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Neues KonzeptIm Kreis Euskirchen werden aus Schulbegleitungen nun oft Klassenassistenten

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Das Bild zeigt von hinten aufgenommen eine Situation im Unterricht an der Gesamtschule Weilerswist.

In den Schulen im Kreis Euskirchen haben aktuell 483 Schüler Anspruch auf eine Schulbegleitung.

Der Kreis Euskirchen erprobt ein neues Klassenassistenzmodell: mehr Teilhabe für Kinder, weniger Stigmatisierung – und langfristig geringere Kosten.

Der Kreis Euskirchen geht neue Wege in der schulischen Unterstützung von Kindern mit besonderem Förderbedarf. Statt auf individuelle Integrationshilfen – also die klassische Eins-zu-eins-Betreuung einzelner Schülerinnen und Schüler – setzt der Kreis nun auf ein sogenanntes Klassenassistenzmodell.

Ziel ist es, die Teilhabe von Kindern mit Unterstützungsbedarf zu verbessern, Stigmatisierung zu vermeiden und gleichzeitig die stetig steigenden Kosten im Bereich der Schulbegleitung zu dämpfen. Bis diese Wirkung erzielt wird, dauert es nach Angaben von Dagmar Geschwind, Leiterin des Geschäftsbereichs Jugend, Bildung und Integration, jedoch noch etwas. Das neue Modell sei aktuell ein „Add-on“, also ein zusätzlicher Kostenfaktor neben den bereits hohen Ausgaben für die Integrationshilfen.

Modell soll langfristig die Kosten senken, kostet aber erstmal mehr

Dabei war eigentlich von der Kreispolitik die Vorgabe gemacht worden, Kosten einzusparen, um die Kreisumlage zu senken. Im Haushalt wurden sogar eine Million Euro weniger veranschlagt. Wie Geschwind im Gespräch mit dieser Zeitung berichtet, könne man sich von diesem Vorhaben schon jetzt verabschieden. „Wir haben von Anfang an gesagt, dass das Modell ‚Klassenassistenz‘ zunächst kein Sparmodell ist. Die Budgetkürzung ist nicht zu halten, weil der Anspruch auf Integrationshilfe ein Rechtsanspruch ist, der einklagbar ist. Wir werden eine Budgetüberschreitung haben, die politisch abgesegnet werden muss, aber nicht vermeidbar sein wird“, so Geschwind.

Problematisch sei zudem, dass das Land NRW die sogenannte Inklusionspauschale in Höhe von rund 730.000 Euro künftig streichen wolle, so die Expertin: „Das ist bitter, denn eigentlich übernehmen wir hier eine Aufgabe, die gar nicht unsere wäre.“

Schulen sollen flexibel und präventiv reagieren können

Doch was ist das Modell überhaupt, das Nachbarkreise und Kommunen wie Düren oder Brühl bereits umsetzen? Die Idee: Mit Klassenassistenzen sollen Schulen flexibler und präventiver auf Herausforderungen reagieren können. Wenn ein Kind beispielsweise eine schwierige Phase durchmacht – etwa nach einer familiären Krise –, kann kurzfristig eine Assistenzkraft in die betroffene Klasse geschickt werden.

So sollen Probleme früh abgefangen werden, bevor sie größer werden. „Es geht darum, Teilhabe zu sichern, nicht Unterrichtsinhalte zu vermitteln“, betont Birgit Wolber, die beim Kreis das Modell von Beginn an begleitet hat. Die Klassenassistenzen unterstützen Kinder beim konzentrierten Mitmachen, beim sozialen Miteinander oder bei der Organisation des Schulalltags – sie ersetzen keine Lehrkräfte und machen die Kinder auch nicht auf Rechtschreib- oder Rechenfehler aufmerksam.

Das Projekt ist keine Jugendhilfemaßnahme, sondern ein Angebot zur Verbesserung der Teilhabe von Schülerinnen und Schülern.
Birigit Wolber, Kreis Euskirchen

„Das Projekt ist keine Jugendhilfemaßnahme, sondern ein Angebot zur Verbesserung der Teilhabe von Schülerinnen und Schülern“, erklärt die Projektleiterin. Anders als bisher richte sich die Hilfe nicht an einzelne Kinder, sondern an ganze Klassenverbände. Das ermögliche, so Wolber, „wegzukommen von der gefühlten Eins-zu-eins-Betreuung“, bei der inzwischen fast so viele Erwachsene wie Kinder im Klassenraum säßen.

Ein Beispiel: An der Matthias-Hagen-Schule in Kuchenheim werden nach Angaben des Kreises, der auch Träger der Förderschule ist, rund 205 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Elf von ihnen haben eine Schulbegleitung und werden diese auch behalten. In diesen elf Fällen ändert sich an der Eins-zu-eins-Betreuung nichts. Bei 25 Schülern, die ebenfalls einen Anspruch auf eine Schulbegleitung haben, aber schon. Sie sind nun Teil des neuen Modells und werden seit wenigen Tagen von 16 Klassenassistentinnen und -assistenten betreut. Wie diese Assistenzen aufgeteilt, in welchen Klassen und in welchem Unterricht sie eingesetzt werden, wird in Absprache mit einer eigens eingestellten Koordinierungskraft und der Schule erarbeitet. Ganz individuell für jeden Schüler und doch gemeinsam.

Neben der Matthias-Hagen-Schule in Kuchenheim sind auch die Grundschulen Mechernich, Kommern, Satzvey, Kall und Lückerath Teil des neuen Konzepts, wobei Mechernich/Kommern und Satzvey/Kall/Lückerath jeweils einen Klassenassistenz-Grundschulverbund bilden. Hinzu kommt die bereits erwähnte Matthias-Hagen-Schule. Alle drei Verbünde werden laut Kreis von jeweils einem Träger mit Klassenassistenzen und einer Koordinierungsstelle versorgt.

Laut Geschwind wurde Wert darauf gelegt, dass es drei unterschiedliche Träger sind. „Wir wollen und müssen Erfahrungen sammeln“, so die Geschäftsbereichsleiterin. Wie die Träger ihre Mitarbeitenden an den jeweiligen Schulen einsetzen, sei in einem sogenannten schulscharfen Konzept zwischen Träger und Schule ausgearbeitet worden. Da mische sich der Kreis nicht ein. Am Verbund Mechernich/Kommern sind weiterhin zehn Schulbegleitungen im Einsatz, 31 Schüler werden in der Klassenassistenz betreut. In Satzvey, Kall/Lückerath sind 25 Schüler in der Klassenassistenz, elf erhalten weiter eine Schulbegleitung.

Einige Eltern verstehen Schulbegleitung als eine Art Nachhilfe, was sie aber nie war.
Birgit Wolber, Kreis Euskirchen

Die Schulen seien gezielt ausgewählt worden. „Wir wollten Einrichtungen, die offen für Neues sind und Lust haben, das Konzept aktiv mitzugestalten“, sagt Wolber. Ein wichtiges Kriterium sei gewesen, Schulen zu finden, die bereits mehrere Schulbegleitungen haben – damit sich das Pool-Modell überhaupt lohne. Dass Veränderungen im Schulalltag nicht ohne Skepsis bleiben, weiß das Projektteam. Viele Eltern hätten Sorge gehabt, dass ihr Kind künftig weniger Unterstützung bekomme.

„Einige Eltern verstehen Schulbegleitung als eine Art Nachhilfe, was sie aber nie war“, so Wolber. In Informationsveranstaltungen wurde erklärt, dass ein Wechsel ins Klassenassistenzmodell keine Einbahnstraße sei: Wenn sich zeige, dass ein Kind doch individuelle Begleitung braucht, kann weiterhin ein Antrag gestellt werden.

Lehrkräfte und Schulen wurden früh in das Projekt eingebunden

Auch Lehrkräfte wurden früh eingebunden. „Anfangs gab es die Befürchtung, jemand könnte ihren Unterricht bewerten“, sagt Wolber. „Aber inzwischen überwiegt die Erleichterung. Viele sehen, dass das neue System den Schulalltag wirklich entlastet.“ Es sei noch sehr früh, um das Modell zu bewerten, aber nach vier Tagen sei zumindest der erste Eindruck bei den Beteiligten eindeutig als positiv einzustufen, berichtet Wolber unter anderem nach einem Gespräch mit dem Schulleiter der Matthias-Hagen-Schule, Jan Schütz.

Ganz günstig ist das Modell nicht: Zum Start wurde der Personalschlüssel bewusst hoch angesetzt, um Eltern und Schulen Sicherheit zu geben. Langfristig hofft der Kreis aber, dass sich der Bedarf an individuellen Schulbegleitungen reduziert – und damit auch die Kosten. Derzeit gibt es im Kreis Euskirchen rund 480 laufende Schulbegleitungen – Tendenz: weiter steigend. Zum Vergleich: 2019 waren es noch unter 200.

Das Projekt läuft zunächst zwei Jahre mit Option auf Verlängerung. Nach einer umfassenden Evaluation soll entschieden werden, ob das Modell auf weitere Schulen ausgeweitet wird. Erste Rückmeldungen seien vielversprechend: Lehrkräfte und Schulleitungen loben die neue Flexibilität, und auch von Eltern kommen zunehmend positive Signale. „Wir wollen, dass Teilhabe nicht erst dann beginnt, wenn das Kind schon auffällig geworden ist“, sagt Wolber: „Sondern dass Unterstützung früh, unbürokratisch und gemeinschaftlich möglich ist – für die ganze Klasse.“