Finanzämter in NRWIn Köln-Nord wartet man am längsten auf den Steuerbescheid

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Symbolbild

Köln – Am 13. November 2017 flatterte einem Unternehmerehepaar aus dem Kölner Raum ein Schreiben ins Haus, das viel Ärger mit sich brachte. Absender war die Finanzbehörde, und die verlangte eine saftige Nachzahlung auf einen Steuerbescheid, der schon viele Jahre zurücklag.

Ursprünglich sollte das Paar für das Jahr 2009 eine Einkommenssteuer in Höhe von 159.000 Euro bezahlen. Doch dann starteten die Beamten eine Steuerprüfung, die einige Jahre in Anspruch nahm. Im Winter vergangenen Jahres schließlich lag der korrigierte Steuerbescheid für 2009 im Briefkasten.

Demnach sollten die Eheleute knapp zwei Millionen Euro Einkommenssteuer nachzahlen. Aber nicht nur das. Es fielen außerdem rückwirkend 240.000 Euro Säumniszinsen an. Dagegen legte das Ehepaar Beschwerde beim Kölner Finanzgericht ein. Begründung: Die Höhe der Zinsen sei nicht mit der Verfassung vereinbar. Das Gericht lehnte ab und erhielt die Forderung aufrecht. Die Sache landete nun beim Bundesfinanzhof (BFH).

Horrende Zinsen auf Nachzahlungen, die erst Jahre später ermittelt wurden

Der 9. Senat des Bundesgerichts mit Sitz in München hat den Fall verhandelt und dem Ehepaar am Montag in einem Eilverfahren recht gegeben (AZ 15V3279/17). Es bestünden „schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel“, ob der Zins in seiner jetzigen Form und Höhe nicht gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitssatz und das Übermaßverbot verstößt, heißt es in der Begründung.

Nach der seit 1961 gültigen Regelung wird bei einer Steuernachforderung ein satter Aufschlag fällig. Ein halbes Prozent für jeden Monat beträgt der Nachzahlungszins. „Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirkt in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung“, stellte der BFH fest.

„Die Entscheidung war längst überfällig, der Zins ist viel zu hoch“, sagte Hans-Ulrich Liebern, Steuerexperte beim Bund der Steuerzahler NRW. Der Kölner Fall sei geradezu beispielhaft. „Die Betriebsprüfungen geben den Finanzämtern die Möglichkeit, rückwirkend Zinsen auf Nachzahlungen zu erheben, die erst Jahre später ermittelt worden sind. Da kommen dann teilweise enorme Summen zusammen.“

In Berlin geht die Steuerprüfung am schnellsten

In Einzelfällen würden auch zu lange Bearbeitungszeiten der Finanzämter für die Steuerbescheide zu Zinszahlungen führen, sagte Liebern. Im bundesweiten Vergleich rangieren die Steuerbehörden in Nordrhein-Westfalen laut einer Auswertung des Unternehmens „Lohnsteuer kompakt“ im oberen Drittel. Im Schnitt brauchen die Sachbearbeiter in NRW 51,6 Tage, um eine Steuererklärung zu prüfen und den Bescheid zu verschicken.

Das schnellste Bundesland in Deutschland ist Berlin mit 47,9 Tagen, am längsten brauchen die Bremer Beamten mit 62,9 Tagen. Die Übersicht zeigt die Verhältnisse in den 103 Finanzämtern in NRW. Hier ist Schwelm am schnellsten, nur eine der sieben Kölner Behörden ist schneller als der NRW-Schnitt. Der mit Abstand langsamste Fiskus in NRW ist laut Statistik das Finanzamt Köln-Nord mit 85,4 Tagen.

Seit Jahren legen Betroffene immer wieder Beschwerde gegen die Zahlungsaufforderung ein und beantragen Aussetzung in der Hoffnung, das Bundesverfassungsgericht möge sich irgendwann der Sache endlich annehmen und eine klärende Entscheidung treffen. Allein am Kölner Finanzgericht sind derzeit 36 Verfahren anhängig.

Unterschiedliche Rechtssprechung

„Wir verzeichnen eine deutliche steigende Tendenz“, sagte Gerichtssprecher Norbert Eppers. „Das liegt sicher auch an der öffentlichen Debatte darüber, ob der Zinssatz noch verfassungsgemäß ist.“ Doch selbst beim höchsten Finanzgericht der Bundesrepublik gehen die Meinungen darüber diametral auseinander.

Im November 2017 erst hatte der dritte Senat des Bundesfinanzhofs in einem ähnlichen Fall aus dem Jahr 2013 entschieden, dass die bisherige Regelung durchaus nach wie vor zulässig sei. Ihre Begründung stützten die Richter auf eine Berechnung mit verschiedenen Zinsmodellen für Kredite und Einlagen. Vom Sparbuch bis zum Dispo ergab sich demnach eine Spanne von 0,15 bis 14,7 Prozent.

Die schnellsten und langsamsten Finanzämter in NRW.

Die schnellsten und langsamsten Finanzämter in NRW.

Die Schlussfolgerung: Der sechsprozentige Aufschlag des Fiskus habe die „Bandbreite realitätsnaher Referenzwerte“ nicht verlassen. „Eine Ärgerlichkeit“ reiche nicht aus, damit der Zins verfassungswidrig werde, sagte der Vorsitzende damals. Der neunte Senat unter Vorsitz des amtierenden BFH-Präsidenten Rudolf Mellinghoff hat die Begründung der Kollegen deutlich zurückgewiesen.

Die hohen Zinsen etwa für Dispo und Kreditkarten seien „Sonderfaktoren“ und als Referenzwert daher ungeeignet. Zudem würden die sechs Prozent angesichts der „strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße“ überschreiten. So liege etwa der Leitzins der EZB seit mehr als zwei Jahren bei null Prozent. Es sei davon auszugehen, dass auch dem Gesetzgeber „die Notwendigkeit einer Anpassung der Zinshöhe bekannt ist“.

Staat macht dickes Plus

Das allerdings ist fraglich. Denn die Finanzbehörden argumentieren, dass dem Gleichheitsprinzip gemäß ja auch verspätet ausgezahlte Steuerguthaben mit sechs Prozent verzinst würden, die Praxis daher sehr wohl verfassungskonform sei. Unterm Strich allerdings macht der Staat ein sattes Plus. Der Nachzahlungszins spült jährlich mehr als zwei Milliarden Euro in die Kassen der Finanzbehörden. Wie viel davon in NRW landet, kann das zuständige Ministerium allerdings nicht sagen.

Der Gesetzgeber hat immer wieder darauf verwiesen, dass der einheitliche Zinssatz die Arbeit der Verwaltung erheblich vereinfache. Hier sagt der BFH nun, dass diese Argumentation aufgrund des Einsatzes moderner Datenverarbeitungstechnik nicht mehr greife. Das sieht der Steuerzahlerbund NRW ebenso. „Im digitalen Zeitalter sollte es auch in der Finanzverwaltung kein Problem mehr sein, den Zinssatz variabel an das Marktniveau anzugleichen“, sagte Hans-Ulrich Liebern.

Das Bundesverfassungsgericht will nach eigenen Angaben noch in diesem Jahr über die umstrittene Zinspraxis der Finanzämter entscheiden. Bis es so weit ist, muss jeder Steuerzahler selbst Einspruch gegen einen Zinsbescheid einlegen. Dabei kann er sich auf die aktuelle Entscheidung des BFH berufen.

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