InterviewBrexit und Handelskonflikte sorgen in Oberberg für Unsicherheit

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Oberbergs Wirtschaft sei exportorientiert und industriegeprägt. Das erklärt Michael Sallmann im Interview.

  • 2019 war ein wirtschaftlich unruhiges Jahr. Internationale Konflikte belasten auch in Oberberg die Unternehmen.
  • Michael Sallmann ist Leiter der Geschäftsstelle Oberberg der IHK Köln.
  • Im Interview spricht er über den Fachkräftemangel, die Unsicherheit in der Region und den kommenden Aufschwung.

Ende Dezember lag die Zahl der Arbeitslosen in Oberberg bei 7790. Das waren 1090 mehr als ein Jahr zuvor. Machen Sie sich Sorgen?

Nein. Dieses Plus ist auch jahreszeitlich bedingt. Gegen Ende des Jahres führen verschiedene Faktoren zu steigenden Arbeitslosenzahlen: Am Ende des Jahres laufen viele befristete Arbeitsverträge aus, auch Kündigungsfristen sind ja immer zum Quartalsende, also auch zum Jahresende. Zeitgleich kommen junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, die ihre Ausbildung beendet haben.

All das sorgt dafür, dass in konjunkturell schlechteren Zeiten – und in denen sind wir gerade – die Arbeitslosigkeit ansteigt. Die Unternehmen sind gleichzeitig sehr zurückhaltend, was Neueinstellungen angeht. So entwickelt sich Arbeitslosigkeit nach oben. Aber: Mit der aktuellen Arbeitslosenquote von 5,1 Prozent sind wir immer noch auf einem sehr guten Niveau.

Das ist ja aber vielleicht nicht das Ende der Fahnenstange.

Das kann niemand seriös sagen. Die Prognosen für 2020 sind noch sehr unsicher. Sie sind nirgendwo überschäumend optimistisch, sie sind aber auch nirgendwo katastrophal pessimistisch, so dass man ernsthaft fürchten müsste, dass die Arbeitslosigkeit sehr nach oben schießt. Aber der Arbeitsmarkt wird etwas auf der Stelle treten und in Regionen, die sehr industriegeprägt und exportorientiert sind – dazu gehört Oberberg – kann es sein, dass die Zahlen noch etwas nach oben gehen.

Was hören Sie aus der oberbergischen Wirtschaft?

Die Rückmeldungen sind insgesamt eher skeptisch. 2019 war schon ein schwieriges Jahr, und 2020, so signalisieren die allermeisten, wird nicht besser, eher noch etwas schlechter. Die Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen mit einem Wirtschaftswachstum von einem Prozent. Ich glaube, das ist ambitioniert – besonders für die Oberberg prägende Industrie. Eine große Verbesserung der konjunkturellen Lage sieht zurzeit niemand, aber auch keine heranziehende Katastrophe.

Phänomene wie der Brexit mit unabsehbaren Konsequenzen erschweren Prognosen. Befeuert das eine Skepsis?

Skepsis? Das Entscheidende ist eher Unsicherheit. Die stellt sich ein, wenn Unternehmen nicht glauben, planen zu können, weil viele Fragen ungeklärt sind – das trifft auf den Brexit zu.

Wir wissen jetzt, dass es ihn geben wird. Aber was die konkreten Auswirkungen sein werden, wie gut der Brexit vorbereitet ist, was an den Grenzen passiert, wie sich Waren- und Kapitalströme entwickeln – all das werden wir erst noch erfahren. Weil das momentan noch niemand wirklich solide einzuschätzen kann, gibt es da Unsicherheit.

Und das heiß immer, dass man Entscheidungen verschiebt, Entscheidungen für Investitionen in neue Produktionsanlagen, in neue Produkte, aber eben auch Entscheidungen, Mitarbeiter einzustellen. In der Situation sind wir gerade. Der Brexit ist ein großer Faktor, die Handelskonflikte USA - China, USA - EU, das Thema mit der Gas-Pipeline Nord Stream und den angekündigten Sanktionen der Amerikaner, das, was jetzt im Iran und Irak passiert – wie entwickelt sich der Ölpreis – das sind alles Sachen, die für Unsicherheit sorgen.

Unsicherheit ist immer eine schlechte Situation für Entscheidungen, und Entscheidungen für Investitionen braucht es, damit Wirtschaft und Industrie in Oberberg wieder wachsen können.

Was erleben wir: Sanften Sinkflug oder einen Absturz?

Von einem Absturz kann keine Rede sein. Wir sind in einem Sinkflug, das ist eine Schwächeperiode. Wir müssen auch sehen, dass die Wirtschaft seit 2009 gerade in Deutschland kontinuierlich gewachsen ist, mal stärker, mal weniger stark. Wir haben zehn Jahre lang keine ernsthafte Konjunkturschwäche gehabt.

Irgendwann musste die kommen. Was die Sache ein bisschen komplizierter macht ist die Frage, inwieweit da gerade auch strukturelle Themen einwirken. Das kann man am Beispiel der Automobilindustrie sehen. Die ist wichtig für Deutschland und die ist auch wichtig für Oberberg, weil wir hier sehr viele Zulieferer haben. Die Automobilproduktion ist im Jahr 2019 im Vergleich zu 2018 deutlich gesunken, von 5,1 Millionen in Deutschland gefertigten Autos auf 4,67 Millionen. Und 2018 war die Zahl im Vergleich zu 2017 auch schon gesunken. Diese 4,67 Millionen sind so wenige wie seit 22 Jahren nicht mehr.

Da spielt das Thema Diesel und da spielen drohende Fahrverbote eine Rolle, das verunsichert Käufer. Da gibt es eine Menge offener Fragen. Und in der Situation befindet sich gerade diese für Deutschland so wichtige Industrie. Von so einem Produktionsrückgang ist Oberberg mit den vielen Zulieferern natürlich betroffen.

Was bedeutet all das für die Suche nach Fachkräften? Wird diese Suche eingestellt?

Die wird nicht eingestellt, aber zurzeit haben die Unternehmen in Oberberg eher andere Themen. Und obwohl sie sicherlich in einigen Bereichen Fachkräfte brauchen – nehmen wir mal die Themen rund um IT und Digitalisierung – sind Unternehmen zurzeit sehr vorsichtig, neue Arbeitsverträge abzuschließen – Stichwort Unsicherheit.

Das ist auch eine Frage von Unternehmenskultur, besonders in den vielen Familienunternehmen: Auf der einen Seite verlängert man Arbeitsverträge nicht oder kündigt gar, da tut man sich auch schwer, woanders Menschen einzustellen. Auch das wird dann eher hinausgezögert. Ganz klar ist: An den Rahmenbedingungen hat sich nichts geändert.

Sobald die Konjunktur anspringt, werden die Unternehmen genauso wie vorher, wenn nicht sogar mehr, Fachkräfte suchen, in Oberberg besonders im gewerblich-technischen Bereich, aber natürlich auch Ingenieure und Informatiker.

Was sind die guten Nachrichten aus Oberberg?

Dass sich prinzipiell an der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen nicht viel geändert hat, auch wenn man da ständig weiter dran arbeiten muss. China wird immer besser, andere wollen auch besser werden. Aber die Faktoren, die uns in die jetzige Situation gebracht haben, sind ja fast alle politische Faktoren.

Es ist nicht so, dass unsere Produkte nicht gut genug oder wir zu teuer wären. Die Unternehmen in Oberberg haben also beste Chancen, vom kommenden Konjunkturaufschwung zu profitieren.

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