RestaurateureWie ein Euskirchener Atelier ein 700 Jahre altes Kruzifix rettet

Lesezeit 5 Minuten
Am Kruzifix aus der Euskirchener Martinskirche, das mehr als 700 Jahre alt ist, müssen Schäden am Stamm behoben werden.

Am Kruzifix aus der Euskirchener Martinskirche, das mehr als 700 Jahre alt ist, müssen Schäden am Stamm behoben werden.

Euskirchen-Euenheim – Manchmal kommen auch Besucher mit einem Gemälde vorbei, das sie auf dem Flohmarkt gekauft haben. Nun wollen sie wissen, ob sie womöglich für kleines Geld eine wertvolle Rarität erworben haben. Solche Schnäppchenjäger muss Lutz Sankowsky enttäuschen. „Ich erkläre ihnen dann, dass ich kein Wertgutachter bin, sondern nur etwas zum Sanierungsaufwand sagen kann“, erzählt er.

Der 62-Jährige betreibt in Euenheim ein Restaurierungsatelier, das einen Teil seiner Aufträge von Museen oder anderen öffentlichen Auftraggebern erhält, weitere von Privatpersonen und die meisten von der Kirche.

Kruzifix aus der Zeit um 1290 im Atelier

Die Euskirchener Stadtpfarrei etwa hat mit ihm einen Wartungsvertrag abgeschlossen. So nahmen Sankowsky und seine Mitarbeiterinnen Karin Schulte und Sarah Renn kürzlich, wie jedes Jahr, die Kunstgegenstände in der Martinskirche unter die Lupe.

Ein Kruzifix aus der Zeit um 1290 holten sie von der Wand im südlichen Seitenschiff, packten es behutsam ein und nahmen es mit in die Euenheimer Werkstatt. Dort behebt Renn jetzt kleinere Schäden. Unter anderem war am Stamm hinter dem Haupt des Gekreuzigten Farbe abgeblättert.

20 Stunden um 700 Jahre alte Kunst zu schützen

„Man darf Kunst nicht sich selbst überlassen“, sagt Lutz Sankowsky. „Regelmäßige Kontrollen sind wichtig, um einschreiten zu können, bevor an einem Objekt Substanz verloren geht.“ Dies sei der Sinn von Sichtwartungen, wie er sie in regelmäßigen Abständen in St. Martin vornimmt.

Im Obergeschoss des Euenheimer Ateliers restaurieren Sarah Renn (l.) und Karin Schulte Kunstwerke erster Güte.

Im Obergeschoss des Euenheimer Ateliers restaurieren Sarah Renn (l.) und Karin Schulte Kunstwerke erster Güte.

Für die konservierenden Maßnahmen an dem mehr als 700 Jahre alten Kruzifix hat er 20 Arbeitsstunden kalkuliert, Demontage und Wiedermontage inklusive. Ganz anders sieht das bei den zahlreichen Figuren des Märtyreraltars aus dem Xantener Dom aus. Sie erfordern einen ungleich größeren Zeit- und Arbeitsaufwand.

Figuren vom Märtyreraltar aus Xanten

Das prächtige Kunstwerk von 1525 zählt zu den berühmten Antwerpener Schnitzaltären, es zeigt Darstellungen aus der Passion Christi und dem Leben Marias. „Der Märtyreraltar gehört zu einer Reihe von Altären aus dem Dom, die zurzeit mit Bundesmitteln bearbeitet werden“, sagt Sankowsky. Er hat den Auftrag, die Figuren zu reinigen, die Farbfassungen zu festigen und Fehlstellen einzutönen.

Die Geburtsszene gehört zum Märtyreraltar aus dem Xantener Dom. Sankowskys Team hat die Figuren zur Bearbeitung ausgebaut.

Die Geburtsszene gehört zum Märtyreraltar aus dem Xantener Dom. Sankowskys Team hat die Figuren zur Bearbeitung ausgebaut.

Das Gros ist – nach dem vorübergehenden Aufenthalt in Euenheim – wieder an Ort und Stelle in Xanten. Momentan liegen die noch unbehandelten Figuren aus der unteren Reihe des Altaraufsatzes auf einem großen Tisch im Erdgeschoss der Werkstatt. „Die haben wir vor drei Wochen ausgebaut“, erklärt der Restaurator. Jedes einzelne Teil ist beschriftet. „Wir haben sogar festgehalten, welche Schraube wo sitzt. Sonst wäre das im Detail nicht zu rekonstruieren.“

Nicht alle Aposteln können zugeordnet werden

Lutz Sankowsky wendet sich einem Rokoko-Wandtisch aus der Burg Heimerzheim zu, dessen Farbfassung sehr stark blätterte. Teile müssen noch vergoldet werden. Wenn dann auch wieder die Marmorplatte montiert ist, kann der Tisch, der Ende des 18. Jahrhunderts entstand, zurück an seinen Platz im repräsentativen Festsaal des alten Adelssitzes. Während sich der Tisch in Privatbesitz befindet, handelt es sich bei dem Objekt, das gleich nebenan steht, wiederum um Kirchenkunst. Sankowskys Atelier restauriert, eine nach der anderen, die zwölf Apostelfiguren aus der Zisterzienserabtei in Marienstatt im Westerwald. Sie sind dem Hadamarer Barock zuzuordnen, wie der Experte erläutert: „Ein kantiger, expressiver Stil.“

60-fach vergrößert

Wenn Lutz Sankowsky die Bearbeitung eines Objekts in Angriff nimmt, ist der erste Schritt in der Regel eine Schadensanalyse. Auf ihrer Basis erstellt er ein Konservierungs- oder Restaurierungskonzept. In seinem Fotoatelier wird jeder Kunstgegenstand abgelichtet – im Vor-, im Zwischen- und im Endzustand, also nach Abschluss der Arbeit.

Der Restaurator nutzt auch Infrarot-Reflektografie, eine Technik, die es ihm erlaubt, durch mehrere Farbschichten bis auf die Grundierung zu schauen, um den Zustand einer Skulptur oder eines Gemäldes besser beurteilen zu können. Ebenfalls zum Einsatz kommt ein Mikroskop mit bis zu 60-facher Vergrößerung. (ejb)

Im Original waren die lebensgroßen Skulpturen knallbunt, mittlerweile sind aber nur noch drei von ihnen farbig, die anderen hell übermalt. Das Exemplar, das gerade in Euenheim steht, hat im Urzustand rote Stiefel und ein blaues Gewand. „Die Farbe ist aber nur noch fragmentarisch vorhanden, eine Freilegung lohnt sich nicht.“ Also bleibt der Apostel hell. Um welchen es sich handelt, ist nicht auszumachen. Typische Attribute sucht man leider vergebens. Lutz Sankowsky: „Alle zwölf haben nur ein Buch in der Hand.“

Kunstschatz aus dem Lübecker Museum

Die Apostel sind ein schönes Beispiel für die Arbeiten, die in dem Atelier alltäglich sind. Die Restauratoren kümmern sich um blätternde Farbschichten, um Verschmutzungen und Verfärbungen, Rissbildungen im Holz und immer wieder auch um Schimmelpilzbefall.

Die Werkstatt beherbergt – immer wieder aufs Neue – Kunstschätze erster Güte. Dies zeigt sich auch im Obergeschoss, wo Sarah Renn das Kruzifix aus der Euskirchener Martinskirche in Arbeit hat, während Karin Schulte ein Tafelbild aus dem St.-Annen-Museum in Lübeck restauriert. Es trägt die Inschrift „Ecce Homo“ und stammt von Hans Kemmer (um 1495 – 1561), einem Cranach-Schüler. Neben dem leidenden Christus zeigt es den Stifter des Werks, Heinrich Gerdes.

„Das Gemälde hatte einen starken Firnis, eine Schicht aus einer Art Klarlack, die ich schon abgenommen habe. Dadurch kommt die Farbigkeit wieder besser zur Geltung“, erzählt Restauratorin Schulte. Auch mehrere Übermalungen hat sie gelöst. „Überall ist das nicht möglich, ohne das Original zu gefährden.“ Die einzelnen Schritte spricht sie mit dem Lübecker Museum ab.

Störleim für Haftung zwischen Farbe und Holz

Das gilt auch für das „Epitaph Wittinghoff“, ein weiteres Kemmer-Werk. Er wird nur fragmentarisch restauriert, so bleiben Original und Retuschen unterscheidbar. Die Farben, die aufgetragen werden, sind allesamt wasserlöslich, „sodass man sie jederzeit wieder entfernen könnte, etwa um tiefer liegende Fassungen sichtbar zu machen“, sagt Sankowsky.

Das könnte Sie auch interessieren:

Dass am Kruzifix aus St. Martin Blätterungen der dunkelgrünen Farbe am Stamm ein Eingreifen erforderlich machen, „ist nichts Ungewöhnliches bei einem Kreuz, das an einer Außenwand hängt“, erklärt Sarah Renn. „Das Holz reagiert auf Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsschwankungen.“

Die neue Farbe befestigt sie mit einem eines Fischs, den man eher mit Kaviar in Verbindung bringt. Man trägt ihn mit einem Pinsel auf oder injiziert ihn mit einer Spritze.

Störleim habe sich bewährt als Haftbrücke zwischen Farbe und Träger, dem Holz also, sagt die Restauratorin: „Er hat eine hohe Klebekraft und trocknet relativ spannungsfrei.“ Und das alles bei hoher Viskosität. „Mit anderen Worten: Der Leim fließt schön unter die Farbscholle“, ergänzt Karin Schulte am Tisch nebenan.

KStA abonnieren