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ÄrztemangelGesundheitsversorgung im Kreis Euskirchen: So wird die Krise bekämpft

Lesezeit 6 Minuten
Ein Hausarzt misst in seiner Praxis einer Patientin den Blutdruck.

Schon heute fehlen im Kreis Euskirchen niedergelassene Ärzte. Die Situation könnte sich noch verschärfen.

Die Gesundheitsversorgung im Kreis Euskirchen verschärft sich zunehmend.  Es gibt aber auch Lichtblicke.

„Viel Glück!“ Das habe ihm sein Hausarzt gesagt, als er ihm die Überweisung für einen Facharzt in die Hand gedrückt habe, erzählte ein Mann aus dem Publikum. Viel Glück - das brauchen die Menschen im Kreis Euskirchen in der Tat. Er habe in 20 Praxen angerufen, berichtete der Mann weiter. Zumeist gab es Absagen oder die Aussicht auf wochenlange Wartezeiten.

30 Besucher im Euskirchener Casino hörten ihm zu, viele nickten – wohl aus eigener Erfahrung – zustimmend. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung hatte zu der Veranstaltung über die Gesundheitsversorgung im Kreis Euskirchen geladen; Landrat Markus Ramers moderierte. Die Probleme wurden schonungslos angesprochen, Lösungsansätze kamen aber auch zur Sprache.

Landrat Markus Ramers befürchtet Verschärfung des Ärztemangels

Immer wieder höre er von Menschen, die keinen Hausarzt fänden oder lange auf einen Termin bei einem Facharzt warten müssten, so Ramers. Aus der Jugendabteilung des Kreises wisse er, dass Kinder zuweilen mangels Kinderärzten nicht wie geboten untersucht würden.

Denn nicht nur die Patienten werden älter und somit krankheitsanfälliger. „Viele ältere Ärzte gehen in Rente, ohne eine Nachfolge zu finden. Und die Lage könnte sich verschärfen“, so Ramers. In Teilen des Kreises ist das schon zu spüren.

Mit seinen 38 Jahren ist Dr. Daniel Vermöhlen noch weit von der Rente entfernt. Der Nettersheimer hat sich bewusst als Arzt in der Eifel niedergelassen. Er und seine Kollegen in der Praxisgemeinschaft Eifel verzeichnen an den drei Standorten in Mechernich, Blankenheim und Dahlem etwa 8000 Patientenkontakte im Quartal. Das sei schon hart am Limit.

„Wir können keine weiteren Patienten aufnehmen“, sagte Vermöhlen, Beratungs- und Behandlungsqualität würden ansonsten leiden. Bei Zugezogenen machten sie noch Ausnahmen: „Die Menschen brauchen ja einen Arzt. Aber den Patienten, die wechseln wollten, weil sie unzufrieden mit ihrem bisherigen Arzt sind, müssen wir leider eine Absage erteilen.“

Markus Ramers, Jenny Wielga, Angela Steinhauer und Dr. Daniel Vermöhlen sitzen an einem Tisch, Vermöhlen hält ein Mikrofon in der Hand.

Landrat Markus Ramers (v.l.) leitete die Diskussion mit Jenny Wielga, Angela Steinhauer und Dr. Daniel Vermöhlen.

In den Krankenhäusern sieht es nicht besser aus. Das eine bedingt offenkundig das andere. Fehle es an Hausärzten, kämen mehr Menschen in die Notfallversorgung, berichtet Angela Steinhauer, Konzernbetriebsrätin des Kreiskrankenhaus GmbH Mechernich: „Die sind grundsätzlich rappelvoll.“

Dass der Standort Schleiden aus wirtschaftlichen Gründen nicht habe gehalten werden können, komme erschwerend für die Mechernicher Klinik hinzu: „Wir mussten jetzt eine komplette Station zusätzlich mit internistischen Patienten belegen, weil im Südkreis der internistische Bereich weggefallen ist.“ Die Chefärzte kümmerten sich nun nicht mehr um 80 internistische Patienten, sondern um 120. Er bräuchte also Assistenz- und Oberärzte. Nur woher?

Man wird sich wahrscheinlich auch daran gewöhnen müssen, dass sich die einfache Erkältung kein Arzt mehr ansieht.
Dr. Daniel Vermöhlen, niedergelassener Arzt

Bevor Steinhauer Vollzeit-Betriebsrätin wurde, war sie als Krankenschwester tätig, einige Jahrzehnte lang. „Die Ärzte, die heute zu uns kommen“, sagt sie, „sind nicht mehr wie die Ärzte, die ich noch als Schwester erlebt habe.“ Die Jüngeren achteten auf ihre Belastung und auf das, was man neudeutsch Work-Life-Balance nennt. Das verurteile sie keineswegs. „Wir müssen uns als Krankenhäuser den jungen Ärzten anpassen.“

Das gilt auch für die Praxen. Junge Menschen, die studiert haben, wie sie Menschen gesund halten oder machen, sehen sich in der Praxis einer Bürokratie ausgeliefert, auf die sie unzureichend vorbereitet sind: Abrechnungen mit Krankenkassen und Lieferanten, Finanzierung von Praxen und Geräten, Urlaubspläne und, und, und … Sie träumen, Arzt zu werden, und wachen als halbe Manager auf.

Elektronische Patientenakte als möglichen „Gamechanger“ gefeiert

Was also ist zu tun? Das alles heilende Rezept gibt es nicht. Aber Ideen, die zum Teil schon umgesetzt würden, machten Hoffnung, stellten die Praktiker fest. „Und die Patienten müssen mitgenommen werden“, fügte Wissenschaftlerin Wielga hinzu. 

Nichtmedizinisches Personal „Es läuft noch zu viel über den Faktor Arzt“, erklärte Vermöhlen. Vieles davon könnten auch die gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen leisten. Andere Länder hätten eine geringere Arztdichte als Deutschland, dennoch gehe es den Menschen dort nicht schlechter, so der 38-Jährige.

„Man wird sich wahrscheinlich auch daran gewöhnen müssen, dass die einfache Erkältung kein Arzt mehr sieht“, sagte der Nettersheimer - wohl wissend, dass das nicht alle gerne hören. Doch auch eine gut ausgebildete Praxiskraft könne einen Patienten abhören und feststellen, ob abgesehen von Rotznase oder Husten alles in Ordnung ist. Im Zweifel werde natürlich der Arzt zurate gezogen.

Experten: Digitalisierung in der Medizin läuft an, aber viel zu langsam

Er habe auch Mitarbeitende, die Wunden behandeln könnten: „Sogar besser als ich“, gesteht Vermöhlen: „Der Internist kann zwar alles, aber nicht alles gleich gut“, sagte er und lachte.

Digitalisierung Sie hat Einzug gehalten, müsste aber schon viel weiter sein. Seit einigen Jahren sei man in diesem Bereich im Krankenhaus Mechernich „massiv unterwegs“, berichtete Betriebsratschefin Steinhauer. Ein Schreibdienst etwa verarbeite die aufgezeichneten Sprachberichte der Ärzte und füge die Laborwerte und die sonstigen wichtigen Daten hinzu. Das spare Zeit für die Patienten und diene der Work-Life-Balance.

Es stoße allerdings an bürokratische Grenzen. „Wenn da ein kleines Häkchen fehlt, zweifelt die Krankenkasse die ganze Behandlung an“, erklärte die Betriebsrätin. „Es scheitert auch schon mal an den Schnittstellen“, wusste Wielga zu berichten.

Wir müssen uns als Krankenhäuser den jungen Ärzten anpassen.
Angela Steinhauer, Konzernbetriebsrätin Kreiskrankenhaus GmbH Mechernich

Hoffentlich, so Daniel Vermöhlen, gehe das mit der kürzlich offiziell eingeführten Elektronischen Patientenakte schneller: „Da wird jetzt noch viel gejammert, auch auf Ärzteseite. Das muss aber der Gamechanger sein.“ Die E-Akte spare lange Wege und viel Geld.

Es diene im Übrigen auch dem Patienten, wenn der eine Arzt wisse, was der andere Arzt ihm verschrieben habe – und nicht erst der Apotheker erschrickt, wenn zwei Präparate abgeholt werden sollen, die sich nicht so gut vertragen. Bei Papierberichten sei diese Gefahr größer, erläuterte Vermöhlen.

„Wenn man mit einem Rettungswagen abtransportiert werden muss, ist es auch gut, dass schnell zu sehen ist, welche Medikamente eingenommen werden“, lobte auch Jenny Wielga die E-Akte.

Hoffnung mache auch die Telemedizin, die laut Ramers im Kreis bereits erfolgreich angewendet werde. „Man kann zum Beispiel den Patienten aus der Praxis heraus digital abhören“, pflichtete Vermöhlen ihm bei: „Und das klappt gut.“


Kreis Euskirchen: Der Altersschnitt der Patienten steigt und viele Ärzte gehen in Rente

„Alter kann und soll zwar nicht mit Krankheit gleichgesetzt werden“, stellt die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts Arbeit und Technik, Jenny Wielga klar: „Aber Alter ist eine zentrale Einflussgröße auf den Gesundheitszustand.“

Und das macht die Situation im ländlichen Raum so schwierig. So liegt der Anteil der Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, im Kreis Euskirchen bei 22 Prozent, in Bonn hingegen bei 15 Prozent. 

Im Kreis Euskirchen gebe es 156,1 Ärztinnen und Ärzte je 100.000 Einwohner, in Bonn 334,7. „NRW-weit ist die Hälfte aller Hausärztinnen und –ärzte über 50“, erklärte Wielga. Wie der Mechernicher Allgemeinmediziner Dr. Daniel Vermöhlen erklärte, lag bereits 2023 das Durchschnittsalter der Hausärztinnen und -ärzte im Kreis Euskirchen bei knapp 56 Jahren.

Die Probleme der niedergelassenen Mediziner, Nachfolger für ihre Praxen zu finden, ist im Kreis Euskirchen bereits zu spüren. Im Mittelbereich Euskirchen, zudem neben der Kreisstadt die Kommunen Bad Münstereifel, Weilerswist und Zülpich gehören, sind derzeit neun Hausarztstellen nicht besetzt, in Mechernich zwei und im restlichen Süden des Kreises eine, erklärte Vermöhlen während der Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung.