„Mama, ich sterbe“Mutter versucht, Tochter vor Leverkusener zu retten

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Außenansicht des Landgerichts Köln.

Vor dem Kölner Landgericht sagten am Dienstag Zeugen gegen Mustafa J. aus. (Symbolbild)

Vor dem Landgericht Köln erzählt eine Mutter, wie sie versuchte, ihre Tochter vor deren laut Anklage extrem gewalttätigen Freund zu retten. 

Im Prozess gegen Mustafa J. (alle Namen geändert) hat am Dienstag Selin C., die Mutter der Nebenklägerin, vor dem Landgericht Köln ausgesagt. Wie berichtet, ist der Leverkusener Mustafa J. angeklagt wegen rund 30 Straftaten, darunter Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Misshandlung, Körperverletzung. Die sichtlich aufgebrachte Mutter beschrieb kräftezehrende Monate, in denen sie versuchte, ihre Tochter Nadine L. aus den Fängen des Angeklagten zu retten.

Nadine L. haute mit 16 von zu Hause ab und zog kurze Zeit später mit Mustafa J. zusammen. Danach hatte sie nur spärlichen Kontakt zu ihrer Mutter. Als die Teenagerin ihre Mutter in Mülheim an der Ruhr endlich besuchte, zückte sie ihre Handykamera und filmte kommentarlos die gesamte Wohnung der Mutter, wohl um das Material ihrem Freund zu zeigen. Selin C. wusste bis dato nichts von einem Freund ihrer Tochter. Auf einem Briefumschlag in der Handtasche ihrer Tochter fand sie Namen und Wohnadresse des Angeklagten.

Mutter: „Meine Hände waren gebunden“

Selin C. suchte dessen Wohnung im März 2015 auf. An der Tür begrüßte sie ein höflicher junger Mann: Mustafa J. „Er war nett zu mir, muss ich sagen. Aber das war alles gespielt“, sagte Selin C. im Zeugenstand aus. Denn wie sie erst später herausfinden sollte, befand sich ihre verletzte Tochter zu dem Zeitpunkt in der Wohnung. Mustafa J. erzählte der Mutter jedoch, die Tochter sei nicht hier, sondern bei einer Freundin. Dort angekommen, stellte Selin C. fest, dass ihre Tochter nicht da war. 

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Wenige Tage später ruft Nadine L. an und sagt Wörter, die keine Mutter jemals hören möchte: „Mama, ich sterbe.“ Selin C. holt ihre Tochter ab, die zusammengekauert und psychisch zerstört im Auto sitzt. Ein Arzt soll ihre Verletzungen attestieren und Anzeige erstatten. Letzteres kann er nicht tun, Nadine L. muss selbst Anzeige erstatten, hat man Selin C. gesagt.

Überhaupt will die Mutter alles versucht haben, um ihre Tochter zu retten: Jugendamt, Psychotherapeut, Polizei. Die Tochter erzählt ihr aber nach jedem Vorfall, ihr Freund habe sich entschuldigt, alles sei in Ordnung. „Meine Hände waren gebunden“, sagt Selin C. heute.

Kolleginnen sorgen sich um Nadine L.

Den körperlichen und emotionalen Verfall von Nadine bezeugen auch ehemalige Kolleginnen. In den Monaten zwischen Winter 2014 und Sommer 2015 war Nadine L. in einem Lützenkirchener Friseursalon als Lehrling angestellt. In den ersten zwei bis drei Monaten der Ausbildung war Nadine L. glücklich. „Eine bildschöne, junge Frau mit gepflegtem Haar“, erinnert sich eine 37-jährige Kollegin. Die zweite Kollegin, 64 Jahre alt, bestätigt diesen Eindruck in ihrer Anhörung: „Sie war anfangs ein sehr liebes Mädchen.“ Doch dann änderte sich ihr Auftreten.

Die damals 17-jährige Auszubildende schminkte sich nicht mehr, ihre Haare wurden „stumpf und dünn.“ Sie konnte ganze Haarbüschel von ihrer Kopfhaut ziehen. „Das ganze Äußerliche hat sich verändert“, erinnert sich die 64-jährige Kollegin. Nadine L. kam immer häufiger zu spät zur Arbeit, manchmal erschien sie eine ganze Arbeitswoche nicht.

Mit den Mitarbeitern und Kunden sprach sie kaum noch und wirkte in sich gekehrt. Die Kolleginnen wissen, dass ihr Freund schon einmal wegen Zuhälterei angeklagt worden ist, machten sich die Kolleginnen Sorgen, fragten nach ihrem Wohlergehen, doch Nadine L. winkte immer ab.

Im Mai 2015 gelingt die Flucht

Eines Tages kam die junge Frau mit einer Handverletzung zur Arbeit. Die Hand hatte einen grün-blauen Farbton. Sie erklärte, sie habe sich die Hand in der Tür eingeklemmt. Ein anderes Mal war ihre Lippe geplatzt, etwas blutig, erinnert sich die 37-jährige Kollegin heute. Nadine L. wollte nicht einmal, dass ihre Kolleginnen wissen, wo sie wohnt. Als die Kollegin Nadine L. nach Hause fuhr, stieg diese einige Straßen entfernt von ihrem Zuhause aus.

Im Mai 2015 flieht Nadine L. endlich aus der Wohnung in der Hamberger Straße. Humpelnd und leicht gekleidet sucht sie eine Telefonzelle auf, um ihre Mutter anzurufen. Erst nach Wochen und Monaten erzählt Nadine L., was ihr in dem letzten Jahr widerfahren ist: Schläge, Tritte, Bisse und Vergewaltigung. Ihre Mutter: „Hat ihm das Essen nicht geschmeckt, gab es Schläge. War sie schlecht gelaunt, gab es Schläge. War sie müde, gab es Schläge. Wie kannst du so was machen?“, fragte sie im Gerichtssaal in Richtung des Angeklagten.

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