Leverkusens Arbeitgeberchef„Natürlich würde eine Impfpflicht die Firmen entlasten“

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Andreas Tressin

Leverkusen – Im Interview spricht Leverkusens Arbeitgeberchef Andreas Tressin über „Long Covid“ in den Unternehmen, die Impfpflicht und die Lohn-Preis-Spirale.

Herr Tressin, Welle Nummer vier, Sie sprechen von „Long Covid“ in den Unternehmen. Was meinen Sie damit?

Andreas Tressin: Leider hat uns das Corona-Virus mit seinen unterschiedlichen Varianten alle nach wie vor im Würgegriff. Es gibt so viele Neuinfizierte wie noch nie, auch Lockdowns und Kontaktbeschränkungen sind wieder Realität. Sowohl national wie international leiden wir in der Tat unter einer Art „Long Covid“. Es gibt keine Planungssicherheit, vieles ist durcheinandergeraten: Lieferketten und Lieferzeiten, Angebot und Nachfrage, es fehlen Material und Rohstoffe, die Preise steigen unaufhörlich, und immer wieder müssen die Unternehmen kurzfristig ganz neue Arbeitszeitmodelle vereinbaren, auch Kurzarbeit anmelden.

Die Unternehmen haben in diesem Jahr zum Teil viel Liquidität verloren, mussten aber immer wieder bei plötzlich auftretender größerer Nachfrage sofort entsprechend die gesamte Logistik vorfinanzieren und parallel ihr Geschäftsmodell noch auf Digitalisierung und Dekarbonisierung ausrichten, um den neuen Nachhaltigkeitskriterien der Kreditinstitute Rechnung zu tragen. Beinah wöchentlich ging es schließlich darum, die Arbeitsorganisationen an die jeweiligen Hygienevorgaben anzupassen. Permanent waren also pragmatische Lösungen nicht nur in der Arbeitsorganisation im Unternehmen, sondern auch im Beziehungsmanagement mit den Mitarbeitern gefragt – ein Ende ist nicht absehbar.

Zu den Pandemie-Effekten gehört eine lange nicht gesehene Inflationsrate. Die wird in den nächsten Tarifrunden eine Rolle spielen. Schwierig?

Mit der Inflation wird sicherlich auch der Druck der Beschäftigten auf die Gewerkschaften steigen mehr Lohnprozente rauszuholen, so dass sich die Tarifkonflikte verschärfen könnten. Ich möchte aber deutlich davor warnen, mit einem lohnpolitischen Kurswechsel auf die Teuerung zu reagieren, die derzeit nicht nur durch hohe Material- und Rohstoffpreise, sondern vor allem durch hohe Energiekosten angetrieben ist. Das alles verursacht bei den Unternehmen enorme Kosten, aber keine zusätzlichen Gewinne.

Da kommt es umso mehr darauf an, dass die Lohnpolitik nun nicht noch als zusätzlicher Preistreiber wirkt, indem sie die Unternehmen zwingt, steigende Personalkosten auf die Preise zu überwälzen. In Kombination mit den hohen Preisen für Vorleistungen, Rohstoffe und Energie ist nämlich das Risiko der Überwälzung schon jetzt exorbitant hoch. Noch stärkere Steigerungen würden dieses Risiko weiter massiv steigen lassen und die berüchtigte Lohnpreisspirale befeuern.

Von höheren Entgelten hätten also letztlich die Arbeitnehmer nichts, weil sie sich trotzdem unterm Strich nicht mehr leisten könnten; die Unternehmen laufen Gefahr, noch mehr an internationaler Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

Im Sommer wurde viel von der Wahl geredet und wenig regiert. Was waren aus Ihrer Sicht die Folgen?

Wir erlebten das bislang größte Impf-Tohuwabohu in der Pandemie. Einer zeigte auf den anderen: Der Bund auf die Länder, die Länder auf den Bund und zuletzt die Ampel auf die alte Regierungsfraktion und umgekehrt. Das politische „Krisenmanagement“ flüchtete sich immer wieder in Auslegungsfragen unserer Verfassung, leider viel zu oft mit dem Ergebnis: „Besser gar nichts tun als gegebenenfalls etwas Falsches.“ Es fehlte ganz offensichtlich die Fähigkeit und der Wille, Führungsstärke zu zeigen und Entscheidungen zu treffen.

Das Ergebnis haben wir immer wieder zu spüren bekommen: Es wurde, wie im letzten Winter, immer wieder zu spät gehandelt oder überstürzt. Aktuell erleben wir Engpässe bei den Impfstoffen – viel schlimmer aber wäre, wenn sich sogar herausstellen würde, dass man gar nicht weiß, wie viel Impfstoff überhaupt noch vorhanden ist.

Wie stehen die Arbeitgeber in der Region zur Impfpflicht? Würde sie das entlasten?

Je mehr sich die Situation – wie aktuell durch die neue Virus-Variante Omikron – verschärft und deshalb das Gesundheitswesen zu kollabieren droht, verstärken sich natürlich auch die Stimmen nach einer Impfpflicht. Das muss eine Demokratie aber auch aushalten, zumal die Stimmung letztlich nichts anderes als den jeweils vorzunehmenden Abwägungsprozess der Werteordnung unserer Verfassung spiegelt.

Konkret: Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur unmittelbare staatliche Eingriffe in Freiheitsrechte und das Leben, sie gebietet dem Staat zugleich, sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen zu stellen. Das heißt im Zweifel, die Grundrechte vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren. Die Schutzverpflichtung des Staates muss dabei umso ernster genommen werden, je höher der Rang des infrage stehenden Rechtsgutes innerhalb der Werteordnung des Grundgesetzes anzusetzen ist. Deshalb wird eine Pflicht zum Handeln immer dann zu bejahen sein, wenn die mögliche Verletzung der Grundrechte wie etwa die Gesundheit oder das Leben irreparabel ist oder droht – wie jetzt – unbeherrschbar zu werden. Deshalb war für mich nie nachvollziehbar, warum die Politik mit großer Mehrheit über Monate nicht nur eine allgemeine Impfpflicht kategorisch ausgeschlossen hat, sondern sogar von vorneherein für verfassungswidrig hielt.

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Natürlich würden mehr geimpfte Mitarbeiter zu Entlastungen bei den Arbeitgebern führen. Schon deshalb, weil Schutzkonzepte nicht mehr so restriktiv aufzustellen wären und viel mehr Flexibilität in den Arbeitsorganisationen möglich wäre. Die Kontrollpflichten würden sich reduzieren, es käme zu weniger krankheitsbedingten Ausfällen. Das alles würde die pandemiebedingten Mehrkosten verringern. Und eine Impfpflicht würde zu einer entspannteren Arbeitsatmosphäre führen, weil Ängste und Vorbehalte reduziert werden – da bin ich mir ganz sicher.

Ein energieintensives Unternehmen nach dem anderen schwenkt auf Grünstrom um, damit es die Klimaziele erreicht. Geht das überhaupt?

Die Energiewende darf bei den eingeleiteten Transformationsprozessen unter keinen Umständen zum Blackout für die Industrie werden. Aktuell jedenfalls droht nach Berechnungen des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) eine große Stromlücke. Laut EWI müssen nämlich zur Erreichung der Versorgungssicherheit bis 2030 Gaskraftwerke mit einer installierten Leistung von 23 Gigawatt neu gebaut werden, was rechnerisch der installierten Leistung von 23 Atomkraftwerken entspricht. Bei der Bundesnetzagentur sind im Moment 2,3 Gigawatt Gaskraftwerkskapazitäten bis 2023 als geplanter Zubau gelistet. Dieser Wert müsste sich bis 2030 verzehnfachen. Deshalb stellen sich die Experten zu Recht die Frage, wie das erreicht werden soll.

Kommen wir zum zweiten Megathema in der Region neben Corona, der Juli-Flut. Haben die betroffenen Unternehmen das abgearbeitet?

Leider noch nicht alle, einige stecken noch in den Wiederaufbauarbeiten. Wir sind mit unserem Werksarztzentrum ja auch auf der Schusterinsel betroffen und haben dankenswerterweise bei Winfried Leßmann (Med 360°) im Gesundheitshaus eine befristete neue Heimat gefunden. Wichtig war zunächst, dass die öffentlichen Infrastrukturen schnell wiederhergestellt wurden – das ist vorbildlich gelungen.

Jetzt brauchen die Unternehmen versicherungs- und bauplanungsrechtliche Sicherheit, dass die Gewerbegebiete „hochwasserfest“ bleiben. Das schließt die Prüfung von Maßnahmen ein, wie man die Gebiete vor erneuten Überflutungen absichern kann. Das haben wir alles mit der Wirtschaftsförderung und der Kreishandwerkerschaft in einem gemeinsam verfassten „Maßnahmenkatalog zum Wiederaufbau“ gefordert. Jetzt wird der Oberbürgermeister mit den anliegenden Gebietskörperschaften und Städten klärende Gespräche mit dem Wupperverband führen. Nicht nur mit Blick auf Hochwasserfestigkeit, es geht auch um präventive infrastrukturelle Maßnahmen.

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