ProzessLeverkusener Marihuana-Deal könnte ein Fall für den Europäischen Gerichtshof sein

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Der Eingangsbereich des Amts- und Landgerichts Köln

Eine harte Nuss hat die 25. Große Strafkammer am Landgericht Köln im Prozess um den Mega-Deal mit Marihuana zu knacken.

Zehn Jahre Haft für den Kopf der Bande? Beim Verteidiger kam die Forderung des Staatsanwalts gar nicht gut an.

Ist der große Marihuana-Deal ein Fall für den Europäischen Gerichtshof? Ja, wenn es nach Sören Gemmerich geht. Der Anwalt des Hauptangeklagten Samuel J. (alle Namen geändert), der als Kopf einer Bande angesehen wird, die zwischen November 2020 und Mai 2021 mit 522 Kilogramm Marihuana gedealt und rund eineinhalb Millionen Euro eingenommen haben soll, hält die meisten Beweise für nicht verwertbar. Denn Samuel J. und seine Mittäter benutzten verschlüsselte Programme, um ihr Geschäft abzuwickeln. Später wurden die Daten ausgelesen.

Im Fall des Programms Encrochat war es der französische Geheimdienst, der offenbar einen Programmierer „umgedreht“ hatte. Was die Software Anomchat angeht, ist die Sache noch weitaus dubioser. Das Programm war vom FBI entwickelt worden, um Kriminelle anzulocken. Von vornherein war eine Schnittstelle zum Auslesen der Daten eingebaut.

Für Anwalt Sören Gemmerich ergibt sich daraus, dass es mindestens anzuzweifeln ist, dass die vielen hundert Seiten Nachrichten, die von der Marihuana-Connection ausgetauscht wurden, von der 25. Großen Strafkammer überhaupt benutzt werden dürfen. Im Umgang mit den Daten, die im Fall von Encrochat schließlich dem Bundeskriminalamt angeboten wurden, „wird europäisches Recht mit Füßen getreten“. Das sei entscheidend, denn durch das Datenleck kam die Fahndung nach den Leverkusener Drogendealern überhaupt erst in Gang. Der Verteidiger meint, dass diese Frage vor dem Europäischen Gerichtshof erörtert werden muss – wenn denn das Gericht diese Beweise überhaupt für eine Verurteilung heranzieht.

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Es gibt nicht nur Chats, sondern auch Geständnisse

Das muss nicht unbedingt sein. Obwohl große Zweifel bestehen, dass die Beweise aus den Chats überhaupt von einem Gericht verwertet werden dürfen, haben alle vier Beschuldigten Geständnisse abgelegt. Der Hauptangeklagte Samuel J., der in Spanien untergetaucht und für die Ermittler spurlos verschwunden war, hatte sich sogar gestellt und war pünktlich zum Prozessauftakt im Dezember vor dem Kölner Landgericht erschienen.

Diese maximale Hilfe habe Staatsanwalt Dennis Kues viel zu wenig gewürdigt, kritisierte Gemmerich. Der hatte nämlich in seinem Plädoyer am Freitag zehn Jahre Haft für den Haupttäter gefordert. Das war gut und gern ein Jahr mehr als bei einer Verständigung zu Beginn des Prozesses im Raum stand.

Der Hauptangeklagte soll in Haft bleiben

Was den Anwalt noch mehr erzürnte: Der drogenabhängige, 33 Jahre alte Mann, soll auch nach dem Prozess im Gefängnis bleiben, bis eines Tages mit einer Therapie begonnen werden kann. Die könnte ohne Weiteres vier Jahre dauern, ist die Einschätzung des Psychiatrischen Gutachters Kurt Herold. Der Beschuldigte habe nicht nur einen Hang zu einer harten Droge wie Kokain, deren Wirkung er mit Cannabis, Tranquilizern und Schmerzmitteln offenbar routiniert regulierte. Er habe – und da kamen wieder die Chats zur Sprache – auch eine narzisstische Persönlichkeitsstörung.

Sein Größenwahn zeigte sich unter anderem an seinem Chatnamen: Ragnar Lodbrok, ein Wikingerherrscher. Zudem war davon die Rede, dass man mit den Marihuana-Millionen „ein Imperium aufbauen“ wolle. Ein Spruch, der im Zusammenhang mit den systematischen Taten, von den Ermittlern durchaus ernst genommen wurde.

Dass der Kopf der Bande nun entgegen der Zusage nicht zunächst frei kommt, obwohl er einen festen Wohnsitz hat, verlobt ist und den festen Vorsatz habe, nun reinen Tisch zu machen, bezeichnet Gemmerich am Mittwoch als „verheerendes Zeichen“ der Staatsanwaltschaft. Deren Vertreter Kues rechtfertigt sich: Die Aussicht auf bis zu zehn Jahre Gefängnis „könnte zu einer Kurzschlussreaktion führen“. Wie die 25. Große Strafkammer das alles bewertet, wird sich in einer Woche herausstellen. Dann fällt das Urteil über die Marihuana-Bande.

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