1650 Euro für eine PfanneLeverkusener Abmahnverein kassiert bei Rentner rigoros ab

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Hans-Werner Scholl mit seiner Pfanne, für die er 1650 Euro zahlen musste.

  • Abmahnvereine verdienen ihr Geld, indem sie bei kleinsten Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht die Händler zur Kasse bitten.
  • Inzwischen hat sich eine Art Abmahnindustrie etabliert.
  • Der betroffene Rentner Hans-Werner Scholl fühlt sich an „Mafia-Methoden“ erinnert.

Leverkusen – Hans-Werner Scholl lächelt ein wenig gequält in die Kamera. Zu tief sitzt der Ärger. Gerade erst hat der Rentner, der nebenbei als eBay-Händler für Küchenartikel arbeitet, 1650 Euro an einen Abmahnverein in Leverkusen überwiesen.

Der IDO Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen e.V. hatte den 75 Jahre alten Rentner aus Alsdorf bei Aachen angeschrieben und ihn auf eine falsche Garantieerklärung bei einer seiner beschichteten Beka-Pfannen hingewiesen. Der für seine rigorose Abmahnpraxis berüchtigte Verein versandte gleich eine Kostennote mit. Als Scholl nicht zahlen wollte, klagte der IDO Verband erfolgreich vor dem Aachener Landgericht. „Ich hatte die Pfanne völlig vergessen“, bekannte Scholl gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, „und es somit versäumt, die Garantieerklärung zu ändern.“

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Hans-Werner Scholl mit seiner Pfanne, für die er 1650 Euro zahlen musste.

Der IDO-Verband nicht. Unter den 345 Artikeln auf der Online-Liste des Kleinhändlers entdeckten die Leverkusener zielsicher einen Fehler im Garantiepassus. Anstatt 30 Euro für die Pfanne zu erhalten, musste der Rentner ordentlich zahlen. „Das war die teuerste Pfanne meines Lebens“. Im Rückblick fühlt sich der gelernte Druckmeister an „Mafia-Methoden“ erinnert.

Horrende Summen für läppische Verstöße

So wie Hans-Werner Scholl erging es bereits Tausenden Leidensgenossen. Wegen teils läppischer Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht mussten sie horrende Geldsummen begleichen. „Im Schnitt werden 1936 Euro fällig“, teilte der Branchendienst „Trusted Shops“ nach einer Umfrage Mitte Dezember 2019 mit. Damit seien die Abmahnkosten im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gestiegen. Knapp die Hälfte der befragten 1336 Online-Händler sei bereits betroffen gewesen. Gerade viele Betreiber kleiner Verkaufsplattformen fürchteten um ihre Existenz, so das Fazit.

Inzwischen hat sich eine Art Abmahnindustrie etabliert. Für zahlreiche Anwälte und Interessen-Vereine stellen diese Gebühren eine lukrative Einnahmequelle dar. Der Gesetzgeber erlaubt ihnen im Namen von Klienten oder Mitgliedern, die als Konkurrenten auftreten, gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen. Insbesondere bei den Anbietern im Internet ist viel Geld zu holen. So etwa bei Hans-Werner Scholl. Eigentlich kann er gut von seiner Rente leben. Im Seniorenalter hat er seine Kochkünste perfektioniert. „Da ich nicht einrosten wollte, habe ich einen digitalen Pfannenshop aufgemacht.“ Mittlerweile aber muss ein Händler so viele Paragrafen beachten, dass semiprofessionelle Online-Shop-Betreiber wie Scholl Fehler machen und zur Kasse gebeten werden.

Jede vierte Abmahnung vom IDO Verband

Laut der Trusted-Shop-Untersuchung stammt jede vierte Abmahnung der Befragten vom IDO Verband, der nach eigenen Angaben die Interessen von 2600 Mitgliedern aus der Handelsbranche vertritt. Der Kölner Anwalt Christian Solmecke kennt die Methoden des Vereins: „Der IDO mahnt Onlinehändler ab, die entweder einen eigenen Onlineshop betreiben oder auf Plattformen wie eBay und Amazon aktiv sind.“

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Meist werden laut Solmecke einfach festzustellende und durchsetzbare Verstöße abgemahnt. Dabei geht es ihm zufolge um „unvollständige Angaben bei der Widerrufsbelehrung, fehlende Grundpreisangaben oder auch die Werbung mit Garantien“. Weitere beliebte Angriffspunkte: Unzureichende Datenschutzerklärungen oder die Verwendung von AGB-Klauseln, die von der Rechtsprechung als irreführend eingestuft werden.

Große Koalition kündigte Gesetzentwurf 2018 an

Aus Sicht von Carsten Föhlisch, Leiter der Rechtsabteilung von „Trusted Shops“, „drängen sich hier Gesetzesänderungen zur Bekämpfung des Abmahn-Unwesens geradezu auf“. Als ersten Schritt empfiehlt der Justiziar, die Hürden für Mitbewerber und Verbände zu erhöhen, um etwaige Ansprüche geltend zu machen. 2018 hatte die große Koalition ein Gesetz angekündigt, um den Abmahn-Missbrauch einzudämmen und einen fairen Wettbewerb zu garantieren. Bisher ist es bei einem Gesetzesentwurf geblieben.

Folglich nutzen Verbände wie der IDO weiterhin die Lücken der alten Regelung aus. „Das Eis, auf dem der IDO-Verband wandelt, wird allerdings zunehmend dünner“, berichtet der Kölner Zivilrechtler Solmecke. „Inzwischen haben zahlreiche Gerichte Abmahnungen des Vereins als rechtsmissbräuchlich eingestuft.“

OLG Frankfurt: Abmahnung , um Geld zu verdienen, ist Rechtsmissbrauch

So sprach das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt im vergangenen Jahr dem IDO die nötige Prozessführungsbefugnis ab. Begründung: Die Verbandsmitgliederliste enthalte keinen Händler, der in echter Konkurrenz zu dem beklagten Shop-Inhaber stehe. Demnach handele es sich bei dem IDO um einen Verein, „der aus rein finanziellen Interessen Abmahnungen im großen Stil durchführe“. Ein Rechtsmissbrauch.

Ende März 2020 folgte das OLG Celle mit einem weiteren Urteil. Die IDO-Mitglieder seien ohne jegliches Stimmrecht nur Mittel zum Zweck, um durch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen Einnahmen zu generieren.

Die unterlegene IDO-Partei hat inzwischen Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. „Ein höchstrichterliches Urteil darf mit Spannung erwartet werden“, sagt Solmecke.

Die Staatsanwaltschaften Trier und Köln haben ebenfalls die Praktiken des Leverkusener Abmahnverbandes unter die Lupe genommen. Dabei ging es meist um den Verdacht der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung durch die erste Vereinsvorsitzende Sarah S. zu Mitgliederlisten. Denn nur derjenige darf klagen, der glaubhaft machen kann, dass er im Namen vieler branchenspezifischer Konkurrenten prozessiert.

IDO-Verband weist Vorwurf einer „Abmahn-Mafia“von sich

Auf Anfrage betonte der IDO-Verband, dass diese Verfahren eingestellt worden seien. Zugleich bezeichnete eine Sprecherin die Niederlagen in Zivilprozessen als „Ausreißer“.

Zum Teil seien diese Richtersprüche noch nicht rechtskräftig, zum Teil seien sie durch andere Entscheidungen überholt. „Die Aktivlegitimation wird von den Gerichten durchgehend bejaht“, heißt es in einer Stellungnahme. Auch gebe es keine „Abmahn-Mafia“. Dies sei eine Worterfindung von Verschwörungstheoretikern.

Hans-Werner Scholl überlegt nun, ob er den Online-Shop weiter betreiben will. „Denn viel kommt da ohnehin nicht bei herum“, sagt er.

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