„Wir müssen kämpfen“Auch 2023 werden viele Ausbildungsstellen in Oberberg unbesetzt bleiben

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Ein Blick in die Ausbildungswerkstatt bei BPW Bergische Achsen in Wiehl.BPW Bergische Achsen Wiehl

Ein Blick in die Ausbildungswerkstatt bei BPW Bergische Achsen in Wiehl.

Azubis sind in allen Branchen dringend gesucht. Der Einstieg in die Ausbildung ist mittlerweile sogar noch im Januar möglich.

Wenn bei der Arbeitsagentur auf den Computerbildschirmen die Zahlen sinken, während gleichzeitig die auf den Bildschirmen der Kreishandwerkschaft Bergisches Land und der Industrie- und Handelskammer zu Köln steigen, dann ist das der Idealfall. Das bedeutet nämlich: Ausbildungsverträge werden unterschrieben, freie Stellen besetzt. Aber „ideal“ gibt es schon lange nicht mehr: So melden Oberbergs Arbeitgeber Jahr für Jahr mehr freie Stellen. Das ist gut. Nicht gut ist, dass die Zahl der Bewerber dagegen zurückgeht. Und nicht nur das.

Wer heute eine Ausbildung beginnt, der hat die Schule nicht eben erst beendet.
Nicole Jordy, Arbeitsagentur

„Wer heute eine Ausbildung beginnt, der hat die Schule nicht eben erst beendet“, schildert Nicole Jordy, Vorsitzende der Geschäftsführung der auch für Oberberg zuständigen Arbeitsagentur in Bergisch Gladbach. Sie beziffert den Anteil der Bewerber, die das übliche Alter eines Schulabgängers überschritten haben, auf 50 bis 60 Prozent. Auch das sei Corona geschuldet: „Viele haben nach der Schule erst mal recht ordentliches Geld verdient, etwa im Testzentrum“, nennt Jordy ein Beispiel.

Gemeinsam mit Marcus Otto, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, Michael Sallmann, Leiter der IHK-Geschäftsstelle Oberberg, und Carsten Berg, Leiter des Bereichs Ausbildung der IHK, hat Jordy am Freitag eine Halbzeitbilanz gezogen für den Ausbildungsmarkt im Oberbergischen: Bei der Agentur seien bisher 1518 freie Ausbildungsstellen insgesamt erfasst (März 2022: 1454), die Zahl der als suchend Gemeldeten liege bei 1070 – und erneut sei diese gesunken, denn zur selben Zeit im vergangenen Jahr wollten 1219 junge Leute die Unterstützung der Arbeitsagentur in Anspruch nehmen.

Arbeitgeber bieten Azubis „Last Minute“-Angebote

Tatsächlich zu haben sind noch 960 Lehr- und Ausbildungsplätze. Da nur 610 Schulabgänger als „unversorgt“ gelten, werden erneut viele Stellen unbesetzt bleiben.

„Die Jugendlichen wissen leider, dass sie bis zuletzt die große Auswahl haben“, ergänzt Michael Sallmann und beschreibt eine gewisse Lässigkeit bei der Suche. Diese vermeintliche Sicherheit sei aber trügerisch: „Die besten Jobs sind weg, macht man sich nicht früh genug auf die Socken.“ Und weil sich die Jugend Zeit lässt, ist der Einstieg in die Ausbildung heute sogar noch im Januar möglich. Auch kommen die Arbeitgeber mit „Last Minute“-Angeboten ihr noch entgegen, ein Dilemma. „Wir müssen eben um jeden einzelnen kämpfen, wir können es uns nicht leisten, jemanden auf der Strecke zu lassen“, betont Carsten Berg mit Blick auf den Fachkräftemangel.

Er und Marcus Otto berichten zudem, dass den Jugendlichen wichtige Werte – etwa ökologisches und nachhaltiges Handeln – auch die Berufswahl entscheiden, „man muss sich sehen lassen können bei den Freunden“. „Bei uns boomen die Bereiche Bauen und Sanieren ebenso wie die E-Mobilität“, führt Otto aus. „Aber solche Berufe verlangen immer auch ein hohes Maß an qualifizierter Ausbildung.“

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