Es geht nicht nur um CO2Warum wir zwingend den Ausstoß von Methan reduzieren müssen

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Wenn sie rülpst, kommt Methan raus.

Jülich/Köln – Frau Kiendler-Scharr, in einer gerade veröffentlichten Studie zu Umweltkosten der Milchproduktion, die u.a. in der Eifel und im Bergischem Land durchgeführt wurde, spielen Rülpser von Kühen natürlicherweise eine große Rolle. Treibhausgase wie Methan bilden bei der Berechnung als Klimakosten den größten Anteil der entstehenden Belastung und werden mit durchschnittlich 20 Cent pro Kilo beziffert. Haben wir die sogenannten CO2-äquivalenten Gase bei der Klimadebatte genug im Blick?

Astrid Kiendler-Scharr: Methan ist ein bedeutendes Klimagas. Aber der wichtigste Aspekt dabei ist, dass man bei Methan eine große Stellschraube hat. Zur bisherigen Klimaerwärmung von global 1,1 Grad hat Methan bereits einen wärmenden Anteil von 0,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beigesteuert.

Warum dann diese CO2-Dominanz? Wenn der klimawirksame Beitrag allein von Methan so eminent ist, ist der starke Fokus auf den Ausstoß und die Reduzierung von Kohlendioxid trotzdem gerechtfertigt?

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Kiendler-Scharr: Ja, das ist er trotzdem. Das hat mit der extremen Langlebigkeit von CO2 in der Atmosphäre zu tun. Methan ist wie Ozon oder Ruß und Feinstaub ein kurzlebiger Stoff. Wenn man aufhört, es zu emittieren, wird Methan innerhalb von etwa zehn Jahren luftchemisch abgebaut. Damit verschwindet auch die Klimawirkung des Gases – das meine ich, wenn ich von der großen Stellschraube spreche. Was wir aber heute an CO2 emittieren, wird noch in hunderten von Jahren in der Atmosphäre sein. Der aktive Klimaantrieb, der davon ausgeht, wirkt sehr, sehr lange nach.

Dennoch, im jüngsten Bericht des Weltklimarats IPCC gibt es erstmals ein eigenes Kapitel über klimawirksame Stoffe wie Methan, dessen Leitautorin Sie waren. Warum war das nötig?

Kiendler-Scharr: Der Weltklimarat setzt sich aus 164 Nationen zusammen. Es ist ein politischer Wunsch, mehr über die kurzlebigen Stoffe in der Atmosphäre zu erfahren. Zum einen, weil man eben erkannt hat, dass relativ schnell etwas passiert, wenn man diese Stoffe bremst. Zum anderen, weil diese Stoffe auch Luftschadstoffe sind. Während des luftchemischen Abbaus von Methan entsteht Ozon, ein Reizgas. Bei anderen Kohlenwasserstoffen können sich neben Ozon auch Partikel bilden– all das muss man auch aus Gründen der Luftqualität betrachten. Aber die Fragestellung für den Weltklimabericht war durchaus auch: Wenn man die Luftqualität verbessern kann, ist das nicht auch gleichzusetzen mit Klimaschutzmaßnahmen?

Und - ist es so? Kann man berechnen, was es etwa konkret bringt, wenn man Methan einspart?

Kiendler-Scharr: Wir haben für den Bericht verschiedene „Was wäre wenn“-Überlegungen angestellt. In den Szenarien wird betrachtet, was es für die Temperatur und andere Klimaentwicklungen bedeutet, wenn sich der Ausstoß von CO2, Methan und anderer klimawirksamer Stoffe so oder so entwickelt. Und das machte deutlich: Bis zum Ende des Jahrhunderts kann eine Erhöhung von 0,8 Grad vermieden werden, wenn eine drastische Reduzierung der kurzlebigen Stoffe wie Methan und Ruß gelingt im Vergleich zu einem Szenario, das sich um diese Stoffe eben nicht kümmert.

Zur bisherigen Erwärmungsstufe hat Methan schon 0,5 Grad beigetragen, da scheinen 0,8 Grad ja gar keine so beeindruckende Ausbeute über diesen langen Zeitraum.

Kiendler-Scharr: Aber Sie müssen bedenken, dass das Methan, das 1900 ausgestoßen wurde, heute nicht mehr aktiv ist. Wenn ich also bis Ende des Jahrhunderts 0,8 Grad über diesen Hebel einspare, ist das – vor allem vor dem Hintergrund, dass wir jetzt ja schon bei 1,1 Grad Erwärmung sind – doch ein ganz schöner Batzen.

Laut Umweltbundesamt sinkt hierzulande der Methanausstoß und lag im vergangenen Jahr bei 1,9 Millionen Tonnen. Wir haben eingangs schon die Kühe erwähnt – Tierbestände verursachen einen hohen Anteil der Treibhausgase. Was wissen Sie noch über die Quellen?

Kiendler-Scharr: Die drei anthropogenen Hauptquellen sind Landwirtschaft sowie Förderung und Transport von fossilen Brennstoffen, etwa Erdgas – da gelangt über Leckagen Methan in die Atmosphäre. Es ist also ein reiner Verlust des Rohstoffs. Deutschland hat tatsächlich vor allem in der Abfallwirtschaft in den vergangenen 30 Jahren massiv abgebaut.

Was das Umweltbundesamt aber auch berichtet: Wenn man sich die Methan-Emissionen pro Kilowattstunde im deutschen Strom-Mix anschaut, zeigt sich, dass diese im gleichen Zeitraum wegen des Erdgas-Anteils um den Faktor zehn zugenommen haben. Diese Veränderung sollte man mit einer gewissen Aufmerksamkeit betrachten.

Von wissenschaftlicher Seite hören wir nun immer öfter, dass sich Wetterextreme in Zukunft häufen werden. War die Flutkatastrophe im Juli in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz der Vorbote oder schon das neue Normal?

Kiendler-Scharr: Global liegt die Klimaerwärmung bei 1,1 Grad. In Deutschland liegt die Temperaturerhöhung bereits bei 1,6 Grad, weil sie über Land etwas höher ist als über Wasser. Und diese 1,6 Grad haben schon dazu beigetragen, dass Extremereignisse wie Hitzewellen und auch Dürren zugenommen haben – da sind die Zahlen signifikant. Extremereignisse werden übrigens nicht nur häufiger, sondern auch extremer.

Da das Wetter von Jahr zu Jahr variiert, braucht man Messdaten von langen Zeiträumen, um den Einfluss des Klimawandels beziffern zu können. Für Starkregen-Ereignissen gibt es diese Daten noch nicht in vergleichbarer Qualität wie für Hitze. Deshalb ist auch die Unsicherheit bei der Aussage etwas größer als bei Hitze. Man weiß aber, dass es einen Bezug zum Klimawandel gibt.

Am Sonntag beginnt die UN-Klimakonferenz in Glasgow. Gibt es die reelle Chance, das Pariser Abkommen, also die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, umzusetzen, wo wir genau jetzt auf dem absoluten Höchststand der CO2-Emissionen global gesehen sind?

Kiendler-Scharr: Wissenschaftlich gesehen gibt es die Möglichkeit. Das setzt aber voraus, dass bis Mitte des Jahrhunderts – und das ist nicht mehr ganz so weit wie es klingen mag – die Emissionen auf die Netto-Null runtergefahren werden. Netto-Null bedeutet, dass alle Emissionen, die dann noch stattfinden, auch wirklich durch zusätzliche Senken kompensiert werden. Insofern hängt das sehr vom politischen Willen und von den Maßnahmen ab.

Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund zu sagen, das ist eh nicht erreichbar, also weitermachen wie bisher. De facto ist es so: Wenn wir das Pariser Klimaabkommen umsetzen wollen und global die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzen wollen, dann werden wir uns von fossilen Brennstoffen verabschieden müssen – egal welchen.

Es wird immer wieder betont, der Bericht des Weltklimarates sei eine Zustandsbeschreibung, keine Handlungsaufforderung an die Politik. Wie stehen Sie dazu?

Kiendler-Scharr: Als Wissenschaftler ist man genau darin gut, den Zustand genau zu beschreiben und zu bewerten - das tut der IPCC ja auch. Allein das zu tun, und vor allem auch so, dass die Ergebnisse für den wissenschaftlichen Laien verständlich sind, ist sehr wichtig. Für mich ist das ein Paradebeispiel dafür, wie die Wissenschaft gesellschaftliche Relevanz belegt und wichtige Themen voranbringen kann.

Sie sind seit neun Jahren Leiterin des Instituts für Energie- und Klimaforschung, IEK-8: Troposphärenforschung – wie hat sich Ihre Arbeit seither verändert?

Kiendler-Scharr: Viele Luftqualitätsprobleme wurden in der Vergangenheit relativ effektiv bekämpft und überwunden. Denken Sie an die Ozon-Problematik in deutschen Innenstädten und Ozon-Alarm im Sommer, oder die Einführung von Katalysatoren. Das Zusammenspiel zwischen Emissionen und Beeinträchtigung der Luftqualität ist schon lange im Fokus. Das dort gewonnene Wissen auch für die Klimaforschung im Detail einsetzen zu können, ist ein Schritt, den wir erst in den letzten Jahren beginnen konnten.

Signifikant dafür sind technische Fortschritte: Wir können durch die Erweiterung der Rechenkapazitäten den Einfluss luftchemischer Elemente in den Klimamodellen auch besser berechnen.

Wofür hätten Sie gerne mehr Forschungsmittel?

Kiendler-Scharr: Wenn es beispielsweise um die Energie- und Mobilitätswende geht und die Frage, was kommt da durch neue Technologien und beispielsweise synthetische Kraftstoffe an neuen Emissionen auf uns zu, würden wir das gerne verstärkt in den Blick nehmen. Dafür untersuchen wir auch jetzt schon, welche Emissionen gebildet werden können, machen Experimente in unserer Atmosphären-Simulationskammer und entwickeln Modelle. Die kontinuierliche Beobachtung in der Atmosphäre, beispielsweise im Rahmen von IAGOS an Bord von Linienflugzeugen, erlaubt es, langfristige Änderungen der Zusammensetzung der Atmosphäre zu beobachten. Diese Messungen durch neue Messmethoden weiter auszubauen ist ebenfalls eine wichtige Priorität unserer Forschung.

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Nun sind Sie ja auch Bürgerin und die Bundestagswahl noch nicht so lange her. Was bewegt Sie?

Kiendler-Scharr: Auch da die Eindrücklichkeit unserer Datenlage: Je nachdem, wie Emissionen in den kommenden Jahren reduziert werden, dürften die 1,5 Grad Erwärmung bis 2040 überschritten werden. Je nach Emissionen wird ab 2040 die Temperatur dann weiter ansteigen oder eine Stabilisierung eintreten. Es hängt also von den Maßnahmen in den nächsten Jahren ab, wie weit wir den Klimawandel begrenzen.

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