. So hält die Professorin nach wie vor Vorlesungen – per Zoom eben. „Wir haben schnell mitbekommen, dass die Ukrainer wesentlich onlineaffiner sind als wir“, schmunzelt Waldschmidt.

Um den Auf- und Ausbau eines ukrainisch-deutschen Psychologennetzwerks voranzutreiben, setzten sich Ende April Frank C. Waldschmidt, Dr. Sophie von Preysing, Regional- und Landesgeschäftsführerin der Malteser in NRW, Lisa Schönmeier von Malteser International, Oksana Kredentser und Prof. Ludmilla Karamushka, Vize-Direktorin des Institutes für Psychologie in Kiew und Präsidentin der Ukrainian Association of Organizational and Work Psychologists, zusammen – online versteht sich.

„Die Konferenz war wahnsinnig interessant“, so Waldschmidt, „aber auch gespenstisch, denn im Hintergrund konnten wir Sirenen hören, die Luftalarm ausgelöst haben.“ Der Krieg in der Ukraine sowie die Belastung für die Menschen vor Ort seien auf einmal „ganz nahe und förmlich spürbar“ gewesen.

Netzwerk wächst täglich

Gesprochen wurde auch über mögliche Synergien und Pläne für künftige Kooperationen, „zum Beispiel Fortbildungen für ukrainische Psychologen zum Thema Psychotrauma und Criticial-Incident-Stress-Management“, so Waldschmidt. Aber auch über die mögliche Begleitung Betroffener nach dem Krieg – denn die psychische Belastung wird weiter hoch sein, auch wenn eines Tages keine Bomben mehr fallen.

Mittlerweile sind einige Wochen ins Land gezogen, und das Netzwerk wächst nahezu täglich. Fünf Psychologen, die nach Deutschland geflüchtet sind, sowie fünf Psychologen in der Ukraine bieten online und in Präsenz Gesprächskreise, Selbsthilfeanleitungen, psychologische Unterstützungsgruppen für Frauen außerhalb der Ukraine und vieles mehr.

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Oksana Kredentser fährt auch in Flüchtlingsheime, um dort therapeutische Gesprächsangebote zu machen. Angebote gibt es auch für Helfende und Übersetzer, die oftmals mit stark belastenden Geschichten konfrontiert werden. Auf einer eigens eingerichteten Facebook-Seite gibt es zudem Informationen für ukrainische Landsleute darüber, was sie für die eigene seelische Stabilisierung oder die ihrer Kinder tun können.

„Viele geflüchtete Landsleute haben große psychische Probleme“, weiß Kredentser. Manche würden denken, dass diese einfach wieder verschwinden, sobald sie nach Hause zurückkehren, was tatsächlich viele dazu treibt, den Heimweg trotz des Krieges anzutreten. „Aber die Probleme bleiben. Ein Trauma bleibt lange im Herz und im Kopf“, sagt Kredentser.

Wie wichtig und stärkend der Kontakt zur eigenen Kultur ist, konnte Familie Kredentser kürzlich hautnah selber spüren. Gemeinsam war sie beim Freundschaftsspiel der ukrainischen Nationalmannschaft gegen Borussia Mönchengladbach: „Für zwei Stunden war ich zu Hause, in der Ukraine, unter meinen Herzensmenschen“, berichtet Oksana Kredentser. Der gesamte Borussia-Park sei in ein gelb-blaues Farbenmeer getaucht gewesen, lauthals wurden ukrainische Lieder gesungen. „Und alle waren eins.“

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