VormundschaftEin Ehrenamt mit Turbulenzen

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Viele ehrenamtliche Vormünder nutzen gemeinsame Unternehmungen wie etwa Spaziergänge dazu, um mit ihren Mündeln ins Gespräch zu kommen und sich über Wichtiges auszutauschen.

Viele ehrenamtliche Vormünder nutzen gemeinsame Unternehmungen wie etwa Spaziergänge dazu, um mit ihren Mündeln ins Gespräch zu kommen und sich über Wichtiges auszutauschen.

Kreis Euskirchen – Warum alles auf die Rentenzeit verschieben, dachte sich Manuela Eßer, als sie 2014 einen Bericht in der Zeitung las, der die Arbeit ehrenamtlicher Vormünder vorstellte. Selber berufstätige Mutter dreier heranwachsender Kinder, sah sie noch Ressourcen für jene Aufgabe, die sie bis heute mit viel Freude ausfüllt: „Ich habe diese Entscheidung nie bereut.“ Kürzlich begleitete sie das mittlerweile volljährige Mündel, für das sie vor sieben Jahren die gesetzliche Vertretung übernommen hatte, zu ihrer Abiturfeier. „Das war schon ein sehr bewegendes Ereignis“, so die 51-Jährige aus Mechernich-Voißel.

Kinder und Jugendliche, deren Eltern verstorben oder die nicht in der Lage sind, ihr Sorgerecht auszuüben, benötigen sichere, verlässliche Ansprechpartner, die an Eltern statt in ihrem Sinne wichtige Entscheidungen treffen. Oftmals gehen solche Kinder direkt in eine Amtsvormundschaft über – das heißt: Mitarbeitende des Jugendamtes übernehmen die Aufgabe professionell.

Komplizierte Fälle gehen ans Jugendamt

Der Kreis Euskirchen setzt bereits seit 2014 auch auf ehrenamtliche Vormünder – neben den hauptamtlichen, die die komplizierteren Fälle übernehmen. „Wir haben das Glück, dass hier im Kreis Euskirchen ehrenamtliche Arbeit großgeschrieben wird“, sagt Claudia Simon, eine der hauptamtlichen Vormünder. Damit sei man gut gerüstet, denn ab 2023 wird der Gesetzgeber verlangen, zunächst nach einem ehrenamtlichen Vormund für betroffene Kinder zu suchen, ehe man auf die Profis zurückgreift.

Was auf den ersten Blick allein wie eine finanzielle Einsparung erscheint, macht auf den zweiten durchaus Sinn: „Die Kinder werden von den Ehrenamtlern viel individueller betreut, oftmals sogar mit Familienanschluss“, erzählt Claudia Simon. Häufig entwickele sich ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen Mündel und Vormund. „Ich bin für mein ehemaliges Mündel zu einer Art mütterlicher Freundin geworden“, erzählt Manuela Eßer, die mittlerweile eine neue Vormundschaft übernommen hat. Der kleine Junge lebt in der gleichen Pflegefamilie wie das nun volljährige Mädchen. „Ich habe sie gefragt, ob das für sie in Ordnung wäre, ich wollte nicht, dass sie sich ausgetauscht fühlt“, erklärt Eßer. Die Antwort der jungen Frau sorgte für einen Gänsehautmoment: „Mach das! Ich finde das toll! Mein kleiner Bruder soll auch bekommen können, was ich hatte.“

„Die Kinder sind wahre Überraschungspakete“

Auch wenn die ehrenamtlichen Vormundschaften in den zurückliegenden Jahren selten scheiterten – Herausforderungen gehören bei dieser Art von Ehrenamt dazu. „Die Kinder sind wahre Überraschungspakete“, meint Jugendamtsmitarbeiterin Petra Zehren und spielt auf die belastenden Erfahrungen an, die die Mündel in ihrem jungen Leben meist schon gemacht haben. „Auch Ehrenamtler kommen bisweilen an ihre Grenzen, aber dann sind wir da und unterstützen, wo es geht“, versichert sie.

Das kann Beatrice Lange nur bestätigen. 2016 haben ihr Mann und sie die Schulung beim Kreis Euskirchen absolviert, kurze Zeit später übernahmen sie für ein 16-jähriges Mädchen aus Kamerun die Vormundschaft. „Eine supernette, aber aufgrund ihrer Vergangenheit geprägte und sehr misstrauische junge Frau“, erinnert sich die 66-Jährige aus Satzvey.

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Die Vormundschaft für eine unbegleitete minderjährige Geflüchtete zu übernehmen, ist mit ganz anderen Herausforderungen verbunden, allen voran bürokratischen. Beatrice Lange ließ sich nicht bange machen und bereitete das Mädchen auf sein Asylverfahren vor, ging sogar mit ins alles entscheidende Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und freute sich schließlich mit ihr über die Anerkennung des Flüchtlingsstatus.

Dies gelang ihr auch bei ihrem zweiten Mündel, einem ebenfalls geflüchteten Mädchen, diesmal aus Guinea. „Ihr drohten in der Heimat Zwangsheirat und Beschneidung, was wir auch nachweisen konnten.“ Auch Beatrice Lange hatte ihren Gänsehautmoment: „Am 18. Geburtstag des Mädchens kam der positive Bescheid vom Bamf. Den habe ich ihr – hübsch als Geschenk eingepackt – überreicht.“

Die beiden afrikanischen Mädchen fanden bei Beatrice Lange nicht nur eine kompetente Unterstützung in allen Lebensbereichen, sondern auch Familienanschluss. „Wir haben zusammen gekocht, zusammen Geburtstage oder Weihnachten gefeiert.“ Während ihr erstes Mündel irgendwann in die Hände der Profis vom Jugendamt überging, blieb das zweite Mädchen bis zur Volljährigkeit in ihrer gesetzlichen Vertretung. „Wir haben immer noch viel Kontakt, es ist mir eine Riesenfreude zu sehen, wie diese junge Frau gelernt hat, hier in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“ Jede Vormundschaft, so Beatrice Lange, habe ihre eigene Dynamik und stelle einen immer wieder vor neue Herausforderungen. „Turbulenzen muss man schon aushalten. Wer ein ruhiges Leben führen will, sollte keine Vormundschaft übernehmen.“

Die Chemie muss stimmen

Tatsache ist: Eine Vormundschaft ist ein Ehrenamt, das einem viel zurückgeben kann, das aber auch auf Jahre angelegt ist. „Entsprechend wichtig ist die Sympathie, die Chemie muss stimmen zwischen Mündel und Vormund“, betont Petra Zehren. Bevor das Gericht die Vormundschaft ausspricht, lernt man sich natürlich kennen. Claudia Simon: „Es ist ungeheuer wichtig, auch Nein sagen zu können, wenn das Gefühl nicht stimmt – und zwar von beiden Seiten.“

Voraussetzung für diese Art des Engagements sei die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen: Pflegeeltern, Pflegestellen, Jugendhilfeeinrichtungen, Jugendamt. „Unser Credo bei den Schulungen lautet: Man muss eine Einheit bilden“, erklärt Claudia Simon.

Aus dem Alltag der Vormünder und Mündel berichteten Petra Zehren (l.) und Claudia Simon (3.v.l.) vom Jugendamt sowie die beiden ehrenamtlichen Vormünder Manuela Eßer (r.) und Beatrice Lange.

Aus dem Alltag der Vormünder und Mündel berichteten Petra Zehren (l.) und Claudia Simon (3.v.l.) vom Jugendamt sowie die beiden ehrenamtlichen Vormünder Manuela Eßer (r.) und Beatrice Lange.

Die beiden hauptamtlichen Vormünder sehen vor allem Vorteile in dem Ehrenamtsprojekt: Während ein Vollzeit-Amtsvormund an die 50 Mündel betreut, übernimmt ein Ehrenamtler nur für ein Kind oder einen Jugendlichen die rechtliche Vertretung. Die Beziehungen, die entstehen können, sind nicht zu vergleichen mit denen, die die Profis aufbauen. Ehrenamtliche Mündel verbringen „Exklusivzeit“ mit ihren ehrenamtlichen Vormündern, die häufig weit über den gesetzlich vorgeschriebenen monatlichen Mindestkontakt hinausgeht. „Dass die Mündel auch nach der Volljährigkeit oft noch engen Kontakt zu den Familien haben, ist ebenfalls wertvoll“, so Petra Zehren, die daran erinnert, dass „heutzutage doch kaum ein Jugendlicher mit 18 wirklich schon flügge ist und aus dem Haus geht“.

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