BundeswehrReservisten im Kreis Euskirchen stehen bereit – auch für einen Krieg

Lesezeit 8 Minuten
Dr. Ralf Heming und Karl-Heinz Cuber stehen am belgischen Denkmal am Mühlenparkkreisel

Dr. Ralf Heming (l.), Vorsitzender der Reservekameradschaft Bad Münstereifel, und sein Vorgänger Karl-Heinz Cuber am belgischen Denkmal am Mühlenparkkreisel

Ernstfall kann Krieg bedeuten: Drei Reservisten aus dem Kreisverband Euskirchen/Düren sprechen über ihre Motivation, Ängste und ihre Frauen.

Albert Stumm weiß, worauf er sich eingelassen hat. Wenn der Ernstfall eintreten würde, gäbe es für ihn kein Zurück mehr. Und Ernstfall kann in diesem Fall auch eins bedeuten: Krieg.

„Die Bundeswehr weiß von mir, hat mir eine Stelle zugewiesen – und da bin ich dann“, sagt Stumm. Der Euskirchener Rechtsanwalt ist einer von rund 1,2 Millionen Reservisten der Bundeswehr und gehört auch zu den 34.000 Frauen und Männern darunter, die beordert sind, die also wissen, wo sie im Verteidigungsfall (V-Fall) eingesetzt werden.

Die Bundeswehr weiß von mir, hat mir eine Stelle zugewiesen – und da bin ich dann.
Albert Stumm, Anwalt und Bundeswehr-Reservist aus Überzeugung

Dafür nimmt der Hauptgefreite der Reserve (d.R.) Albert Stumm an Schießübungen und Märschen teil. Er lässt sich alle paar Jahre gesundheitlich und vom Militärischen Abschirmdienst auf seine sicherheitsrelevante Zuverlässigkeit checken. Stumm ist auch stellvertretender Landesvorsitzender der Reservistenkameradschaft.

Albert Stumm, Reinhard stehen in der Euskirchener Fußgängerzone und unterhalten sich.

Informieren über die Reserve der Bundeswehr: Albert Stumm, Reinhard Marx und Dr. Ralf Heming.

Wenn der Einberufungsbescheid kommt, gilt für Stumm: raus aus dem Gerichtssaal, rein in die Dienststelle, raus aus der Robe, rein in Uniform (hängt schon im Schrank) und, wenn man so will, weg von den vielen Verteidigungsfällen für seine Mandanten, ab zum großen Verteidigungsfall fürs Land.

Ein Szenario, das seit dem russischen Angriffskrieg auf die ganze Ukraine bei vielen Menschen stärker ins Bewusstsein gedrungen ist.

Als am 24. Februar 2022 russische Panzer gen Kiew rollten, war das auch ein „Schockmoment“ für Ralf Heming. „Da wurde mir klar: Ich muss mich engagieren“, sagt der Mechernicher. An dem 57-Jährigen prallen die Klischees gleich serienweise ab. 1983 demonstrierte er im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluss. Heming ist SPD-Mitglied, promovierter Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der SPD-Fraktion im NRW-Landtag. Politisch ordnet er sich eher links von der Mitte ein.

Der russische Angriff auf die Ukraine macht einen Einsatz denkbar 

Seit kurzem ist Heming, Obergefreiter d.R., auch Vorsitzender der Reservistenkameradschaft Mechernich/Bad Münstereifel. „Ich war nie Pazifist“, erklärt er: „An meine 15 Monate Wehrdienst erinnere ich mich gerne.“ Als Juso habe er aber auch über Verweigerung nachgedacht, damals in den 80ern. Doch die Worte seines Vaters hätten ihn überzeugt: „Hitler wurde nicht durch gute Worte gestoppt, sondern durch militärische Stärke“, habe er gesagt.

Diplomatie alleine reiche nicht, sagt Heming. Ohne Wehrhaftigkeit sei sie wenig erfolgversprechend. Schon SPD-Übervater Willy Brandt habe seine Ostpolitik mit einer starken Bundeswehr flankiert. Heming erinnert an Helmut Schmidt, Peter Struck und Boris Pistorius – alle drei SPD-Verteidigungsminister und in der Truppe überaus beliebt.

Heming macht seit dem Angriff Russlands ein Umdenken in der Bevölkerung aus, im Großen wie im Kleinen. „Als ich am Volkstrauertag von einer Veranstaltung nach Hause kam, hat mich ein Nachbar erstmals in Uniform gesehen“, erzählt er. Zunächst habe der Mann verwirrt geguckt, dann den Daumen gehoben.

Da wurde mir klar: Ich muss mich engagieren.
Dr. Ralf Heming über den Moment, als russische Panzer Richtung Kiew rollten

Wann, wenn nicht jetzt, fragt Heming eher rhetorisch, könne das Ansehen der Bundeswehr nachhaltig gestärkt werden, nachdem sie von einst 495.000 auf 180.000 Soldaten geschrumpft worden sei, vor allem, weil 2011 die Wehrpflicht ausgesetzt worden war?

Sollte sie wieder eingeführt werden? „Weder Gesellschaft noch Bundeswehr sind dazu bereit“, sagt der Oberst d.R. Reinhard Marx. Der 68-Jährige ist Vorsitzender der Kreisgruppe Düren/Euskirchen im Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr.

Heming stimmt ihm zu. „Aufwuchs und Nachwuchs müssen aber gewährleistet sein, darum kommen wir auch nicht drumherum, über eine allgemeine Dienstpflicht nachzudenken.“ Junge Menschen könnten dann wählen, ob sie diese zivil oder militärisch leisten. Dann, so Heming, würden sich viele für die Bundeswehr entscheiden.

Die Frauen der Reservisten sind nicht gerade begeistert

Der Reservistenkameradschaft komme dabei eine wichtige Aufgabe zu – als „Bindeglied zwischen Gesellschaft und Bundeswehr“. Kameradschaftstreffen in Gastwirtschaften seien gut und wichtig. „Ich will aber auch raus aus den Hinterzimmern. Ich möchte, dass wir beispielsweise auf Stadtfesten präsent sind“, nennt er seine Ziele im neuen Amt. Die Kontakte zu den sieben Dienststellen im Kreis Euskirchen will Heming auch verstärken.

Das klingt ambitioniert und entschlossen. „Meine Frau hat schon gefragt: Was geht denn hier ab?“, erzählt Heming. Sie habe ja einen „Sozi“ geheiratet, der die Bundeswehr zwar nie ablehnte, aber auch nicht vorneweg marschierte. „Auch mein 18-jähriger Sohn hatte ein paar Fragen“, erzählt Heming. Nun ist er der Vater, der Antworten gibt – ohne Zeigefinger, wie schon damals sein Vater.

Bei Stumm liegt der Fall anders. Seine Frau wusste von Anfang an, dass es im Ernstfall gefährlich werden kann. Begeistert sei sie nicht, sagt Stumm: „Aber sie sieht die Notwendigkeit, dass es ja irgendwer tun muss. Und sie vertraut darauf, dass ich ein vernunftbegabter Mensch bin, der sich nicht blind in ein Risiko wirft.“

Ich hatte Angst.
Reinhard Marx, Oberst d.R. über einen Einsatz im ehemaligen Jugoslawien

Und die eigene Angst, jetzt, da ein Einsatz doch denkbarer ist als noch vor dem Februar 2022? „Natürlich mache ich mir Gedanken, aber ich gehe damit um“, sagt Stumm. Man dürfe doch die Bundesrepublik und ihre freiheitlich-demokratische Grundordnung keinem Feind preisgeben.

Was Angst bedeutet, weiß auch Reinhard Marx. Er ist drei Jahre zu alt für einen möglichen Einsatz. Mit 65 fällt die wehrrechtliche Verfügbarkeit für Reservisten. Marx erinnert sich aber noch gut daran, als er 2006 als Reservist im Krieg im ehemaligen Jugoslawien kurze Zeit eingesetzt war. Seine Frau habe er damals zu beruhigen versucht, doch als in seiner Nähe geschossen worden sei, gesteht er, „da hatte ich Angst“.

Dass Stumm oder Heming auch einmal Gefechten so nahe kommen, ist eher unwahrscheinlich. Reservisten werden möglichst ihren beruflichen Fähigkeiten und auch ihrem Alter gemäß eingesetzt, und zuvorderst im Heimatschutz, um etwa Wasser-, Strom oder Informationsversorgung aufrechtzuerhalten. „Ich werde also kaum Schützengräben ausheben“, sagt Stumm.

Wo er eingesetzt wird, verrät er aber nicht. Die Bundeswehr wolle es einem potenziellen Feind nicht zu einfach machen. Aus diesem Grund würden Dienststellen im V-Fall auch rasch verlegt.

Am liebsten würden er und Heming natürlich gar nicht zum Einsatz kommen. Aber sie und Marx sind fest davon überzeugt: Die Fähigkeit zum Ernstfall ist die beste Voraussetzung, ihn zu vermeiden.


Im Kreis Euskirchen gibt es drei Reservistenkameradschaften

In der Bundesrepublik gibt es rund 1,2 Millionen Reservistinnen und Reservisten. „Reservist ist rechtlich jeder, der mindestens einen Tag gedient hat“, sagt der Oberst der Reserve (d.R.), Reinhard Marx. Er ist Vorsitzender der Kreisgruppe Düren/Euskirchen im Verband der Reservisten in der Deutschen Bundeswehr mit rund 700 Mitgliedern in fünf Reservistenkameradschaften. Dazu gehören im Kreis Euskirchen die Kameradschaften in Euskirchen und Zülpich sowie eine weitere für Bad Münstereifel/Mechernich.

Bundesweit hat der Verband rund 110.000 Mitglieder. Der Bundestag stellt ihm aktuell 21 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung. „Ohne Reservisten geht es nicht“, sagt Marx. Diese Erkenntnis habe sich nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands in die Ukraine bei vielen Entscheidungsträgern verstärkt.

Zuständig ist der Verband für die Betreuung, Ausbildung und Information aller Reservisten und Ungedienten. Dazu gehören militärische Ausbildung wie Märsche, Schießübungen, sicherheitspolitische Bildung, Kameradschaftstreffen und internationale Kooperationen.

Reservisten helfen auch bei Katastrophen wie der Flut 2021

Rund 45.500 Übungen machten die Reservisten laut Bundeswehr im Jahr 2022. „Jeder Reservist“, erläutert Marx, „hat auf freiwilliger Basis die Möglichkeit, seine im Dienst erworbenen Fähigkeiten zu erhalten.“

Im Ernstfall können Reservisten einberufen werden. Der Verteidigungsfall wird vom Bundestag festgestellt. Sollte der etwa wegen eines Angriffs dazu nicht in der Lage sein, springt ein Gemeinsamer Ausschuss ein. Sollte auch der außer Gefecht sein, ist der Bundeskanzler beziehungsweise die Bundeskanzlerin am Zuge. Vor dem Ernstfall tritt zunächst der Spannungsfall ein.

Die fünf Männern stehen nebeneinander und haben die Hände als Zeichen des Zusammenhalts in der Mitte zusammengelegt.

Vorstandsbild der Reservistenkameradschaft Mechernich/Bad Münstereifel mit dem stellvertretenden Kreis-, Bezirks- und Landesvorsitzenden Albert Stumm (r.): Manfred Lang (v.l.) Karl-Heinz Cuber, Dr. Jörg Harren und dem neuen Vorsitzenden Dr. Ralf Heming.

Der Schwerpunkt der Reserve, so Marx, liege im Heimatschutz, dem Schutz kritischer Infrastruktur sowie in Friedenszeiten auch im Rahmen der Amtshilfe bei schweren Unfällen oder Katastrophen. Auch bei der Flut 2021 waren Reservisten im Kreis Euskirchen zur Stelle.

Der Verband ist organisiert in rund 2500 Reservistenkameradschaften bundesweit. Er führt etwa 100 Geschäftsstellen mit teils hauptamtlichen Personal.

Alle Reservisten und Reservistinnen, denen kein Dienstposten zugewiesen ist, sind in der Allgemeinen Reserve zusammengefasst. Diese können, soweit sie wehrrechtlich verfügbar sind, nach Bedarf und Verfügbarkeit Dienst in der Bundeswehr leisten.

In Auslandseinsätze gehen Reservisten nur freiwillig 

„Auslandseinsätze von Reservisten kommen häufiger vor, als allgemein bekannt ist“, sagt Marx. In Afghanistan habe ihr Anteil zeitweise bei 17 Prozent gelegen. Einsätze im Ausland könnten Reservisten aber nicht befohlen werden, sie beruhten auf Freiwilligkeit.

Für die Zeit von Übungen und im Einsatz erhalten Reservisten das Netto-Gehalt, das sie in ihrem Beruf verdienen, vom Bund. Das sei auch wichtig, um Arbeitgeber für die Sache zu gewinnen. Ist das Gehalt ihres Dienstgrades höher, erhalten Reservisten dieses.

Dem NRW-Landesverband der Reservistenkameradschaft steht mit Rene Zander, Oberstleutnant der Reserve, ein Zülpicher vor, auch Albert Stumm, stellvertretender Landesvorsitzender, wohnt in der Römerstadt und arbeitet als Anwalt in Euskirchen.

Neue Spitze bei der Kameradschaft Bad Münstereifel/Mechernich

Bei der Reservistenkameradschaft Bad Münstereifel/Mechernich fand kürzlich ein Führungswechsel statt: Dr. Ralf Heming löste Karl-Heinz Cuber ab, der nach zwölf Jahren ins zweite Glied rückte.

Der bisherige, fünf Jahre tätige Schatzmeister Karl Robert Lang stand aus Altersgründen nicht mehr für eine Wiederwahl zur Verfügung, will aber seinen Nachfolger, Oberfeldarzt Dr. Jörg Harren ins neue Amt einarbeiten und begleiten. Der Presse- und Öffentlichkeitsarbeiter der Reservistenkameradschaft, Manfred Lang, wurde zusätzlich in die Schriftführertätigkeit gewählt.

KStA abonnieren