Kommern – Die Klingel funktioniert noch nicht. Wer etwas von Carsten Wischnewski möchte, muss klopfen. Tagsüber öffnen die Handwerker die Tür.
Abends ist der Kommerner dann zu Hause – meist alleine, ohne warmes Wasser, ohne Heizung. Seine Frau und die beiden Kinder schlafen seit knapp 100 Tagen in einer Ferienwohnung.
Das Haus in der Ackergasse ist seit dem Kommerner „Jahrtausend-Hochwasser“ am 21. Juli 2016 immer noch unbewohnbar. „Die Arbeiten kommen gut voran. Wir hoffen, dass wir Weihnachten wieder hier feiern können“, sagt Wischnewski, während er auf die kahlen Wände seines Wohnzimmers schaut.
85 Liter Regen pro Quadratmeter kamen am frühen Abend des 21. Juli vom Himmel – innerhalb von nur einer Stunde. „Eine solche Niederschlagsmenge haben wir noch nie gemessen“, sagt Dr. Christian Gattke vom Erftverband.
Was sich in Kommern und Umgebung ereignet habe, sei kein Jahrhundert-, sondern ein Jahrtausend-Hochwasser gewesen. „Beim 100-jährigen Hochwasser gehen wir von einer Wassermenge von 48 Litern pro Quadratmeter aus. An diesem Tag war es fast doppelt so viel“, so Gattke.
In Kommern trat der Bleibach über die Ufer, in Sinzenich und Schwerfen war es der Rotbach. Mehr als drei Monate später ist vielerorts zwar wieder Normalität eingekehrt, doch die Spuren des Hochwassers sind nicht nur wegen der braunen Streifen an den Häuserwänden noch allgegenwärtig.
Auch bei Wischnewski liegt noch der Schutt in der Einfahrt: „Das Wasser stand in unserem Haus 65 Zentimeter hoch.“ Die erst drei Jahre alte Fußbodenheizung war hinüber. Sie ist mittlerweile demontiert worden. Sieben Wochen liefen allein die Trockenmaschinen – Tag und Nacht.
Der Kommerner rechnet mit rund 60 000 Euro Kosten für die Handwerker. Das zerstörte Mobiliar und eine neue Küche seien in dieser Rechnung noch nicht enthalten .
Auch einige Häuser weiter ist noch längst nicht alles so, wie es vor dem Hochwasser war. Das Erdgeschoss des Fachwerkhauses von Helga van Bonn ist noch nicht eingerichtet. Dort, wo vor gut 100 Tagen eine schwarze Couch, ein Esszimmer und Schränke standen, ist heute nur ein Sideboard mitten im Raum platziert. „Ich bekomme keinen Handwerker. Alle sind ausgebucht“, sagt die Frau.
Am 21. Juli habe sie das Wasser zwar steigen sehen, doch mit derartigen Auswirkungen habe sie nicht gerechnet. „Ich habe noch einen Putzlappen vor die Tür gelegt. Ein paar Minuten später stand das Haus unter Wasser. Wir hatten keine Chance, auch nur irgendwas dagegen zu unternehmen“, so van Bonn.
Keine Chance gegen die Wassermassen hatten auch die Besitzer der Apotheke an der Kölner Straße. Der gesamte Keller lief bis unter die Decke voll. Durch den Druck des Wassers platzen vier Öltanks, deren Inhalt zusätzlichen Schaden anrichtete.
Die Wände, die Böden und das gesamte Mobiliar saugte sich mit dem Öl voll. Mittlerweile ist die Apotheke leergeräumt. Die Besitzerin wird sie wohl nicht mehr öffnen. „Ich hoffe natürlich, dass wir bald wieder eine Apotheke im Ortskern haben werden“, sagt Ortsvorsteher Rolf Jaeck: „Die Stimmung ist mittlerweile wieder gut. Wir haben eine tolle Kirmes gefeiert. Man merkt, dass wir durch das Hochwasser alle noch enger zusammengerückt sind.“
Das habe man bereits gespürt, als das Wasser noch durch den Ort floss, so Jaeck: „Die Leute haben sich gegenseitig geholfen.“ Auch in der Folgezeit unterstützten sich die Kommerner und es kamen zahlreiche Spenden zusammen. Rund 160 000 Euro wurden auf das Spendenkonto des Vereinskartells überwiesen. Der größte Teil der Summe ist laut Jaeck bereits an die Flutopfer verteilt worden. Jetzt wolle er mit den Helfern noch einmal durch die betroffenen Häuser und Wohnungen gehen und sich anschauen, wo immer noch dringend Unterstützung gebraucht wird.
In Schwerfen sind die gröbsten Schäden beseitigt – auch ohne die Soforthilfe des Landes NRW. Die Schwerfener halfen sich gegenseitig und erhielten finanzielle Unterstützung von der Stadt.
„Wir können uns nur bei allen ganz herzlich bedanken“, sagt Stefanie Kikillus. Auch ihr Keller stand unter Wasser. Die Schwerfenerin fügt hinzu: „Es ist für die Betroffenen ein sehr unangenehmes Gefühl, Spendengelder von Privatpersonen anzunehmen. Man kann sich als Außenstehender nicht vorstellen, was für ein finanzieller und auch seelischer Schaden bei einem derartigen Unglück entsteht.“
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