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Workshop für den guten ZweckIn Euskirchen bekamen alle Teilnehmer ihr Drehorgel-Diplom

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Neben dem Drehorgelspieler steht eine Gruppe von Menschen, die interessiert zusieht.

Drehorgelspieler Detlef Luther aus Brieselang in Brandeburg (links) tourt durch ganz Deutschland, um mit seinem Spiel und den Leierkasten-Workshops Geld für zwei Vereine zu sammeln, die an Krebs erkrankte Kinder unterstützen.

Ein Leierkasten-Workshop mit Detlef Luther verband im Euskirchener Kulturtreff „Simons Glück“ Musik und Nostalgie mit dem guten Zweck.

Detlef Luther aus Brieselang in Brandenburg – „der Drehorgelspieler mit Herz“ – hat am Samstag Urkunden verliehen. Es gab Diplome für diejenigen, die es wagten, seinem Instrument ein paar Töne zu entlocken. Schwer war das nicht, sollte es auch nicht, denn es diente dem guten Zweck.

Winfried Kubitza-Simons, Inhaber des Euskirchener Kulturtreffs „Simons Glück“, sagte: „Detlef habe ich jetzt schon zum dritten Mal hier gehabt. Er baut Euskirchen auf seiner jährlichen Tournee ein.“ Detlef Luther ist 68 Jahre alt, hat ein wettergegerbtes Gesicht und ist von hagerer Gestalt. Er stammt aus Brieselang und war mit seiner Frau am Wochenende nach Euskirchen gekommen. Ab 11 Uhr hatte er sich in der Fußgängerzone hinter seine Drehorgel gestellt, die Kurbel gedreht, gespielt, ab und an ein Pläuschchen gehalten und dabei über den tieferen Sinn seines Gastspiels informiert.

Drehorgelspieler sammelt auch in Euskirchen Spenden für krebskranke Kinder

Er sammelt Spenden zugunsten zweier Hilfsinitiativen für krebskranke Kinder in seiner Heimat: die Kinderhilfe Potsdam und Uckermark gegen Leukämie – gemeinsam gegen den Krebs. Das tut er mit seinen deutschlandweiten Konzertreisen schon seit Jahren.

Warum? Detlef Luther erklärt das den Teilnehmern seines Drehorgel-Workshops im „Simons Glück“ auch anhand der Familiensituation der Betroffenen: „Bei aller Hilfe für die an Krebs erkrankten Kinder darf man die Geschwister nicht vergessen. Die leiden ebenfalls sehr, wenn ein Geschwister erkrankt ist.“

Ein knappes Dutzend Drehorgelfreunde hörte seinem Vortrag zu, bevor es weiter im Workshop ging: Instrumentenkunde! „Das Wichtigste an der Drehorgel ist der Blasebalg. Durch das Kurbeln wird eine Windzufuhr erzeugt, die Luft geht durch 78 Ventile zu 87 Holzpfeifen“, so Luther über sein Instrument. Dann öffnete er behutsam eine der länglichen schwarzen Schachteln, die er in einem Koffer mitgebracht hatte, hob vorsichtig eine Lochrolle aus dem mit Samt ausgeschlagenen Kästchen heraus, öffnete sie und spannte sie in die Drehorgel ein.

Drehorgel-Repertoire reicht vom Barock bis zu den Bläck Fööss

Die erste Drehorgel aus Deutschland stamme wohl vom Instrumentenbauer Johann Daniel Silbermann (1717-1761), so Luther, und die Neuheit war im Barockzeitalter offenbar für vieles gut, wenn es mal nicht die große Orgel sein konnte.

Der Drehorgelspieler, der einen schwarzen Hut trägt, zeigt die Lochrolle einer Drehorgel.

Eine Lochrolle zeigt hier Detlef Luther, darauf ist die Melodie gespeichert, die die Drehorgel spielt. Zum Beispiel „Highland Cathedral“.

Luther hat so unter anderem einen „Canon in D“ des Barockkomponisten Johann Pachelbel im Fundus, flotter ist der Csárdás, die vermutlich bekannteste Komposition von Vittorio Monti. Den „Tanz“ auf der Drehorgel zu spielen, genauer zu kurbeln, verlangt allerdings eine Meisterschaft, die man den Diplomanden aus Euskirchen (noch) nicht abverlangen kann.

Detlef Luther hingegen schon. Seit 40 Jahren dreht er den „Schwengel“, wie eine der Teilnehmerinnen im besten Euskirchener Platt gut gelaunt die Kurbel nennt, was Luther einigermaßen ratlos schauen lässt. Sie wie die Mitbewerber ums Diplom dürfen sich stattdessen im Praxis-Teil ihrer Prüfung an „Du bess die Stadt“ von den Bläck Fööss versuchen, so wird die Melodie jedenfalls sofort unter leisem Mitsingen des Textes von den Aspiranten identifiziert, was erneut für eine leichte Irritation beim Drehorgelmeister sorgt. Der hat das Stück nicht als das von den Fööss gecoverte schottische „Highland Cathedral“, sondern als das 1982 von Ulrich Roever und Michael Korb komponierte Werk in seinem Lochrollen-Repertoire.

Euskirchenerin baut sich ihre eigene Drehorgel

Anne aus Euskirchen, die sich das Angebot, es mal selbst an der Drehorgel zu versuchen, nicht zweimal machen lässt, kann auf Anhieb „Du bess die Stadt“ erklingen lassen. Da leiert so gut wie nichts – im Gegensatz zu einigen Mitbewerbern ums Diplom. Die unsauberen Töne haben bekanntlich den akustischen Eindruck zur Berufsbezeichnung der heutigen Straßenmusiker werden lassen: Der Leierkasten-Mann ist da, etwas weniger häufig die Leierkasten-Frau.

Die Frau mit rot gefärbten Haaren zeigt auf ihrem Handy das Foto einer Drehorgel.

Eine eigene Drehorgel baut sich gerade Anne aus Euskirchen, hier zeigt sie ein Foto ihres Instruments, auch sie erhielt das Diplom.

Am Ende wird allen Aspiranten großzügig das Drehorgeldiplom verliehen, denn die Mindestanforderungen wurden ja erfüllt: das Spielen „mit großem Interesse unter vollem körperlichem Einsatz“. Wer viel Drehorgel spiele, der habe jedenfalls am Ende eines Tages ausgeleierte Arme. Egal, wie sauber es geklungen habe, so Detlef Luther zur Auszeichnungsbegründung. Er muss es nach 40 Jahren wissen.

Anne ist dafür gewissermaßen prädestiniert. Sie baut sich gerade ihre eigene Drehorgel: Ein Modell im Stil des Herstellers Höfner mit 30 Pfeifen soll es werden. Dafür nutzt sie 3D-Drucker, Laserscanner, aber auch – wie einst im Zeitalter der reinen Handarbeit – Feile und Hobel für den Holzkasten des Instrumentes oder die Pfeifen. „Am 11.11. auf dem Alter Markt muss sie fertig sein, dann kann sie bei ,Jeck gegen Rechts' damit auftreten“, spornt sie Winfried Kubitza-Simons an.

Am Ende erhalten alle Workshop-Teilnehmer in Euskirchen ihr Diplom

So reichhaltig ausgestattet wie das altehrwürdige Instrument von Detlef Luther wird ihre kleinere Drehorgel aber wohl nicht werden. Es ist an der Frontseite bemalt, zwei barocke orientalistische Morisken – in diesem Fall sind es ein Landarbeiter und ein Bettler – wirken als gute Geister des Spiels. Dazu das Schild: „Ab hier bitte lächeln“. Das gut 10.000 Euro teure Instrument hat dazu das passende Fahrgestell, denn Drehorgelspieler wollen und müssen – je nach Standzeitauflagen der Ordnungsbehörden in den Städten – mobil sein können.

Die Diplome wurden am Samstag in Euskirchen mit einem kleinen gemeinsamen Abschlusskonzert gefeiert. Praxistests bestanden, und zuvor ja auch die Theorie. Im Fragebogen tauchte da eine Frage auf, die viel über das Spiel und den besonderen Klang des Instruments verrät: „Was ist eine emotionale Wirkung der Drehorgelmusik?“ Die Antwort – Mehrfachnennungen waren möglich: „Freude verbreiten. Nostalgie wecken. Traurigkeit erzeugen. Wut auslösen.“ Alles hat Detlef Luther schon erlebt.