Chemie-Unfall in LeverkusenExplodierter Mix kam aus dem Ausland

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Das Entsorgungszentrum vor der Havarie: Links liegt der Sondermüllofen mit dem explodierten Tanklager.

Leverkusen – Es hat drei Tage gedauert, dem Lanuv die Liste zur Verfügung zu stellen. Und 15, um sie den Bürgern zugänglich zu machen. Am Mittwochnachmittag teilte der Chempark-Betreiber Currenta im Detail mit, was in den Tanks war, die am 27. Juli zu im Mittelpunkt des Chemieunfalls standen, der die Stadt bis heute in Atem hält. Danach ist auch klar: Im Tank 3, der explodiert war und den Großbrand auslöste, befanden sich 14 Kubikmeter schwefel- und phosphorhaltiger Chemiemüll, wie er bei der Produktion von Pflanzenschutzmitteln entsteht. Die Stoffe seien im Auftrag eines „außerhalb des Chemparks ansässigen Kunden aus dem EU-Ausland“ zur Entsorgung in Bürrig bestimmt gewesen, hieß es.

Im Unterschied zu den ersten Angaben nach dem Unfall steht damit einer der sechs kleineren, jeweils 50 Kubikmeter fassenden Behälter am Anfang der Kettenreaktion. Danach gerieten noch sieben weitere Tanks, die direkt daneben standen, in Brand. Einer fasst 200, einer 400 und einer 500 Kubikmeter. Die Füllstände lagen zwischen elf und 79 Prozent, wobei der 500-Kubikmeter-Behälter nur zu elf Prozent gefüllt war. Den Füllgrad des explodierten Tanks gibt Currenta mit 28 Prozent an. Das war möglicherweise ein Segen. Bei den Stoffen in den anderen Tankbehältern habe es sich um lösemittelhaltige Produktionsrückstände gehandelt, die unterschiedliche Konzentrationen von Halogenen, Alkaloiden und Schwefel enthielten, hieß es.

Weitere Daten sollen kommen

Der Chempark-Betreiber will weitere Daten liefern. Derzeit werde die Veröffentlichung der eigenen umfassenden Luft-, Pflanzen- und Bodenproben vorbereitet, die im direkten Umfeld der havarierten Anlage genommen wurden, so Currenta-Sprecher Maximilian Laufer. Auch bei dieser Untersuchungsreihe hätten „alle Proben keine erhöhten Werte.“ Das parallel zur zweiten Messreihe des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz vom Unternehmen vorgenommene eigene Untersuchungsprogramm auf phosphor- und schwefelhaltige Chemikalien sei zum selben Ergebnis wie das der Behörde gekommen. Currenta habe seine Analysen dem Lanuv zur Verfügung gestellt.

Was Dioxin und andere sehr giftige Stoffe im Ruß angeht, gibt es allerdings Unterschiede zwischen dem Lanuv und Greenpeace. Die Umweltschutz-Organisation hatte in einigen größeren Rußpartikeln mehr Spuren des Seveso-Gifts gefunden als die Behörde.

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Unterdessen hat Lanxess-Chef Matthias Zachert eine schnelle und komplette Aufklärung der Katastrophe angemahnt. Sein Unternehmen hielt bis zum Verkauf an den australischen Investor Macquarie 40 Prozent der Currenta-Anteile; aus den Anlagen des Spezialchemie-Konzerns werden regelmäßig Abfälle in Bürrig angeliefert. Zachert zeigte sich vor allem aber bestürzt über den Unfall mit sieben Toten und 31 Verletzten. Bei Currenta arbeiteten „de facto ehemalige Schwestern und Brüder“. Für die Lanxess-Belegschaft seien die Ereignisse „ein emotionaler Schock“. Demgegenüber sei der finanzielle Schaden in einstelliger Millionenhöhe „vernachlässigbar“: Weil eine 200-Kilovolt-Verlust-Leitung bei der Explosion in Bürrig heruntergefallen war, musste der komplette Chempark am 27. Juli heruntergefahren werden. „Das ist mir bei Lanxess noch nie passiert“, berichtete Vorstandschef Zachert.

Brunnen an der Deponie ausgefallen

Nebenbei versucht man bei Currenta, einen Kollateralschaden der Explosion in den Griff zu bekommen. Nach Angaben des NRW-Umweltministeriums sind die Brunnengalerien West und Ost der Sonderabfalldeponie einen Tag nach dem Unfall wegen eines Rohrbruchs ausgefallen. Die Stromversorgung der Pumpen sei immerhin gesichert, deshalb könne nunmehr versucht werden, einen Brunnen im Westen der Deponie, also Rhein-seitig testweise in Betrieb zu nehmen.

Die Ermittlung des Schadens an dieser wichtigen Einrichtung dauere an, heißt es im Ministerium. Geplant sei, die Messintervalle in den Brunnen und Pegeln zu verkürzen, um die Auswirkungen der Grundwasserstände und Fließrichtungen genauer darstellen zu können.

Zwar könnten an der Deponie jetzt kaum Abfälle angenommen werden, nämlich nur rund 20 Prozent der sonst üblichen Mengen. Etwas Platz gewinne man in Bürrig derzeit an der Baustelle für die Autobahnbrücke. Dort werde belasteter Boden deponiert, heißt es. In der Sondermüll-Verbrennungsanlage werde im Moment nichts angeliefert. Man habe Currenta angehalten, „alle betroffenen Abfallerzeuger und Sammler über den Annahme stopp zu informieren“. Ein Strom sei zur Currenta-Anlage nach Dormagen umgeleitet worden.

Kläranlage im Handbetrieb

Darüberhinaus hat auch die Bürriger Kläranlage bei der Explosion und dem Großbrand etwas abbekommen. Die Prozessleitsteuerung sei beschädigt worden, heißt es im Bericht des Umweltministeriums in Düseldorf. „Wesentliche Funktionen“ des Klärwerks, das Currenta gemeinsam mit dem Wupperverband betreibt, müsse derzeit von Hand gemacht werden. Damit dabei nichts schief geht, werde die Anlage, in der neben Chemie-Abwässern auch die der Leverkusener behandelt werden, derzeit täglich vom Lanuv beprobt. Auch das sei bislang ohne Ergebnis: „Eine Überschreitung der für die Einleitung bestehenden Anforderungen wurde bisher nicht festgestellt.“

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