Die Urologen Michael Stephan-Odenthal und Julia Kowalke über neue Leitlinien zur Prostatakrebsvorsorge und warum es gut ist, dass immer mehr Urologinnen weiblich sind.
Interview mit Urologen in LeverkusenDie Tastuntersuchung der Prostata hat noch nicht ausgedient

Die Urologen Dr. med. Michael Stephan-Odenthal und Dr. med. Julia Kowalke von der Urologie-Praxis Rhein-Berg
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Was gab es früher für empfohlene Prostata-Untersuchungen und warum wurden jetzt die Leitlinien geändert?
Michael Stephan-Odenthal: Die größte Änderung betrifft die Früherkennung. Das, was wir heute als Krebsfrüherkennungsuntersuchung für Männer in der gesetzlichen Krankenkasse definiert haben, stammt aus den 1970er-Jahren, ist also uralt. Die beinhaltet, dass das Genital beim Mann untersucht wird, also Hoden, Penis, die Haut der Geschlechtsteile, die Lymphknoten im Bereich der Leisten, es soll die Analhaut beurteilt werden und dazu gehört eben auch eine Tastuntersuchung von Enddarm und Prostata. Die Konzeption der Untersuchung ist bisher nie geändert worden. In den 1980er-Jahren ist dann PSA in die Diagnostik mit reingenommen worden, eine Blutuntersuchung. Man hat relativ schnell gesehen, dass dieser PSA-Wert deutlich empfindlicher Veränderungen der Prostata anzeigt, als das die Tastuntersuchung bisher geschafft hat. In einer europäischen Screening-Studie in den 90ern stellte sich heraus, dass von Männern, die konsequent mit PSA untersucht worden sind, weniger an Prostatakrebs verstarben als in der Gruppe, deren Blut nicht untersucht wurde.
Was genau misst diese Blutuntersuchung, die ja aktuell noch nicht von den Krankenkassen übernommen wird?
Stephan-Odenthal: Ein Prostata-spezifisches Antigen, ein Eiweiß. Veränderungen dieses Laborwertes zeigen eindeutig nur Veränderungen der Prostata an. Labortechnisch ist es eigentlich ein Traum. Wir wissen, wenn der Wert sich erhöht, stimmt was nicht. Nur: Was genau nicht stimmt, das sagt der Wert nicht. Wir wissen nur, je höher er ist, oder je schneller er ansteigt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich dahinter Krebs verbirgt. Einen Nachteil gibt es: Dadurch, dass der Wert nicht erkrankungsspezifisch ist, wurden relativ viele Männer dadurch verunsichert. Es werden zum Beispiel auch gutartige Tumore aufgedeckt. Das hat dazu geführt, dass ein Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss …
….der festlegt, welche Leistungen die Krankenkassen übernehmen …
Stephan-Odenthal: … vor einigen Jahren scheiterte. Jetzt wurde eine neue deutschlandweite Studie ausgewertet, die „Probase“-Studie, initiiert von der Uniklinik in Düsseldorf. Hier wurde Männern mit 45 erstmals der PSA-Wert gemessen. Und anhand der Höhe hat man dann weiter stratifiziert. Die Studie ist quasi der Aufhänger gewesen für die Änderung der Leitlinie. Erstmals hat man gesagt, die Tastuntersuchung sollte eigentlich keine Rolle mehr spielen in der Früherkennungsuntersuchung bei Männern. Das hat auch den Hintergrund, dass diese Untersuchung – wie man sich vorstellen kann – bei Männern natürlich nicht besonders beliebt ist. Jetzt soll in Zukunft ein neues Vorsorgeprogramm entworfen werden. Allerdings gibt es auch hier natürlich ein paar Einschränkungen, nämlich dass die Aussagen der Studie nur für Männer gelten, die mit 45 beziehungsweise 50 Jahren noch relativ jung sind und die in der Regel noch keine alterstypische Prostatavergrößerung haben. Und das ist eben leider nicht die Klientel, die wir typischerweise hier in der Praxis sehen.
Wie alt sind die Patienten, die zur Vorsorge zu Ihnen in die Praxis kommen?
Stephan-Odenthal: Der größte Teil ist zwischen 60 und 75. Und für die kann man diese Ergebnisse aus der Studie aus meiner Sicht nicht einfach so übertragen.
Was wäre denn dann aus Ihrer Sicht die beste Vorsorge für 60- bis 75-Jährige?
Stephan-Odenthal: Bei denen sollte man die Tastuntersuchung noch machen, allein, um die Größe der Prostata festzustellen. Alternativ zum Tasten, aber leider auch nicht besonders angenehm, ist die transrektale Ultraschalluntersuchung der Prostata. Damit können Sie das Volumen, die Größe der Prostata sehr exakt bestimmen.
Wenn jetzt der perfekte vorsorgewillige Patient zu Ihnen kommen würde, was würden Sie diesem Mann raten, wenn er 30, 45 oder 60 Jahre alt ist?
Stephan-Odenthal: Den 30-Jährigen muss ich leider vertrösten, weil das aktuelle Krebsfrüherkennungsprogramm erst ab 45 gilt. Ihm würde ich sagen: Mach dir nicht so große Sorgen. Das einzig relevante Risiko, was er als 30-Jähriger hat, ist, dass er Hodenkrebs kriegen könnte. Da soll er selber regelmäßig seine Hoden abtasten. Den 45-Jährigen würde ich fragen, ob es in der Familie irgendwelche Risikofaktoren gibt, ob der Vater, Onkel oder Großvater Prostatakrebs gehabt hat. Dann soll er diesen PSA-Wert einmal überprüfen lassen. Bei dem 60-Jährigen würde ich auch empfehlen, seine Prostata mit PSA-Wert untersuchen zu lassen, aber eben auch mit Ultraschallgrößenbestimmung, damit wir den PSA-Wert besser einordnen können und ihn nicht unnötig in Angst versetzen.
Wie häufig ist Prostatakrebs?
Stephan-Odenthal: Das ist der häufigste Krebs bei Männern. In Deutschland gibt es etwa 65.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Es sterben etwa 15.000 Menschen daran. Prostatakrebs ist relativ gut behandelbar, vor allem im frühen Stadium.
Männer gelten immer noch als Vorsorge-Muffel. Hat sich denn in den letzten Jahren irgendwas getan?
Stephan-Odenthal: Mein Gefühl ist, dass sich ehrlich gesagt nicht so wahnsinnig viel bewegt hat. Männer sind von der Psyche her schon auch ein bisschen anders strukturiert als Frauen. Wobei, ich glaube, wenn es ein Einladungsschreiben gäbe, würden auch deutlich mehr Leute den Sprung mal schaffen zum Urologen. Es ist eigentlich nur die erste Vorstellung, die da schwierig ist.
Julia Kowalke: Sobald die einmal bei uns sind, kommen die regelhaft. Und es gibt jetzt schon im kleineren Kreis auch immer wieder Fälle, wo zum Beispiel Fußballvereine auf Vorsorgeuntersuchungen aufmerksam machen. Wie Bayer 04.
Frau Kowalke, es werden immer mehr Frauen Urologinnen. Merken Sie Hemmschwellen bei Männern, wenn Sie sie untersuchen?
Julia Kowalke: Manch jüngerer Patient guckt mich erst mal mit Schrecken an, aber das vergeht ganz schnell. Das kommt immer darauf an, wie sich der Arzt oder die Ärztin sich positioniert. Für mich ist das hier ein normales Geschäft. In der Klinik sind mehr als die Hälfte Frauen, würde ich sagen. Und in der Praxis wird das auch immer mehr. Wir sind hier mit drei Kolleginnen auch schon in der Mehrheit. Das Fachgebiet hat neben Männern als Patienten aber natürlich auch Frauen und Kinder, das vergessen viele. Als ich hier angestellt wurde, waren viele Patientinnen dankbar, dass endlich eine Frau auch niedergelassene Ärztin war.
Mit welchen Problemen kommen Frauen?
Julia Kowalke: Insbesondere mit der Inkontinenzproblematik oder Harnwegsinfekten.
Sind es eher ältere Frauen, die mit Inkontinenz kommen, wo es früher diese ganze Werbung für Beckenboden-Training noch nicht gab?
Kowalke: Natürlich sind es hauptsächlich ältere Frauen. Es gibt aber immer mal wieder auch junge Frauen, die nach einer Schwangerschaft Probleme haben. Die Schwangerschaft selber wie auch die Geburt sind natürlich Belastungen für den Beckenboden, sodass eine Inkontinenz entstehen kann. Aber die kann man ganz gut mit Training beheben beziehungsweise verbessern. Es gibt aber auch eine andere Art von Inkontinenz, die häufig dann die älteren Frauen betrifft, beispielsweise eine überaktive Blase.
Und mit welchen Problemen kommen Kinder zu Ihnen in die Praxis?
Kowalke: Jungen kommen mit einer Phimose, also mit einer Vorhautverengung, die vielleicht immer wieder Entzündungen haben und eine operative Therapie benötigen. Und es kommen Kinder mit nächtlichem oder täglichem Einnässen, junge Mädchen mit Harnwegsinfekten oder Jungen mit Hodenhochstand.
Praxis im Gesundheitspark
In der Gemeinschaftspraxis Urologie Rhein-Berg im Schlebuscher Ärztehaus Medilev arbeiten fünf Ärztinnen und Ärzte, an allen Standorten insgesamt elf. Michael Stephan-Odenthal ist 61 Jahre alt und kommt aus Leverkusen. Julia Kowalke arbeitet seit 2017 in der Praxis, seit 2022 ist sie Gesellschafterin. Die 44-Jährige kommt aus Bergisch Gladbach.urologie-rhein-berg.de