Abo

„Opfer verlieren Lebenswillen“Ermittler jagt Schockanrufer in Köln und Leverkusen

Lesezeit 4 Minuten
Schockanruf Enkeltrick Symbolbild

Ältere Menschen sind in großer Gefahr, Opfer von betrügerischen Anrufern zu werden und an sie ihr Gespartes zu verlieren.

Köln/Leverkusen – Joachim Ludwig ist bei Enkelbetrügern, falschen Polizisten und Schockanrufern gefürchtet. Seit 25 Jahren ermittelt der Kriminalhauptkommissar in Köln und Leverkusen, wenn gezielt ältere Menschen Opfer von Straftaten geworden sind. Mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat er über seine Arbeit, die Täter und die schockierende Hilflosigkeit der Opfer gesprochen.

Leverkusen: 88-Jährige verliert hohe Summe Bargeld

Erst Anfang dieses Monats wird eine 88-jährige Leverkusenerin Opfer skrupelloser Betrüger. Sie erhält einen Anruf, am anderen Ende der Leitung: ein unbekannter Mann, der der Seniorin vorgaukelte, ihre Schwester habe einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht. Nur wenn die 88-Jährige schnellstens einen fünfstelligen Bargeldbetrag bezahle, komme ihre Schwester frei. Am Ende übergibt die Leverkusenerin einer Frau an ihrer Wohnungstür eine Plastiktüte. Der Inhalt: Schmuck und mehrere zehntausend Euro Bargeld.

26 solcher Taten gelangen Betrügerbanden im vergangenen Jahr im Einsatzbereich des Polizeipräsidiums Köln, das Köln und Leverkusen umfasst. Seit 22 Jahren, sagt Kriminalhauptkommissar Ludwig, gebe es den Enkeltrick. Vorher waren es falsche Wasserwerker oder Betrüger, die alte Menschen vor ihrer Haustür abfingen und sich mit fadenscheinigen Gründen Zutritt zu Wohnungen verschafften und diese dann ausräumten.

Schockanrufe: Tausende Telefonate täglich

Aber jetzt wird telefoniert – tausendfach jeden Tag werden Senioren abgeklappert. Ludwig kennt den Modus operandi wie kein zweiter. Gleiches gilt für die Tätergruppe, die, wie er sagt, „alle aus den gleichen Familienclans“ kommen, „egal ob sie in Italien, Tschechien, Polen, Deutschland oder den USA sitzen“. Ein „großes, internationales Netzwerk polnischstämmiger Roma“ sei am Werk – und seit 22 Jahren seien es „die gleichen, die das machen“.

Jeden Tag säßen etwa 50 Personen an Telefonen, pro Stunde rufe jede von ihnen bei zehn bis 15 Seniorinnen und Senioren an, sechs Stunden täglich. An Orte sind sie nicht gebunden. Die Polizei kann nachvollziehen, dass das gleiche Handy zum Beispiel erst eine Stunde in Leverkusen Nummern anruft, dann eine Stunde in Dresden, dann in München. Das hänge auch immer davon ab, wo gerade jemand bereit sei, um eine mögliche Beute abzuholen.

Opfer von Schockanrufen: Überzeugt, dass das nicht passieren kann

Deutschlandweit gebe es jeden Tag erfolgreiche Taten. „In Leverkusen waren es im ganzen letzten Jahr vier, dieses Jahr drei“, sagt Ludwig. Eine bekannte Leverkusener Großfamilie habe im Übrigen nichts damit zu tun. Die habe sich 2005 mal daran versucht, sei aber direkt erwischt worden.

Wie kann es sein, fragt man sich, dass trotz des Wissens um betrügerische Schockanrufe, trotz Infokampagnen, trotz hunderter Medienberichte Menschen noch immer den Betrügern auf den Leim gehen? „Meine Überzeugung ist“, sagt der Kriminalhauptkommissar: „Alle, die Opfer werden, haben vorher mit Angehörigen gesprochen und darüber gelesen. Denen ist vollkommen bewusst, dass es diese Taten gibt. Diese Leute sind fest davon überzeugt, dass ihnen das nicht passieren kann. Ich sage aber: Wenn ich 80 bin, kann mir das auch passieren.“

Polizist Ludwig: „Dann ist alles weg. Jeder klare Gedanke“

„In dem Moment, wo die Anrufer sagen, ein geliebter Mensch hatte einen Verkehrsunfall, wird ein Schock ausgelöst, ein Adrenalinstoß. Dann ist alles weg. Jeder klare Gedanke. Sie sind in einem Tunnel“, sagt Ludwig mit tiefer Stimme. Der Effekt werde dadurch verstärkt, dass man das Gegenüber nicht sehe. „Da entstehen Bilder im Kopf. Im Hintergrund hören Sie Ihre angebliche Tochter weinen. Und zwei Stunden lang wird permanent einer draufgesetzt. Sie werden beherrscht von Stresshormonen, Sie sind total überfordert. Und dann bietet Ihnen einer eine Lösung an. Was machen Sie da?“

Schon oft habe er die Erfahrung gemacht, dass sich das schlagartig ändere, wenn das Geld weg und die grausame Tat vollendet sei: „Den Menschen wird sofort bewusst, was passiert ist“, sagt der Polizist. Die meisten seien danach dauerhaft traumatisiert und psychisch am Ende. Und zwar gerade diejenigen, die mit den Angehörigen vorher immer wieder über die Gefahr gesprochen hatten. „Sie verlieren ihre Selbstachtung, ihren Lebenswillen, da ist Geld das geringste Problem.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Und wie kann man sich schützen? „Es gibt vereinzelt Opfer zwischen 60 und 70 Jahren. Aber sie sind nicht die Zielgruppe der Täter“, sagt Ludwig. Als die Betrüger noch mit Telefon-CDs arbeiteten, hätten sie über einen Altersfilter grundsätzlich Opfer ab 77 Jahren gesucht. „Und Personen dieser Altersgruppe sollten immer davon ausgehen, im Fokus verschiedener Täter zu stehen. Jeder von ihnen muss täglich damit rechnen, dass er irgendwann von Betrügern angerufen wird. Der Sinn dieser Extremtaten liegt darin, die alten Menschen mit einer Botschaft zu überrumpeln, die fassungslos macht. Und diese müssen schon vorher darauf gefasst sein.“

Ludwig erinnert sich an eine betagte Leverkusener Bürgerin, die ihn vor Jahren immer wieder anrief und berichtete. Regelmäßig wurde sie von Betrügern angerufen, die an ihr Geld und ihre Wertsachen wollten. „Drei- oder viermal in der Woche klingelte ihr Telefon“, sagt der erfahrene Ermittler. „Und sie hat immer schön aufgeschrieben, was für Anrufe sie kriegt. Sie hat nur darauf gewartet, dass falsche Polizisten, angebliche Enkel oder vermeintliche Staatsanwälte bei ihr vorstellig werden. Bei ihr waren die Täter chancenlos.“

KStA abonnieren