Vizechefs der IHK Köln im Interview„Wir stehen vor einem großen Tal der Tränen“

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Sven Gebhard, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer zu Köln

Sven Gebhard, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer zu Köln

Mit Hendrik Pilatzki und Sven Gebhard sind seit genau einem Jahr gleich zwei Oberberger als Vizepräsidenten der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln im Amt.

Als Sie vor einem Jahr zu IHK-Vizepräsidenten gewählt wurden, hätten Sie sich da nur annähernd vorstellen können, dass das erste Jahr so abläuft? Sven Gebhard: So ein Jahr haben wir uns alle nicht vorgestellt. Dass da sicherlich nach der Wahl einige Herausforderungen auf uns warten würden, war zu erwarten. Dass es aber so einen Umbruch gibt und wir dazu noch die Corona-Krise bewältigen müssen, hat damals sicherlich niemand vorhergesehen.

Wie gut hat der Umbruch funktioniert? Hendrik Pilatzki: Wenn man Corona komplett ausklammern könnte, wäre es sehr gut und – mittlerweile - harmonisch. Wir haben sehr viele Themen auf die Agenda gehoben, haben in enger Abstimmung einen Großteil unserer Themen eingestielt und zum Teil bereits abgearbeitet. Gerade bei den Finanzen haben wir Ausgaben hinterfragt, die uns nicht mehr sinnvoll erschienen. Wir sind der Meinung, dass sich das auch im Zahlenwerk der IHK in den nächsten Jahren deutlich bemerkbar machen wird.

Müssen die Mitglieder dann auch weniger bezahlen?

Pilatzki: Wenn man das Thema Corona ausklammern könnte . . . Können wir aber nicht. Grundsätzlich hängen die Einnahmen der IHK vom wirtschaftlichen Erfolg der Mitglieder ab. Es gibt einen Grundbetrag und einen Beitrag vom Gewerbeertrag. Wenn in Deutschland geringere Erträge erzielt werden und die Wirtschaft nur noch durch Hilfsgelder über Wasser gehalten wird, dann kommt das zeitverzögert auch bei uns an. Noch beziehen wir uns auf die Jahre 2018 und 2019 – da war die Welt noch in Ordnung. Die Krise fällt uns im Haushaltsjahr 2021 langsam auf die Füße, 2022 massiv und 2023 vermutlich auch noch.

Hendrik Pilatzki, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer zu Köln

Hendrik Pilatzki, Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer zu Köln

Wie hat die Industrie 2020 verkraftet? Gebhard: Das variiert je nach Branche. Es gab für einzelne stärkere Rückgänge, insgesamt ist die Industrie in Oberberg aber vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Mit 40 Prozent der Arbeitsplätze ist sie nach wie vor ein deutlich stabilisierender Faktor für Oberberg. Ich würde daher die vielen Industriebeschäftigten auch zu den Helden der Krise zählen: Sie haben tagein tagaus dafür gesorgt, dass „die Schornsteine weiter rauchen“ und so unsere Wirtschaft nicht ganz zum Erliegen kommt.

Am Ende des ersten Lockdowns haben Sie über die Betreuung für Kinder gesprochen und ihre Bedeutung für die Wirtschaft. Wie ist es jetzt im zweiten Lockdown?

Gebhard: Natürlich gibt es die Fälle von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die jetzt ein Betreuungsproblem haben. Einfacher ist das in der Verwaltung, wo ohnehin viele im Homeoffice sind. In der Produktion greift das so nicht. Wir müssen darauf eingehen und das individuell lösen. Insgesamt aber finde ich die Maßnahmen jetzt richtig, weil sie einfach notwendig sind, um die Pandemie zu stoppen.

Herr Gebhard, Sie legen viel Wert auf persönliche Kontakte. Wie kommen Sie mit der Distanz zurecht?

Gebhard: Das ist in der Tat eine Herausforderung, dass wir unsere Mitarbeiter nicht so kontaktieren können wie gewohnt. In der Verwaltung ist es mit Videokonferenzen einfacher als in der Produktion. Hier fanden die Treffen mit den streng getrennten Sektoren auf dem Parkplatz und mit viel Abstand statt. Normalerweise kommen wir mehrfach im Jahr mit der ganzen Mannschaft zusammen: beim großen Familienfest, der Weihnachtsfeier und natürlich den diversen Betriebsversammlungen. Das ist alles komplett entfallen. Im Dezember hatten wir deshalb doch noch ein Jahresabschlussevent für alle. Mit Mikrofonen, Kameras und Monitoren in der Produktion und Kollegen im Homeoffice sowie im Büro – quasi ein großer Videocall für die gesamte Belegschaft von GC-heat. Das war wirklich noch mal schön – nach so einem Jahr.

Ein Blick auf die andere Seite: Im Handel wurden im Frühjahr die Verteidiger des Klopapiers als Helden gefeiert. Wie läuft es jetzt, Herr Pilatzki?

Pilatzki: Der Handel ist sehr gespalten, da hängt es ausschließlich am Sortiment. Wer systemrelevant ist wie der Lebensmittelhandel darf öffnen und macht sehr hohe Umsätze, andere haben gar kein Geschäft. Homeoffice ist im Handel nahezu nicht möglich: Wir reden hier von Arbeitsplätzen an Regal, Kasse oder der Warenannahme. Drogerien sind auch systemrelevant, werden aber nur noch verhalten angenommen. Das „One-Stop-Shopping“ nimmt zu: Die Leute wollen nur noch möglichst in ein Geschäft, wo sie alles bekommen.

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Wie hart trifft den Handel der zweite Lockdown? Wie sauer sind Sie, dass die staatlichen Hilfen nicht schnell fließen?

Pilatzki: Der Frust ist groß, wenn Politiker im Oktober von ganz unbürokratischen Hilfen reden und dann gibt es monatelang nur Kleinstabschläge. Dabei sind alle Umsätze bekannt: Jede Firma gibt monatlich ihre Vorsteueranmeldung beim Finanzamt ab. Man hätte anhand der Betriebsnummer schauen können, was jemand im November 2019 als Umsatz angegeben hat und dann hätte man einfach in die Gegenrichtung auf das bekannte Konto das Geld überweisen müssen.

Stehen wir vor einer Serie von Insolvenzen?

Pilatzki: Ich glaube ja. Ich glaube, wir stehen vor einem großen Tal der Tränen Das Problem wird sich zeigen, wenn die Krise aufhört, wenn alle sagen: „Wir haben es hinter uns.“ Wenn ich aber im Einzelhandel übermorgen wieder anfangen darf, bin ich nicht gleich wieder bei 100 Prozent. Vielleicht bin ich bei 20 Prozent und es geht langsam bergauf. Wir reden hier von 2022 oder noch später, manche erreichen das vorherige Niveau vielleicht auch gar nicht mehr, weil viele Kunden online abgewandert sind.

Die IHK verbindet Industrie und Handel. Wir sehen aber, dass es ganz unterschiedliche Sorgen gibt. Kann man das zusammenbringen?

Gebhard: Es sind unterschiedliche Bereiche in der IHK, die sich um die jeweiligen Themen kümmern und insbesondere in einer solchen Phase einen Mehrwert für die Mitglieder bieten. Alleine in der Corona-Krise haben die IHK-Teams 40 000 Beratungsgespräche geführt, geben täglich Newsletter heraus oder führen Informationsveranstaltungen durch, wie beispielsweise Fördergelder beantragt werden können.

Was sind die wichtigsten Aufgaben für die nächsten Jahre?

Pilatzki: Die gesamte Wertschöpfung der Gesellschaft steht auf dem Prüfstand. Zum Beispiel durch das Homeoffice: Es stellt sich die Frage, ob wir noch die Arbeitsplätze der Vergangenheit brauchen. Da hängt ganz viel dran, das fängt beim Thema Mobilität ja schon an: Muss ich noch zur Arbeit fahren? Wenn nicht, habe ich das ganze Thema Fahrzeuge und verstopfte Innenstädte nicht mehr, aber keinen Umsatz mehr für die Bäckerei dort. Wir essen dann viel mehr zu Hause. Da stellen sich Fragen, wie sich unsere Wirtschaftsleistung neu erfinden lässt. Dafür müssen wir Lösungen präsentieren: In welche Richtungen müssen wir denken? Wo müssen wir aufpassen, damit zum Beispiel Innenstädte nicht weiter veröden?

Wie beurteilen Sie die Lage großer Einkaufszentren, wie dem Forum in Gummersbach?

Pilatzki: Grundsätzlich sind solche Einzelhandelsflächen recht hochwertig und teuer in der Unterhaltung. Sie haben ein Parkhaus, eine beheizte Verkaufsfläche, wo schöne Musik läuft und wo die Beleuchtung angenehm ist. Sie benötigen mehr Umsatz, um die hohen Kosten decken zu können, diese habe ich nicht, wenn ich auf der grünen Wiese ein Hochregallager mit Autobahnanschluss baue und von dort aus die Menschen beliefere. Das ist unter Umständen eine Frage des Staates, ob er da eingreifen möchte. Zum Beispiel mit einer Paketsteuer oder mit einer zweigeteilten Umsatzsteuer– wie in der Gastronomie – mit sieben Prozent Umsatzsteuer für einen stationären Betrieb und 19 Prozent für einen Betrieb, der liefert.

IHK heißt auch Ausbildung. Das ist gerade für die Industrie wichtig. Funktioniert das während Corona noch?

Gebhard: Ja, Ausbildung funktioniert – wenn auch mit Einschränkungen. Die Schulen haben auf Online-Schooling umgestellt, einige Azubis sind im Homeoffice. Schwierig ist es für die Azubi-Nachwuchswerbung- und Vermittlung. Die Vielzahl der Infomöglichkeiten wie Berufserkundungstage, Praktika oder Ausbildungsbörsen entfallen zurzeit fast komplett. Wir merken als IHK, dass die Zahl an Ausbildungsbewerbern deutlich zurückgeht. Dabei gibt es viele Berufe, die im Angebot sind, und gerade in unserer Region bleibt die Ausbildung eine der Hauptquellen für künftige Facharbeiter. Hier ist auch für die IHK Kreativität bei der Vermittlung gefragt, denn Ausbildung ist für uns ein Kernthema.

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