100 Jahre Deponie DhünnaueDiese Leverkusener Berge bleiben Versorgungsfälle

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Luftbild Leverkusen Neulandpark.

Im Grunde der schöne Deckel einer Altlast: der Leverkusener Neulandpark.

1923, vor genau 100 Jahren, begann man in Leverkusen mit der Anschüttung der Kippe in der Dhünnaue.

Für den Niederrhein sind bergige Ufer höchst ungewöhnlich – aber Leverkusen hat welche. Angeblich nennen Binnenschiffer die Hügel nördlich des Bayerwerks die „Leverkusener Berge“. Manch ein auswärtiger Besucher des Neulandparks wundert sich, wenn er erfährt, dass er letztlich auf einem riesigen Berg aus Giftmüll steht.

Die Einwohner hier wissen, dass dort der Abfall „vom Bayer“ liegt, den der ehemalige Chemieriese seit den 1920er-Jahren nahe am Werk abgekippt hat; diese ebenso lukrative wie anspruchsvolle Aufgabe der Mülldeponierung und -verbrennung übernahm später die Firma Currenta.

Leverkusen: Ein Teil ist Bauschutt, wesentlich sind die Chemieabfälle

Vom ehemaligen Bayerwerk, vom Tor acht aus betrachtet, steigt das Gelände mit dem gefährlichen Inhalt sanft an. Die ersten 1300 Meter nördlich der Werksmauer gelten als heute mehr oder weniger gut gesicherte Altlast. Unter den alten Kippflächen Dhünnaue-Nord (Autobahnkreuz Leverkusen-West) und Dhünnaue-Mitte und -Süd (Neulandpark und Umgebung Niederfeldstraße) gibt es eine Abdichtung, nach unten ist der Müll-Körper aber offen.

Bis in die 70er-Jahre kippte man die Abfälle einfach auf den Boden in der Dhünnaue. Ein Teil soll Bauschutt und Hausmüll sein, das Wesentliche aber sind die Chemieabfälle. Damit kein Regenwasser durch die zum Teil lösliche, bis zu 20 Meter mächtige Abfallschicht ins Grundwasser sickert, wurden die Altlasten bei der „Sanierung“ ab den 1990er-Jahren mit einer 2,5 Millimeter dicken Folie gedeckelt. Die Fläche im Autobahnkreuz wurde zusätzlich mit einem Asphaltdeckel abgedichtet. Diese Dichtung liegt in mehrere mineralische Schichten eingebettet.

Leverkusen: Eine Grundwasserbarriere soll das Schlimmste verhindern

Fast um das gesamte Gelände, um die Altlast und um die aktive Deponie herum, baute man etwa ab 1998 eine bis zu 38 Meter tiefe Grundwasserbarriere: eine unterirdische Mauer. Die Maßnahmen, mit denen das Grundwasser geschützt werden soll, sind umfangreich: Fünf Brunnen auf der Ostseite vor der Barriere sollen kontinuierlich jede Stunde 625 Kubikmeter sauberes Grundwasser absaugen, das aus dem Bergischen Land in Richtung Rhein fließt. So will man verhindern, dass das Wasser von unten mit dem Müll in Kontakt kommen kann.

Fünf weitere Brunnen auf der westlichen Rheinseite der Deponie pumpen Wasser innerhalb der Grundwasserbarriere ab, also fast unter dem Müll. Sie fördern potenziell schmutziges Deponie-Wasser aus dem Boden. Das saubere bergische Grundwasser nutzt Currenta in seinen Produktions-Prozessen. Das Wasser aus der Deponie kommt in die Kläranlage, wenn alles nach Plan läuft. Diese Brunnen werden bis in alle Ewigkeiten fördern müssen. Es sei denn, man sanierte die Altlasten irgendwann; das würde bedeuten, dass die Müllberge abgebaggert und unschädlich gemacht würden. Ob es jemals dazu kommt?

2001 wurde die Dhünnaueunter anderem mit Asphalt abgedichtet.

Auf der Schiefen Ebene: 2001 wurde die Dhünnaueunter anderem mit Asphalt abgedichtet.

Die Arbeiten zur Sicherung der Altlast liefen nach 1992 an. Erst langsam. Anfang der 1980er-Jahre wurde es hektischer, als man genauer nachgesehen hatte, was da im Boden liegt.

Die frühe Anschüttung in der noch intakten Mündungslandschaft Dhünnaue ist unten, mittig bis rechts, zu sehen. In der rechten Bildecke die Kolonie II.

Felder, wo heute die Altlast und die Deponie liegen. Eine frühe Anschüttung in der noch intakten Mündungslandschaft Dhünnaue ist unten, mittig bis rechts, zu sehen. In der rechten Bildecke die Kolonie II und oben die Dhünn.

Die Besitzverhältnisse sind im Wesentlichen einfach erklärt: Die Altlasten gehören heute fast komplett der Öffentlichkeit, nicht dem Verursacher. Die aktive Deponie, mit der Geld verdient wird, betreibt die Firma Currenta, das Grundstück gehört einer Tochter von Bayer.

Das Autobahnkreuz Leverkusen-West befindet sich bis auf eine Restfläche im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Das ist die Altlast „Dhünnaue Nord“, in der man die gefährlichsten Inhaltsstoffe vermutet.

Der Neulandpark gehört inzwischen fast komplett der Stadt Leverkusen – mit dem Müll unter der Deckschicht. Der Stadt Leverkusen hatte man 1923 die Anschüttung mit der Aussicht auf einen verbesserten Hochwasserschutz für Wiesdorf schmackhaft gemacht. Im ersten Vertrag, der vor genau 100 Jahren zwischen Bayer und der Stadt geschlossen wurde, hieß es: „Eine Haftung der Farbenfabriken für etwaige aus der Anschüttung sich ergebenden Regressansprüche Dritter wird hiermit ausdrücklich ausgeschlossen.“ In einem späteren Vertrag findet sich dieser Passus so nicht mehr.

In einem zweiten Artikel erfahren Sie demnächst mehr über die aktive Deponie.


Die Bayer AG wurde Anfang des Jahrtausends zerschlagen. Der damalige Vorstandsvorsitzende Werner Wenning gliederte das Geschäft mit dem Müll 2003 aus dem Konzern aus, die heutige Currenta wurde zunächst als Bayer Industry-Services (BIS) selbstständig. 2008 wurde BIS in Currenta umbenannt. Die Firma, die die ehemaligen Bayer-Werke, die „Chemparks“, betreibt, gehörte den Leverkusener Unternehmen Bayer (60 Prozent) und Lanxess (40). Seit 2019 gehört Currenta dem australischen Investmentunternehmen „Macquarie Group Limited“.

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