Wiederaufbauhilfen„Im Großen und Ganzen kommen die Anträge von Weißen Schafen“

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Bei ihren häufigen Besuchen in der Flutregion, hier in Kall, sucht NRW-Ministerin Ina Scharrenbach Kontakt zu betroffenen Bürgern.

Bei ihren häufigen Besuchen in der Flutregion, hier in Kall, sucht NRW-Ministerin Ina Scharrenbach Kontakt zu betroffenen Bürgern.

Kreis Euskirchen – In der Flutregion ist NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach so präsent wie kaum ein anderer Vertreter des Landes. Bei ihren Besuchen, über die sie vorab Medien so gut wie nie informiert, da sie aus der Notlage der Menschen keinen politischen Profit schlagen will, sucht sie stets das direkte Gespräch mit Betroffenen. Und weiß, wo viele aktuell der Schuh am meisten drückt: Neben der Antragstellung für Wiederaufbauhilfe und dem Warten auf die Auszahlung sei das der akute Mangel an Handwerkern und Baumaterialien.

„Wenn ich die Telekom frage, warum in Metternich immer noch kein Festnetz funktioniert, lautet die Antwort, man habe keine Platinen“, sagt Scharrenbach. Bei der Vermittlung von Handwerkern biete aber das von den Kammern ins Leben gerufene Portal gute Hilfestellung.

Kritik am Online-Antragsverfahren der Wiederaufbauhilfen

Am 161. Tag nach der Flutkatastrophe skizziert Scharrenbach in einer virtuellen Pressekonferenz den Sachstand zum Wiederaufbau in den von der Starkregen- und Hochwasserkatastrophe betroffenen Kommunen. Sie legt eine kommunenscharfe Liste vor (siehe „Wiederaufbauhilfe in Nordrhein-Westfalen“).

Wiederaufbauhilfe in Nordrhein-Westfalen

Insgesamt 10.610 Anträge auf Wiederaufbauhilfe des Landes sind bisher gestellt worden. 6604 Anträge (62,2 Prozent), so teilte NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach in einer Pressekonferenz mit, seien bearbeitet. 10.537 Anträge kamen von privaten Haushalten oder Unternehmen der Wohnungswirtschaft (davon 2693 im Kreis Euskirchen), 49 von den Kommunen für Maßnahmen zur Wiederherstellung der Infrastruktur. Zudem gab es 24 Anträge von Kommunen für Entsorgungskosten. 4473 Anträge seien bearbeitet und im Bewilligungsprozess, in 2131 Fällen gebe es Rückfragen oder es werde geprüft, ob sie plausibel sind. Im Auszahlungsprozess befinden sich damit mehr als 145 Millionen Euro (145.261.529 Euro), davon 83 Millionen Euro für Privathaushalte und Unternehmen der Wohnungswirtschaft (im Kreis Euskirchen sind es 26,6 Millionen Euro).

Im Kreis Euskirchen sieht es bei den Privathaushalten und der Wohnungswirtschaft so aus:

Bad Münstereifel: 424 Anträge, davon 243 im Bewilligungsprozess; 4,93 Millionen Euro im Auszahlungsprozess. Blankenheim: 25 Anträge, 9 in der Bewilligung; 113.000 Euro im Auszahlungsprozess. Dahlem: 6 Anträge, keiner in Bewilligung oder Auszahlung. Euskirchen: 1020 Anträge, 545 in der Bewilligung; 9,94 Millionen Euro im Auszahlungsprozess. Hellenthal: 51 Anträge, 18 in der Bewilligung, 290 000 Euro im Auszahlungsprozess. Kall: 167 Anträge, 99 in Bewilligung, 1,56 Mio. in Auszahlung. Mechernich: 193 Anträge, 82 in der Bewilligung, 1,4 Millionen Euro im Auszahlungsprozess. Nettersheim: 52 Anträge, 24 in der Bewilligung; 378 000 Euro im Auszahlungsprozess. Schleiden: 379 Anträge, 209 in der Bewilligung; 4,21 Millionen Euro im Auszahlungsprozess. Weilerswist: 219 Anträge, 133 in der Bewilligung; 2,6 Millionen Euro im Auszahlungsprozess. Zülpich: 157 Anträge, 72 in der Bewilligung, 1,15 Millionen Euro im Auszahlungsprozess. Heimbach: 13 Anträge, 7 in Bewilligung; 129 800 Euro in Auszahlungsprozess.

Im Weihnachterlass hat das Ministerium entschieden, dass Auszahlungen, die in der Zeit vom 20. Dezember bis zum 3. Januar erfolgen sollen, vorgezogen werden vor Weihnachten. Das sind rund 10 Millionen Euro. Der Neujahrserlass regelt, dass Auszahlungen, die zwischen dem 4. Januar und dem 14. Januar erfolgen sollen, auf den Jahresanfang vorgezogen werden, das sind weitere 12 Millionen Euro.

An Soforthilfen zahlte das Land 102,4 Millionen Euro an Privathaushalte, 65 Millionen Euro an Kommunen und überwies 35,7 Millionen Euro für betroffene Unternehmen sowie land- und forstwirtschaftliche Betriebe an die Kommunen. (ch)

Deutlich genervt reagiert sie auf immer wieder angeführte Kritik am Online-Antragsverfahren. „Es gibt Leute, die wegen der ständigen Berichterstattung über die bürokratische Antragstellung keine Anträge stellen“, ärgert sich Scharrenbach. Und verweist noch mal auf die vielfältigen Hilfestellungen der Vor-Ort-Betreuung durch die Kommunen und Kreise, die Sparkassen-Organisation, einen externen Dienstleister oder die Wohlfahrtsverbände: „Die Vor-Ort-Beratung funktioniert.“ Auch Erleichterungen wie die Antragstellung mit nachträglichem Einreichen von Schadensgutachten nennt Scharrenbach. Anträge können noch bis zum 30. Juni 2023 gestellt werden.

Bearbeitung komplex und personalintensiv

Bis auf einige gravierende Fälle in Millionenhöhe, die gleich zu Beginn des Verfahrens aufgefallen seien, gebe es zwar hier und da Hinweise aus den Städten und Gemeinden auf mögliche „Schwarze Schafe“ unter den Antragstellern, die Geld aus dem 12,3-Milliarden-Euro-Topf, der dem Land aus dem Aufbauhilfefonds zur Verfügung steht, unberechtigt abstauben wollen. „Doch im Großen und Ganzen kommen die Anträge von Weißen Schafen“, sagt Scharrenbach. Trotzdem sei die Prüfung und Bearbeitung komplex und personalintensiv. Bei einem Besuch in der Gemeinde Blankenheim habe sie vor einigen Tagen auf einer Bank gesessen und auf der gegenüberliegenden Seite eine weggerissene Wand gesehen. Der Betroffene habe aber nur einen Antrag wegen seines Hausrats gestellt. „Das zeigt, wie vielfältig die Schadenslage ist.“ Dies zeige auch das hohe Anruferaufkommen.

Die Landesregierung habe für den Wiederaufbau insgesamt 284 Stellen eingerichtet. Die Bezirksregierung Köln, die besonders betroffen ist, werde bei der Antragsbearbeitung durch nicht betroffene Bezirksregierungen, etwa die in Münster oder Detmold, unterstützt.

Personalnot in den Kommunen

Personalnot haben aber ganz besonders die Kommunen. Die brauchten dringend Verstärkung. Daher habe sie den neuen Bundesfinanzminister angeschrieben, um eine Änderung der Bundesvorgaben im Hinblick auf kommunales Personal zu erwirken. Das darf nach Vorgabe von Christian Lindners Vorgänger Olaf Scholz nicht über die Aufbauhilfe 2021 bezahlt werden. „Ich hoffe, dass Herr Lindner jetzt die bürokratischen Fesseln löst“, sagt Scharrenbach. Und so den schnellen Wiederaufbau in den Kommunen ermögliche. Einem Aufruf ihres Ministeriums, dass pensionierte „Senior-Experts“ die Kommunen unterstützen können, seien in vier Wochen 48 Leute gefolgt. Zehn Kommunen hätten sich mit Personalbedarf über die Plattform gemeldet.

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Bei ihren Besuchen in den Kommunen hat Scharrenbach auch den Eindruck gewonnen, dass trotz der Bemühungen, möglichst schnell wiederaufzubauen, die Kommunen trotzdem nachhaltig im Hinblick auf Starkregen und Hochwasser planen. Da das Zeit und vielfältiger Beratung bedürfe, habe noch keine Kommune einen Wiederaufbauplan vorgelegt.

Auch die Bezirksregierung reagiert. So habe sie schon 300 Hektar an geplanten Baugebieten wegen der fehlenden Überflutungssicherheit aus dem Regionalplan genommen. Hochwasserrisiken- und Starkregen-Gefahrenkarten sollen zusammenfasst werden, um Wiederaufbau und Schutzmaßnahmen effektiv zu machen. Und zwar über Kommunen und Ländergrenzen hinweg. Scharrenbach: „Wasser macht nicht an Ländergrenzen halt. Der Kronenburger See schützt Rheinland-Pfalz. Und Hochwasserschutz in Blankenheim hat Auswirkungen aufs Ahrtal.“

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