Interview mit Leverkusens Oberbürgermeister„Natürlich sagen manche, der Richrath ist zu lasch“

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Uwe Richrath sitzt auf einer Mauer vor einer Böschung, die zum Rhein führt. Der Rhein ist groß im Hintergrund, ein Schiff ist zu sehen und die Leverkusener Rheinbrücke.

Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath am Rheinufer.

Uwe Richrath (SPD) blickt im Interview zurück auf das Krisenjahr, erzählt, wie er privat Energie spart – und spricht über den Vorwurf der Führungsschwäche.

Herr Richrath, wie sparen Sie in diesen Zeiten persönlich Energie?

Uwe Richrath: Wir haben zu Hause alle Geräte ausgeschaltet, die elektronisch warmes Wasser produzieren. Ich wohne in einem alten Haus, da läuft die Warmwasserversorgung über Strom. Ich habe das Glück, dass wir ein paar mehr Räume haben, als wir wirklich benötigen, und diese Räume werden kaltgeschaltet. In anderen wird die Temperatur runter gedreht.

Die Devise der Stadt war „Gemeinsam durch den Winter“. Funktioniert das?

Ich habe das Gefühl, es funktioniert. Man hat an der ein oder anderen Stelle Diskussionen, zum Beispiel, wenn es um das Warmwasser in den Sporthallen geht, aber es geht darum zu zeigen, dass wir solidarisch sind. Wir müssen Gas einsparen, um zu vermeiden, dass wir in eine massive Energiekrise geraten. Wenn auch Einiges auf dem Weg dahin symbolische Aktionen sind, muss klar sein, dass jedes Grad zählt.

Eine große Sorge war, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt.

Schon bei der Flut haben die Leverkusener extrem solidarisch gehandelt. Das beobachte ich gerade wieder. Ich bin dankbar, dass wir in Leverkusen in diesen Krisen so eng zusammenhalten. Das zeichnet Leverkusen aus. Wir sind unterschiedliche Stadtteile und gemeinsam eine starke Stadt mit Menschen, die solidarisch bleiben.

Schaffen Sie es, in diesen drei Jahren Dauerkrise zur Ruhe zu kommen, oder haben Sie schlaflose Nächte?

Ich bin ein Mensch, der auch so wenig schläft. Die Kraft schöpfe ich zuhause bei meiner Familie. Es ist oft anstrengend, aber ich habe meistens einen ruhigen Schlaf.

Eine Großstadt wird zu einem Luxusgut, und das darf nicht sein
Uwe Richrath

Mit welchem Gefühl gehen Sie aus diesem schwierigen Jahr?

Ich gehe mit dem Gefühl raus, dass wir in der Lage sind, Krisen zu bewältigen. Das wird auch nicht die letzte Krise sein. Unsere Aufgabe ist es jetzt, uns stark aufzustellen, aus den Krisen zu lernen und mit ihnen zu leben. Das machen wir auch. Die Digitalisierung hätten wir nie so schnell vorangetrieben, hätten wir in der Pandemie nicht sofort agieren müssen.

Von Krisen zu Herausforderungen. Wie kann in Leverkusen neuer Wohnraum geschaffen werden, ohne freie Flächen zu versiegeln?

Spätestens nach der extremen Flut auch in Leverkusen muss klar sein: Wir können nicht weiter in die Fläche gehen. Es geht um Raumverdichtung: Wo können wir Gebäude dazwischensetzen? Wo können wir Gebäude verändern oder auch abreißen und neu bauen? Mir ist wichtig, dass wir das sozialverträglich machen und dass das, was entsteht, keine sozialen Lücken reißt. Bei Bebauungsplänen müssen 25 Prozent bezahlbarer Wohnungsbau entstehen. Es ist auch wichtig, dass wir keine Grundstücke mehr, wenn wir sie noch besitzen, verkaufen. Eine Großstadt wird zu einem Luxusgut, und das darf nicht sein. Dagegen werden wir uns mit aller Kraft wehren.

Lanxess hat schon angekündigt, nicht mehr in Leverkusen zu investieren. Sorgen Sie sich um den Industriestandort und die jetzt noch sprudelnden Gewerbesteuereinnahmen?

Ich sorge mich nicht nur um den Chempark, sondern die gesamte Industriestruktur. Die Industrie steht im weltweiten Wettbewerb und wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die Sicherheit in der Produktion geben. Wir brauchen auf dem Weg zu einer CO2-freien Chemieindustrie Schnelligkeit in Genehmigungsverfahren. Wenn wir das schaffen, mache ich mir keine Sorgen, dass die Industrie weggeht. In Leverkusen haben wir top ausgebildete Mitarbeitende, auch in der Wissenschaft, das hat uns immer ausgezeichnet.

Nahaufnahme von Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath

Uwe Richrath während des Interviews im Restaurant Wacht am Rhein.

Wie wird die Stadt Leverkusen schneller bei Baugenehmigungen?

Ich habe schon alle Stellen freigegeben, die wir freigeben können, um für diese Aufgabe genug Personal zu haben. Aber die Demographie schlägt zu. Wir haben nicht die Möglichkeit, schnell nachzubesetzen. Also müssen wir priorisieren. Was ist uns wichtig als Kommune: Bildungsstrukturen, Kindergärten, Wohnungsbau. Bei anderen Sachen werden wir dann eben langsamer. Wir dürfen den Takt nicht verlieren. Wir müssen durch die Digitalisierung weiter Prozesse verschlanken. Da sind wir auch dran. Aber ich kann nicht von heute auf morgen die Welt einer Stadtverwaltung verändern.

Wo wird es langsamer laufen müssen?

Bei eher weichen Faktoren. Vielleicht Freizeiteinrichtungen, aber auch individuellen Bedürfnisse, wie man sich architektonisch entwickeln will.

Sie meinen den privaten Wohnungsbau?

Ich möchte nicht den privaten Wohnungsbau weglassen, aber ich habe eine Kapazitätsgrenze. Vieles hat sich aufgestaut und wir kriegen nicht alles sofort hin. Wir können nicht alles gleichzeitig. Ich würde am liebsten jeden bedienen, aber das geht leider nicht.

Leverkusen hat nach der Flut und Corona die nächsten 50 Jahre eine riesige Schuldenlast zu tragen. Können Sie versprechen, dass in Ihrer Amtszeit nicht an Schulen und Kitas gespart wird?

Wir haben eins gelernt: Wenn man an Schulen und Kitas spart, verliert man die Zukunft. Wir müssen hier auf dem Gaspedal stehen. Mit der Senkung der Gewerbesteuer auf 250 Punkte hat der Stadtrat es geschafft, dafür eine Basis zu schaffen. Es gibt 64 andere Kommunen in Deutschland, die nichts mit einem Chemie-Standort zu tun haben, die sich nur darauf fokussiert haben, einen steuerlichen Vorteil zu generieren. Das hat mich sehr gestört. Wir haben viel Glück gehabt, dass die großen Konzerne vor Ort sich ihrer Verantwortung bewusst sind und zurückgekommen sind.

Geht der Schuss nach hinten los, wenn die Landesregierung jetzt eine Art Strafsteuer für Leverkusen und andere Kommunen mit niedrigem Steuersatz ansetzt?

Wofür denn eine Strafsteuer? Ich verstehe das nicht. Ich vergleiche mich ungerne mit Kommunen, die auf der grünen Wiese sind und keine Produktionsanlagen haben…

Hendrik  Geisler

Hendrik Geisler

Hendrik Geisler ist Leiter und Head of Digital der Redaktion NRW/Story und Head of Digital der Wirtschaftsredaktion.

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…sprich: Monheim.

Es gibt noch andere Standorte. Haribo sitzt in Rheinland-Pfalz, ich weiß, wo die produzieren: in Bonn und in Solingen. Fragen Sie mal die jeweiligen Bürgermeister, wie die das sehen. In diesen Topf möchte ich nicht reingeworfen werden. Wir sind ein Chemiestandort und ich weiß nicht, warum wir jetzt bestraft werden sollen.

Mit Zug und Hacken zusammen, das ist nicht meine Welt
Uwe Richrath

Sie genießen, anders als Ihr Vorgänger Reinhard Buchhorn, in der Verwaltung einen guten Ruf als Chef. Es heißt aber auch, dass nicht immer richtig Zug im Laden herrscht.

Ich weiß nicht. Mit Zug und Hacken zusammen, das ist nicht meine Welt. Ich stelle die Kompetenz und das Miteinander in den Mittelpunkt. Ich bin kein Zug-Mensch, das möchte ich auch nie im Leben werden. Ich möchte, dass Menschen motiviert sind, und mich als Vorgesetzter vernünftig verhalten. Ich kann es nicht allen recht machen.

Manche werfen Ihnen Führungsschwäche vor.

Was ist Führungsschwäche? Wenn ich einen zusammenfalte? Natürlich werden manche Mitarbeiter sagen, der Richrath ist zu lasch. Ich werde mich im Leben nicht mehr ändern. Es gibt sehr viele Menschen, die fühlen sich wohl, so wie wir arbeiten, und es gibt bestimmte, die sagen mir das nicht so, aber die sind froh, wenn ich weg bin.

Das Gespräch führte Hendrik Geisler

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