Opladener AttesteImpfgegnerinnen müssen trotz Einspruchs vierstellige Strafe zahlen

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Patiententraube vorm Eingang, die sich verm. ein Attest gegen das Impfen holen.

An der Opladener Praxis hatte sich eine Warteschlange im Treppenhaus bis auf die Straße gebildet (Hintergrund). Für 20 Euro gab es Impfunfähigkeitsatteste. Als Journalist war man dort nicht erwünscht.

Sogar aus Nümbrecht reiste eine Frau nach Opladen, um sich ein Attest für ihre Impfunfähigkeit zu holen. Genützt hat ihr das nicht.

Dass ein Arzt an seiner Empfangstheke eine Überwachungskamera installiert hat, mit der er ungefragt alle Patienten beim Anmelden aufnimmt, ist mindestens fragwürdig, womöglich auch ein Verstoß gegen den Datenschutz. In der Opladener Praxis, in der ein Allgemeinmediziner für 20 Euro offenbar wahllos falsche Impfunfähigkeitsatteste ausgestellt hat, war das so. Heute hilft dieser Vertrauensbruch gegenüber den Patienten dem Gericht, der Wahrheit näherzukommen.

Leverkusener Amtsgericht hat einen Berg an Attest-Verfahren abzuarbeiten

Das Leverkusener Amtsgericht hat einen Berg an Einspruchsverfahren abzuarbeiten, von Menschen, die sich ein solches Attest verschafft hatten. Sie alle haben einen Strafbefehl bekommen, weil sie der Anstiftung zum Ausstellen falscher Gesundheitszeugnisse beschuldigt werden. Wer den Strafbefehl akzeptiert, zahlt und die Sache ist damit erledigt.

Diejenigen, die Einspruch einlegen, müssen vor Gericht erscheinen. Die meisten Beschuldigten zahlen aber offenbar. Zwischen dem 11. Oktober 2021 und dem Tag der Razzia am 3. März 2022 sollen sich über 1000 Personen ein solches falsches Attest besorgt haben. Es gab Unverträglichkeitsatteste für das Tragen von Masken in der Praxis. Den Käufern der Atteste wird vorgeworfen, dass sie im Grunde gewusst haben müssen, dass an der Sache mit den Attesten irgendwas faul war. Die von der Impfangst geplagten Menschen hatten sich in den Tagen vor der Razzia stundenlang und bei schlechtem Wetter in die Warteschlange gestellt, die von der Straße durchs Treppenhaus bis zur Praxis reichte.

Impfangst wegen Thrombose?

Eine Rechtsanwaltsfachangestellte aus Nümbrecht rechtfertigte sich: Sie habe eine Thrombose gehabt und Angst vor der Impfung, sagte sie im Gerichtssaal. Dass sie gleich noch Atteste für ihre Tochter und eine – nicht anwesende – Enkelin mit besorgte, lässt mindestens den Verdacht zu, dass die Gründe für ihr Erscheinen in der Praxis auch anders liegen könnten. Die Verwandten hatten schließlich keine Thrombosen. Der Hausarzt der 64-jährigen Nümbrechterin habe versucht, ihr die Angst vor der Impfung zu nehmen, gibt sie bekannt. Das hätte ihr doch komisch vorkommen müssen, sagt dazu die Richterin.

Das wahrscheinlich rechtswidrig entstandene Überwachungsvideo zeigt allerdings, dass der Arzt die Wartenden nicht untersucht hat, bevor er Atteste ausgab. Wie am Fließband soll er eine Person nach der anderen vorne an der Empfangstheke erst zum Bezahlen aufgefordert und dann nach kurzem Gespräch entlassen haben – mit dem begehrten Papier in der Hand. Das Gericht verurteilte die Nümbrechterin zu 30 Tagessätzen à 40 Euro plus Prozesskosten.

Rechtsanwalt Beisicht verliert  nächsten Prozess

Ein in der impfkritischen Szene angesagter Anwalt ist der rechtsextreme Leverkusener Kommunalpolitiker Markus Beisicht. Er verteidigte den zweiten Fall am Freitag, eine Leichlingerin, Mitte 50. Beisicht blieb erfolglos, er verlor, wie am Vortag, auch diesen Prozess wieder; bei den etwa 40 Zuschauern, die ganz offenbar der Impfgegner-Szene angehörten, kam er mit seinen teils ausschweifenden und redundanten Reden aber gut an.

Als Grund, sich ein Attest in Opladen zu besorgen, gab die Leichlingerin an, die Impfung „aus Liebe zum Körper und aus Achtsamkeit zu mir selbst“ abzulehnen. Möglicherweise war sie in ihrer Entscheidung von der Anti-Impf-Propaganda bestimmter Medien vereinnahmt, denn sie sagte: „Meine Sorgen und Bedenken steigerten sich ins Unendliche.“ Sie hatte am 19. Januar 2022 in Opladen Atteste gleich für ihre beiden Kinder mitgenommen. Ohne dass auch nur eins von ihnen in der Praxis anwesend war.

Genutzt hat sie ihr Attest nicht, es gab ja auch nie eine Impfpflicht. Beisicht scheiterte mit mehreren Beweisanträgen; er wollte den Arzt selbst als Zeugen vernehmen, und er forderte, das Überwachungsvideo im Verfahren nicht zu verwerten, das den Fließbandbetrieb im Minutentakt an der Theke zeigt. Es sei illegal entstanden.

Die Leichlingerin muss 50 Tagessätze zu je 20 Euro Strafe zahlen, also 1000 Euro, plus Gerichtskosten. Ein Berufungsverfahren ist möglich.

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