Studien und Recherchen zeigen, dass die dem Autobahnausbau in Leverkusen zugrunde gelegten Verkehrssteigerungen nicht eingetroffen sind.
Autobahnbau in LeverkusenWo sind die vorhergesagten Verkehrssteigerungen?

Wird hier eine zu große Autobahn für zu wenige Autos gebaut? Studien legen das nah. Im Bild ist eine neue Fahrspur der Autobahn 1 auf der rechten Seite im Bau sichtbar.
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Die alte Leverkusener Brücke musste durch eine neue ersetzt werden, weil der alte Stahl Risse bekommen hatte. Gleichzeitig beschloss die damalige Bundesregierung den groß angelegten Ausbau der Autobahnen 1 (Megastelze) und 3 und des Leverkusener Kreuzes auf dem Leverkusener Stadtgebiet. Den Ausbau auf streckenweise mehr als die doppelte Breite begründete die Behörde mit zu erwartenden Steigerungen bei den Verkehrszahlen. Für 2030 prognostizierte man im Planfeststellungsbeschluss täglich mehr als 133.000 Autos, Lkw und Motorräder, die die Brücke passieren sollten.

Straßen NRW setzte für den groß angelegten Ausbau in Leverkusen erhebliche Verkehrssteigerungen voraus, die so wohl nicht eingetroffen sind.
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Diese Verkehrssteigerung zugrunde gelegt, bekamen die Ausbauten der Brücke, der Megastelze und des Autobahnkreuzes und der A3 vom Bundesministerium den Stempel des „vordringlichen Bedarfs“ aufgedrückt, das ist praktisch ein umfassendes O.K.
Hat man sich damals verrechnet oder hat sich die Welt verändert? Mehrere Recherchen und Berechnungen legen inzwischen den Schluss nahe, dass die vorhergesagten Steigerungen auf den Autobahnen, auch in Leverkusen, so nicht eingetreten sind. Daten-Journalisten beim „Spiegel“ werteten zum Beispiel frei käufliche Daten aus TomTom-Navigationsgeräten aus. Und der Thinktank „Agora Verkehrswende“ gab kürzlich eine Studie heraus, nach denen die vorhergesagten Steigerungen hinterfragt werden müssen.
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Autobahn GmbH hat keine aktuellen Zahlen herausgegeben
Misstrauisch macht die Redaktion auch, dass die Autobahn GmbH seit April auf Anfragen immer wieder vertröstet und keine aktuellen Zahlen herausgibt.
Die Leverkusener Verkehrszentrale der Autobahn GmbH mache eine Auswertung zur Entwicklung der Verkehrszahlen zur Freigabe der neuen Rheinbrücke, so die Antwort damals. Allerdings müssten die Zahlen unter anderem noch „validiert“ werden. „Wir werden zu dem Thema beizeiten kommunizieren“, antwortete ein Autobahn-Sprecher Anfang April auf unsere Anfrage. Bis heute ist nichts gekommen.
Mehrere Studien und Recherchen zeigen einen neuen Trend für die Verkehrszahlen
Andere haben aber Zahlen herausgegeben, wie der Thinktank „Agora Verkehrswende“, der Themen zur klimaneutralen Mobilität bearbeitet. Die Berliner Verkehrsspezialisten erstellen Analysen auf wissenschaftlicher Basis. Am 8. Juli 2025 veröffentlichten die Wissenschaftler ihren sogenannten Verkehrswende-Radar. Dort heißt es: „Im Vergleich zum vierten Quartal 2019, dem Vergleichszeitraum vor der Corona-Pandemie, lag das Pkw-Aufkommen im vierten Quartal 2024 auf Autobahnen bei 96 Prozent, auf Bundesstraßen nur bei 93 Prozent. Der Pkw-Bestand wuchs hingegen auf 104 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau.“
Wiebke Zimmer, stellvertretende Direktorin von Agora Verkehrswende, schreibt: „Die Zeit des Verkehrswachstums auf deutschen Straßen scheint zu Ende zu gehen. Das zeichnete sich bereits vor einem Jahr in unseren Datenanalysen ab und zeigt sich jetzt wieder in unserem Verkehrswende-Radar.“
Mittelfristig ist zu erkennen, dass die Kraftstoffpreise seit Ende der Pandemie deutlich über dem Vor-Corona-Niveau liegen, während das Pkw-Aufkommen konstant darunter verbleibt. Es sei nicht auszuschließen, dass zwischen diesen Kennzahlen ein Zusammenhang bestehe, so die Untersuchung. Zum ziemlich gleichen Ergebnis kam 2024 die Schweizer Prognos AG in einer eigenen Studie.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt jetzt auch der „Spiegel“: In einem Artikel vom 21. Juli 2025 widmet das Nachrichtenmagazin sich auch den Leverkusener Problemen ausgiebig.
Die Daten aus den Navigationsgeräten, die flüssigen Verkehr und Stau registrieren, deuteten in Leverkusen eher auf zeitweise dichten Verkehr, weniger auf einen bereits stattfindenden Verkehrsinfarkt hin, schreibt das Magazin. Im Durchschnitt aller Werktage des Jahres 2024 zeigten die Daten, dass auf der Rheinbrücke und am Kreuz Leverkusen eine mittlere Geschwindigkeit von etwa 70 km/h gefahren werde. Auf der Stelze mittags sogar 90.
Auch „Google Maps“ stellt anschaulich aufbereitete Daten typische Verkehrsmuster für einzelne Straße und Autobahnen zur Verfügung. Die Seite zeigt die aktuelle, aber auch für jeden Wochentag und beliebige Tageszeiten die zu erwartende Staulage auf den großen Straßen an. Die Karten zeigen mit grün, gelb und rot unterlegten Straßen an, ob der Verkehr flüssig ist, zäh fließt oder still steht.
Beim Schieben der Regler kann jeder selbst herausfinden: Das Ergebnis deckt sich mit den Tomtom-Daten des „Spiegel“: Rote Bereiche, also stockender Verkehr bis Stau, finden sich fast immer nur vorm Leverkusener Kreuz und vor den Baustellen. Nicht die eigentliche Dimension der Straßen scheint das Problem zu sein, sondern die Engstellen und Baustellen Leverkusener Kreuz und etwa die Anschlussstelle Leverkusen-Zentrum auf der A3. Die Google-Daten entstammen Smartphones, sie nutzen deren Bewegungsdaten.

Die Zählstelle "Leverkusen 5004" auf der A3 ist an den im Asphalt eingearbeiteten Induktionsschleifen erkennbar.
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Um einen ganz genauen Blick auf die Leverkusener Verkehrszahlen zu werfen, gibt es im Netz die öffentlich zugänglichen Rohdaten der Bundesanstalt für Straßenwesen. An vielen Stellen auf allen Autobahnen gibt es Zählstellen, die Pkw, Lkw und Motorräder zählen und viele weitere Daten registrieren. Einige Leverkusener Messstellen waren zeitweise außer Betrieb, wegen der Bauarbeiten auf der Straße, aber nicht alle. Es ist höchst kompliziert, die Rohdaten auszuwerten, dazu braucht es Programmier-Kenntnisse.
Ein exemplarischer Vergleich für Zahlen des Monats Mai zeigen einen interessanten Trend, die Betrachtung ist aber nicht als wissenschaftliche Analyse zu verstehen. Auf der A3 (Zählstelle südlich Leverkusen) hat es demnach nach dem Ausbau der Strecke eine leichte Steigerung gegeben. Auf der Zählstelle auf der A1 westlich der Rheinbrücke hat der Verkehr nach unseren Stichproben (Mai-Zahlen) im Vergleich zu 2012, also die Zeit vor allen Baumaßnahmen, sogar abgenommen.