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„Liebe Lizzi“65 Briefe aus dem Krieg sind jetzt im Bergneustädter Museum

8 min
Uwe Offermann und Hubertus Dan.

65 Briefe übergab Uwe Offermann ( l.) an das Heimatmuseum und Hubertus Dan (r).

Uwe Offermann hat dem Heimatmuseum Bergneustadt einen Karton mit Briefen seines Großvaters übergeben. Für das Museum sind sie ein wahrer Schatz. 

Für das Heimatmuseum Bergneustadt ist es ein wahrer Schatz. Uwe Offermann hat dem Museum einen Karton mit 65 Feldpostbriefen übergeben, die sein 1903 geborener Großvater Ewald Offermann an die Großmutter Lizzi (1902-1983) geschrieben hat. Alle entstanden in dem relativ kurzen Zeitraum zwischen September 1944 und Januar 1945. Die 65 Briefe geben einen ungeschminkten Blick auf das Geschehen im Krieg, aus der Perspektive eines einfachen Soldaten – zwischen Alltag in der Kaserne und der Sorge um die Familie zuhause. Es geht um die Ungewissheit vor dem, was ihn an der Front erwartet, die Angst vor Verletzung und Tod. Die Antwortschreiben der Ehefrau und der kleinen Tochter sind nicht erhalten.

Ewald Offermann schrieb oft täglich einen, gelegentlich sogar zwei Briefe nach Hause – was zeigt, welche große Bedeutung diese Korrespondenz für ihn hatte. „Das ist wie ein Fenster in die Seele dieses Mannes“, freut sich Hubertus Dan. Der Neustädter ist Experte für die Geschichte seiner Heimatstadt. Von 2013 bis 2024 betreute er das städtische Archiv, jetzt engagiert es sich im Heimatmuseum.

Briefe in gut lesbarer, lateinischer Schreibschrift geschrieben

Ein Aufruf auf der Facebookseite des Museums war für Uwe Offermann die Initialzündung. „Dort hieß es: Das Heimatmuseum sucht Dokumente“, erinnert sich der 54-Jährige. Offermann nahm den Karton und brachte ihn im Museum vorbei, wo Dan gerade im Büro arbeitete. Der fiel aus allen Wolken, als er die vielen Feldpostbriefe sah und die ersten Zeilen las.

Alles zum Thema Historisches Archiv der Stadt Köln

Ewald Offermann schrieb nicht in der damals noch weit verbreiteten Deutschen Kurrentschrift oder Sütterlin, sondern in einer gut lesbaren, lateinischen Schreibschrift. Gut lesbar zumindest für alle, die sich wie Hubertus Dan regelmäßig mit Handschriften beschäftigen. „Diese Briefe müssen unbedingt publiziert werden“ – das stand für Dan schnell fest. Er scannte alle 65 Briefe ein und veröffentlichte sie online auf der Internetseite des Stadtarchivs, mitsamt einer kurzen Einführung. Die Originale sollen im Bergneustädter Stadtarchiv fach- und sachgerecht aufbewahrt werden.

Ewald Offermann.

Ewald Offermann.

Komme gerade vom Mittagessen, Pellkartoffeln, Kappes, Soße und Fleisch gab es.
Ewald Offermann am 11.9. aus der Kölner Kaserne

Zum Gespräch mit unserer Zeitung brachte Uwe Offermann außerdem zwei Fotos mit. Das eine zeigt Ewald Offermann, möglicherweise in seinen Dreißigern. Das zweite Foto von Großmutter Lizzi entstand deutlich später.

Wovon handeln die 65 Briefe? Ewald Offermann, geboren 1903, war, wie seine Frau, bei der Firma Dick (heute Lista) beschäftigt. Ewald arbeitete dort vermutlich als Fahrer, Lizzi leitete die Kantine. Im August 1944 wurde Ewald Offermann in die Wehrmacht einberufen, für den damals schon 41-Jährigen kam dies überraschend.

Erste Station ist eine Kaserne in Köln-Ossendorf

Doch die deutschen Truppen hatten riesige Verluste erlitten. Im Spätsommer 1944 ist die Wehrmacht an allen Fronten auf dem Rückzug – in Nordfrankreich, in der Toskana und im Osten, wo die sowjetischen Truppen bereits bis nach Polen vorgedrungen sind. Und so werden nun auch verstärkt Männer eingezogen, die schon über vierzig Jahre alt sind und die keinerlei militärische Vorbildung besitzen. Ewald Offermann ist einer von ihnen.

Erste Station – für die Grundausbildung – ist eine Kaserne in Köln-Ossendorf. Dort herrscht drangvolle Enge, drei Mann müssen sich einen Spind teilen. „Liebe Lizzi, Du kannst dir ja denken, wie das ist, wenn man mit vielen Leuten auf einer   Stube zusammen ist“, schreibt Ewald nach Hause, und bittet darum, ihm seine Pantoffeln nachzuschicken. Ewald Offermann muss ein liebevoller Familienvater gewesen sein, der sehr an seinen zwei Kindern Karin (acht oder neun Jahre)   und vor allem am einjährigen Sohn Ingo, dem späteren Vater von Uwe Offermann, hing.

Einer der letzten Briefe, geschrieben mit links.

Einer der letzten Briefe, geschrieben mit links.

Eine Leiche lag mitten auf der Straße, die mussten wir forttragen. Liebe Lizzi, solch ein Elend ist unbeschreiblich.
Ewald Offermann am 27.9.44 nach einem Bombenangriff auf Monheim

„Heute Nachmittag wurden wir in unserer Uniform vereidigt, natürlich mit Stahlhelm, dieser hat mich ganz miserabel gedrückt“, heißt es im Brief vom 16. September. Ansonsten ist der Dienst in der Kaserne eher langweilig. Aber wenigstens ist das Essen recht gut und reichlich.

Lizzi und die Kinder besuchen ihn in den ersten Wochen   mehrfach in der Kaserne. Doch Ende September 1944 fliegen alliierte Verbände einen schweren Bombenangriff auf die Umgebung von Köln. Ewald schreibt am 27. September: „Heute Mittag wurden wir auch zum Aufräumen von Verwundeten und Leichenbergen eingesetzt, wir waren mit 100 Mann in Monheim. Eine Leiche, die mitten auf der Straße lag, mussten Carl Deicker und ich und noch ein Kamerad forttragen. Liebe Lizzi, solch ein Elend ist unbeschreiblich, man sieht dort nichts als Trümmer. Es sind dort wieder viele ums Leben gekommen, aber wir konnten auch noch Leute herausholen.“ Nach dieser Erfahrung bittet Ewald seine Frau, auf weitere Besuche in Köln zu verzichten, „das ist zu gefährlich, und sozusagen Selbstmord“, schreibt er.

Feldpostbriefe wurden in Deutschland damals zensiert

Feldpostbriefe unterlagen in Deutschland der Zensur. Kritische Äußerungen – und dazu zählten auch „Haltung und Stimmung“ – konnten als „Wehrkraftzersetzung“ geahndet und mit Gefängnis, Zuchthaus oder sogar dem Tod bestraft werden.   Aufgrund der schieren Menge der Feldpost kontrollierte die Zensur die Briefe allerdings nur stichpunktartig.

Am 1. Oktober   geht es für Ewald Offermann und seine Kameraden – die meisten sind deutlich jünger als er – in Richtung Osten. „Wir sehen aus wie die Schweine“, schreibt er am 3. Oktober, nach zwei Tagen im Eisenbahnwaggon. Da ahnt er noch nicht, was auf ihn zukommt.

Liebe Lizzi, gebe dem kleinen Ingo jeden Morgen und Abend ein Küsschen von mir.
Ewald Offermann in einem Brief vom 18.11.1944

Der Oberberger wird in der Nähe von Krakau stationiert, eine Stadt, die seit dem Überfall auf Polen im September 1939 von deutschen Truppen besetzt ist. Auf der Krakauer Burg residiert   Hans Frank, der von Hitler eingesetzte Generalgouverneur. Er wird 1946 im Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt und gehenkt.

Ewald Offermann haust mit acht Mann in einer primitiven Bretterbude, die hygienischen Bedingungen sind katastrophal. „Vorige Nacht habe ich kein Auge zugemacht, so rumorten die Mäuse unter und neben meinem Bett“, schreibt er am 27. Oktober. Mit seinen Kameraden, lauter junge Männer, die größtenteils aus Österreich oder Oberschlesien stammen, versteht er sich nicht.

Die Briefe geben seinem Leben Sinn und Struktur

In den ersten Wochen in Krakau gibt es Probleme mit der Postzustellung, drei Wochen lang erhält Ewald Offermann von zuhause keine Nachricht. Die Sorge um seine Familie macht ihn schier wahnsinnig. Offermann wird als Soldat einer Eisenbahn-Flak zugeordnet. Ihre Aufgabe: Die militärisch wichtige Bahninfrastruktur gegen feindliche Angriffe aus der Luft zu verteidigen. Das ist sehr gefährlich, denn Bahnhöfe und Gleise sind oft Ziel feindlicher Tiefflieger.

Ewald Offermann schreibt weiterhin fast täglich nach Hause, die Briefe geben seinem Leben Sinn und Struktur. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich, er leidet an Leistenschmerzen, ein Bruch kündigt sich an. Die Feldärzte können ihm nicht helfen.   Das Essen wird immer schlechter, oft gibt es nur trockenes Kommissbrot oder verkochte Kartoffeln. „Einmal noch Bratkartoffeln essen“, schreibt er nach Hause. „Immer habe ich Hunger.“

Lizzi Offermann.

Lizzi Offermann.

Der frühe Winter ist streng, die Kleidung schützt nur ungenügend vor der Kälte. Immer stärker werden sein Heimweh und die Sehnsucht nach seiner Familie. Ihm ist klar, dass jeder Tag sein letzter sein könnte. „Du und Karin und Ingo könnt mir ja jeden Abend ein Gebet sprechen, das tue ich auch für euer Wohlergehen“, schreibt er am 2. November 1944.

Dann, Anfang Dezember, erleidet Ewald Offermann einen schweren Unfall, sein rechter Unterarm ist zertrümmert. Er kommt ins Lazarett, zwei Briefe, die dies schildern, sind diktiert. Einer der Briefe wurde in einer anderen Handschrift geschrieben, einer auf der Schreibmaschine. Der Schwerverletzte hat starke Schmerzen, am 4. Januar   amputieren die Ärzte den Arm. Ewald Offermann kritzelt mit der linken Hand ein paar Zeilen nach Hause, für mehr reicht seine Kraft nicht. Das krakelige Schriftbild macht deutlich, wie schwer ihm dies fällt.

Ewald Offermann kehrt nie zurück

Am 11. Januar 1945 kritzelt der Patient einen letzten Brief aus dem Krakauer Lazarett. „Ich soll immer noch nach Deutschland verlegt werden, aber ich glaube nicht mehr dran. Liebe Lizzi, ich habe meistens Fieber, von den Schmerzen, die ich aushalten muss, will ich Dir nichts sagen.“

Hubertus Dan hat recherchiert, was dann geschehen sein könnte. Am 19. Januar 1945 nimmt die Rote Armee Krakau ein, die Wehrmacht zieht sich zurück. Unklar ist, was mit den Schwerverwundeten geschieht, und ob Ewald Offermann im Lazarett stirbt oder ob er noch in sowjetische Gefangenschaft gerät. Zu seiner geliebten Frau und den Kindern in Bergneustadt kehrt er nicht mehr zurück.

Für den Enkel Uwe Offermann, der bislang fast nichts über seinen Großvater wusste, sind die Briefe eine bewegende Erfahrung. „Ich habe den Mann ja nicht kennengelernt, und Oma hat nie darüber gesprochen“, sagt er. Als Kind, erzählt Uwe Offermann weiter, habe er seine Eltern manchmal gefragt, was denn in dem Karton sei. „Die Antwort war: Das ist nichts für Dich.“

Die 65 Briefe hat Hubertus Dan alle eingescannt. Ein Link zu den Briefen ist auf der Internetseite des Stadtarchivs Bergneustadt zu finden, dort kann sie jeder, der sich dafür interessiert, herunterladen.