Lanxess-Chef Matthias Zachert hält den Standort Leverkusen für nicht zukunftsfähig. Arbeitgebervertreter Andreas Tressin sekundiert: Wenn nicht schnell etwas passiert, droht schleichende Deindustrialisierung.
Interview mit Arbeitgeberchef„Mittelmäßigkeit können wir uns nicht mehr leisten“

Andreas Tressin, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands und der Unternehmerschaft Rhein-Wupper
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Herr Tressin, was war eigentlich am schlimmsten im Jahr 2022? Die Corona-Krise, die daraus entstandenen Liefer-Engpässe oder die Energie-Krise?
Andreas Tressin: Letztlich ging es bei den Unternehmen immer um die individuelle Betroffenheit und das richtige Managen der Bedrohungsszenarien, also Corona, Lieferengpässe, Materialmangel, stark gestiegene Preise bei Vorprodukten, Frachtkosten und Rohstoffen und vor allem bei den Energiekosten. In einigen Betrieben war die Situation auch ein Stück weit surreal: Auf der einen Seite exzellente Auftragseingänge, auf der anderen Seite die weltweiten Probleme der gestörten Lieferketten und der dramatisch zunehmende Mangel nicht nur an Fachkräften, sondern an Arbeitskräften überhaupt. Immer mehr Unternehmen mussten an ihre Rücklagen, um das Geschäft überhaupt am Laufen zu halten. Geld, was eigentlich für dringende Investitionen in die großen Transformationsthemen wie Dekarbonisierung und Digitalisierung vorgesehen war. Eine weitere existenzielle Frage: Wie reagieren die Kunden auf Preiserhöhungen? Wie lassen sich insgesamt die gestiegenen Kosten auf die Kunden überwälzen? Die Gefahr wird immer größer, dass die Kunden zu preiswerteren Wettbewerbern im Ausland abwandern. Und so zieht sich die Sorge um eine Deindustrialisierung Deutschland leider immer mehr wie Mehltau über das Land.
Und was sagen Ihre Mitgliedsunternehmen der Metall- und Elektroindustrie zum jüngsten Tarifabschluss?
Machen wir uns nichts vor: Der Abschluss ist sehr teuer und damit eine große Belastung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung der Unternehmen. Insgesamt 8,5 Prozent in 24 Monaten und eine Zahlung von steuer- und abgabenfreien 3000 Euro: Damit erreichen viele die Schmerzgrenze – für manche geht sie auch darüber hinaus. Die Möglichkeiten der Entlastung, etwa durch eine Verschiebung der Sonderzahlung oder die automatische Differenzierung bei schlechter Ertragslage kann für den einen oder anderen Betrieb noch ganz wichtig werden.

Das „Office Center Leverkusen“ in Opladen: Büros sind gefragt. Aber wie steht es um die Industrie?
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Sie sprechen von handwerklichen Fehlern, die zum Beispiel bei der Gas-Umlage gemacht wurden. Politik als lernendes System im Ausnahmezustand – muss man da nicht gnädiger sein?
Es brennt mittlerweile lichterloh. Die Summe der Belastungen ist derart groß geworden, dass immer mehr Unternehmen ihr Geschäftsmodell in Frage stellen müssen, teils sogar Liquiditätsprobleme haben, also ums Überleben kämpfen. Da können wir uns Mittelmäßigkeit in der Politik nicht mehr leisten. Auf vielen Feldern hinkt die deutsche Politik der Weltspitze schon viel zu lange und viel zu deutlich hinterher. Eine Agenda 2030 wie von BDA und BDI gefordert, die auf nationaler wie internationaler Ebene die Wettbewerbsfähigkeit von Standort, Unternehmen und Arbeitsplätzen steigert, muss Maßstab allen politischen Handelns sein.
Die duale Ausbildung bleibt der Schlüssel zur Fachkräftesicherung
Die ausgerufene Zeitenwende darf nicht weiter an Grenzen des Vermögens, der Kompetenzen, des Willens, der Kraft und schon gar nicht an ideologische Blockaden stoßen. Erschreckend und alarmierend müsste doch der ernüchternde Faktencheck des Internationalen Währungsfonds sein: Danach trägt Deutschland beim Wirtschaftswachstum die rote Laterne unter den großen Industriestaaten.
Wenn man Matthias Zachert fragt, ist es die Kombination aus zu teurer Energie und zu langsamer Bürokratie, die den Standort geradezu gefährlich machen. Jedenfalls für einen Chemie-Konzern wie Lanxess. Ist die Zachert-Perspektive auch Ihre?
Wirtschaftsminister Habeck ist absolut zuzustimmen, wenn er den industriellen Kern, und dazu zählt er richtigerweise die Chemische Industrie mit ihren Vorprodukten für die Wertschöpfungsketten, in fast allen Branchen aufgrund der energieintensiven Herstellungsverfahren und einer überbordenden Bürokratie bedroht sieht. Aber diese Branchen können doch nicht so lange warten, bis sie ihr Geschäftsmodell in Deutschland gänzlich in Frage stellen müssen. Weil sich eine Produktion hier nicht mehr rechnet. Oder weil eine viel zu langsame, in Teilen kaum noch justiziable, also nicht mehr planbare Bürokratie die notwendige Transformation verzögert oder sogar verhindert.
Es wäre grob fahrlässig, darauf zu setzen, dass die Unternehmen grenzenlos Preissteigerungen weiterreichen können. Man muss vielmehr fragen: Wer und was hilft in den aktuellen Krisenszenarien den Unternehmen wirklich? Wer schafft von der politischen Seite die richtigen und umsetzbaren Rahmenbedingungen, die nicht zu noch größeren Belastungen führen? Wer verschafft den Unternehmen unbürokratisch und mit schnellen Verwaltungsverfahren die Spielräume, um ihre Transformation nicht nur zu erwirtschaften, zu finanzieren, sondern auch schnell umzusetzen?
Oberbürgermeister Uwe Richrath hängt Zacherts Ankündigung, in Leverkusen keine neuen Anlagen mehr bauen zu wollen, nicht so hoch. Ist die Unternehmerschaft Rhein-Wupper eher Team Zachert oder Team Richrath?
Nach meiner Beobachtung setzen sich viele Akteure nachhaltig für ein Belastungsmoratorium bei den Energiekosten und beschleunigte Verfahren ein. Dazu zählt auch der Oberbürgermeister. Ich erinnere an das Positionspapier, das wir mit Wirtschaftsförderung, IHK, Kreishandwerkerschaft und Wirtschaftssenioren erarbeitet und der Politik überreicht haben, um Wertschöpfung in der Region zu halten.
Die Förderobergrenzen für Großverbraucher sind viel zu niedrig
Aber die Energiepreisbremsen haben Konstruktionsfehler. Die Förderobergrenzen für Großverbraucher sind viel zu niedrig. Außerdem sind alle Unternehmen gezwungen, Rücklagen zu bilden, falls ihr Betriebsergebnis nicht um mindestens 40 Prozent sinkt. Das sind große Unsicherheiten. Einige werden sich überlegen, ob sie überhaupt eine Förderung in Anspruch nehmen. Diese Fehler müssen schnell korrigiert werden. Die Unternehmen brauchen Kalkulationssicherheit, sonst werden und müssen sie sich nach anderen Standorten umsehen.
Der Fachkräftemangel scheint sich inzwischen zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel auszuweiten. Was ist die Antwort darauf? Einwanderung?
Der Arbeitskräftemangel ist inzwischen kein konjunkturelles Problem, sondern ein strukturelles Problem geworden und wird immer mehr zur Wachstumsbremse. Wir brauchen eine ausgewogene Gesamtstrategie, um ausländische Fachkräfte zu gewinnen und alle inländischen Potenziale zu erschließen. Das umfasst auch Ältere und Menschen mit Behinderung. Die Eckpfeiler sind Aus- und Weiterbildung. Die duale Ausbildung bleibt der Schlüssel zur Fachkräftesicherung. Deshalb müssen wir sie ausbauen. Natürlich wirkt sich die Digitalisierung auf die Ausbildungsberufe aus. Digitale Kompetenzen müssen stärker vermittelt werden. Dafür werden wir uns einsetzen und das in unserem Wuppermann-Bildungswerk auch unterstützen. Außerdem müssen die Betriebe in der Lage sein, digitale Zusatzqualifikationen zu vermitteln.
Die Zuwanderung muss praxistauglicher und einfacher werden. Die Behörden brauchen ein übergreifendes IT-System, um die gesetzlichen Regelungen leichter umsetzen und schneller entscheiden zu können.