Bayer-04-FanserieFanbetreuer Paffrath und Linde: „Wir sind eben der Fan-ADAC“

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Drahtseilkünstler-Team: Die Fanbetreuer Frank Linde, Rüdiger Vollborn, Sebastian Friedrich und Andreas Paffrath (v. links).

Drahtseilkünstler-Team: Die Fanbetreuer Frank Linde, Rüdiger Vollborn, Sebastian Friedrich und Andreas Paffrath (v. links).

  • Die Fanbetreuer Bayer 04 Leverkusens sind Mittler zwischen Fans und Verein.
  • Das macht ihre Arbeit über Fußballfreuden hinaus nicht selten auch kompliziert.
  • Für unsere neue Serie über die Fanszene des Vereins sprachen wir mit ihnen.

Leverkusen – Sie geht weiter, unsere Fanserie zu Bayer 04. Zuletzt haben wir lange und ausführlich mit den Fanbetreuern Andreas „Paffi“ Paffrath (53), Frank Linde (45), Sebastian Friedrich (31) und Rüdiger Vollborn (57) gesprochen. In der heutigen Folge erklären uns zunächst einmal die beiden Erstgenannten als Urgesteine, was ihre Arbeit aus- und manchmal kompliziert macht.

Seit einigen Jahren bekommt man – auch durch manche Medien – den Eindruck vermittelt, dass Stadien zum Treffpunkt von Menschen geworden sind, die auf Gewalt aus sind. Ist Fanarbeit schwieriger geworden?

Paffrath: Nein. Man muss das ins Verhältnis setzen: In den 80er Jahren beispielsweise gab es bei Spielen viel mehr Randale und sehr oft Schlägereien. Und die Rahmenbedingungen waren anders: Früher gab es eine Überwachungskamera. Jetzt gibt es gefühlt 298 Kameras. Früher gab es einen Fanbeauftragten, heute vier. Früher gab es einen Mitarbeiter beim sozialpädagogischen Fanprojekt, heute sind es drei, mit denen wir gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Früher gab 40 Ordner, heute 380. Früher gab es 30 Polizisten bei einem Spiel, heute sind es einige Hundert. Sprich: Es wird viel getan, dass eben nichts mehr passiert. Und die Außenwirkung ist dann mitunter eine andere: Wenn jemand, der nie Fußballspiele besucht, heutzutage vor dem Stadion plötzlich mehrere Polizeifahrzeuge sieht, dann könnte er sich denken, dass dort etwas Schlimmes passiert sein muss.

Linde: Auch hat sich das Anspruchsdenken der normalen Fans verändert. Beispielsweise ist es schon vorgekommen, dass ein Fan beim Spiel mit Sektorentrennung ausnahmsweise nicht direkt, sondern über eine Stahltreppe zum Block laufen musste und ihm dadurch Wasser vom Schuh eines anderen weiter oben auf den Kopf tropfte. Das brachte ihn so in Rage, dass ich als Blitzableiter fungierte. Habe ich alles schon erlebt. Und damit hat die vielzitierte aktive Fanszene, die von der allgemeinen Öffentlichkeit oft kritisch gesehen wird, nichts zu tun.

Sie sind nun nicht nur Fanbeauftragte. Sie sind auch noch vom Verein bezahlte Fanbeauftragte. Das macht es nicht leichter, oder?

Paffrath: Ich will es mal so sagen: Ich fühle mich als Drahtseilkünstler. Warum? Ich bin Mitarbeiter des Vereins. Und Fan. Auf der einen Seite sind die Fans, die Erwartungen an mich haben. Auf der anderen Seite steht der Verein. Ich muss jetzt auf dem Drahtseil balancieren und aufpassen, dass ich nicht runterfalle. Egal zu welcher Seite hin. Und bisher: Bin ich noch nicht runtergefallen.

Was müssen Sie denn können fürs Balancieren?

Paffrath: Als Fanbeauftragter muss ich vermitteln können. Und ich muss dolmetschen können. Weil der Fan manchmal den Verein nicht versteht – und umgekehrt. Oder weil der Fan den Polizisten nicht versteht, der ihm da gegenübersteht. Und das ist nicht immer leicht, denn: Ich bin ja auch Fan. Wenn wir verlieren, habe ich auch einen dicken Hals. Da kommt also viel zusammen, um auf dem Seil zu bleiben. Aber wären wir je runtergefallen, säßen wir heute nicht hier. Und: Hinzu kommen zu diesen Aufgaben noch die Integration von Menschen mit Behinderung und andere soziale Projekte.

Linde: Wir bieten etwa regelmäßige Aktionen wie unsere „Fußballfans im Training“-Kurse an, die sich wochentags an ein breites Publikum richten. Die Leute beschäftigen sich also über die Spiele am Wochenende hinaus mit Bayer 04 und sehen: Der Club besteht aus mehr als „nur“ den Profis.

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Wie weit geht der Einsatz eines Fanbetreuers?

Paffrath: Man ist fast immer im Dienst. Eine Geschichte: Bayer spielt. Und das Spiel ist echt spannend. In der zweiten Halbzeit bekomme ich eine Mail auf mein Handy: „Beschwerdebrief. Schöne Grüße von Volker. Block D7, Reihe x, Platz y.“ Ich denke mir in so einer Situation: „Sollte er nicht eher das Spiel genießen und seine Mannschaft anfeuern?“ Aber gut: Ich gehe zu dem Herrn, spreche ihn an – und er ist erstmal geschockt, dass ich so schnell auf seine Nachricht reagiere. Ich frage ihn, was denn los sei. Er sagt, dass der Typ vor ihm ständig auf den Boden spucke und brülle. Und das müsse seine Tochter ja nun nicht unbedingt mitbekommen. Da hat er Recht. Also spreche ich mit dem anderen. Der sieht es ein – und die Sache ist geklärt. Auch das gehört dazu.

Und verlangt Ihnen zweifelsohne einiges ab.

Paffrath: Wir sind eben der Fan-ADAC. Und um einen Kollegen von Borussia Mönchengladbach zu zitieren: Wir haben das Hobby zum Beruf gemacht – aber wir haben kein Hobby mehr. Manchmal fühlt man sich im Block ganz schön allein. Ich stehe da im Stadion, inmitten der Fans. Aber ich bin eben nicht nur Fan. Oder: Ich stehe zwar auch der Polizei gegenüber, habe aber eine Weste an, auf der steht „Fanbetreuung“, denn ich will den Knüppel und das Pfefferspray ja eben nicht abbekommen – was aber trotzdem schonmal passiert ist.

Verliert man durch diese Arbeit Illusionen?

Linde: Ich mag diesen Spruch des Kollegen aus Gladbach gar nicht. Ich sage: Man hat andere, man hat mehr Hobbys.

Paffrath: Man muss schon zusehen, dass man nicht zu viele Erlebnisse mit nach Hause nimmt. Denn man bekommt natürlich auch harte Schicksale mit. Vor einigen Tagen hat sich beispielsweise ein Mädchen gemeldet, das suizidgefährdet ist. Sie kommt mit der durch Corona bedingten Situation überhaupt nicht zurecht. Man bekommt zudem Eheprobleme mit. Man geht im Stadion gegen sexuelle Belästigung vor. Sprich: Man bekommt nahezu alle Facetten des Lebens mit.

Machen Sie Ihre Handys nachts aus?

Paffrath: Also früher lag’s noch am Bett…

Linde: Heute liegt das Diensthandy meist im Büro.

Paffrath: Zu Beginn, als Reiner Calmund mir noch so einen riesigen Telefonknochen in die Hand drückte, war das spannend. Teil meines Vereins zu sein führte dazu, dass ich ständig erreichbar war. Aber das legt sich irgendwann. Abgesehen davon, dass man durch die neuen Medien ohnehin automatisch viel mehr erfährt als früher.

Linde: Eben: Das Abschalten des Handys alleine reicht nicht. Facebook, Twitter und Co. – man kommt am Fußball ja gar nicht mehr vorbei. Schon gar nicht, wenn ein Verein wie Bayer nicht nur am Wochenende, sondern auch unter der Woche im Europacup spielt. Viele Fans ziehen uns auf: Wir würden Lustreisen auf Kosten des Vereins machen. Die Wahrheit ist: Wir bekommen manchmal kaum etwas von den Spielen mit, weil wir uns um verschiedene Angelegenheiten kümmern und viele Gespräche führen. Das ist aber auch das Schöne an dem Beruf: Man lernt viele unterschiedliche Menschen kennen und freut sich jedes Mal, wenn man sie wiedersieht.

Ist der Beruf des Fanbetreuers dennoch Ihr Traumberuf?

Paffrath: Ja. Denn das, was ich durch diesen Job schon erlebt habe, hätte ich nicht erlebt, wenn ich weiter bei Agfa an der Fräsbank gearbeitet hätte. Ich hätte auf all die schönen, oft aufregenden Erlebnisse in allen möglichen Stadien und Ländern verzichten müssen.

Linde: Und am schönsten ist der Dank, den wir trotzdem häufig erfahren. Dieser Dank reicht mir eigentlich auch schon.

Paffrath: Zumal er mir in der heutigen Gesellschaft an vielen Stellen fehlt. Da ist es umso schöner, wenn wir ihn für unseren Einsatz bekommen.

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