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Interview

Gemeinsamkeiten
Zwei Oberberger berichten von ihrer Arbeit im Deutschen Bundestag

8 min
Zu sehen sind Carsten Brodesser und Jan Köstering (r.) vor dem Berliner Reichstag.

Gemeinsame Treffen sind für Carsten Brodesser und Jan Köstering (r.) in Berlin eher die Seltenheit.

Mit Carsten Brodesser (CDU) und Jan Köstering (Linke) sitzen zwei Oberberger im Bundestag. Ihre Arbeit geht nicht immer auseinander, sagen sie. 

Für Oberberg sitzen mit Carsten Brodesser und Jan Köstering ein Christdemokrat und ein Linker im Bundestag. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Brodesser ist zum dritten Mal direkt gewählt worden. Jan Köstering von den Linken debütiert seit Februar in Berlin. Andreas Arnold sprach mit den beiden über ihre Arbeit und darüber, wie oft sich ihre Wege kreuzen. 

Herr Köstering, wie klappt es denn so als Neuling in Berlin mit der Pendelei, den Sitzungswochen und dem Familienleben hier in Oberberg?

Jan Köstering: Das, was wirklich auf die Nerven schlägt, ist das Pendeln. Es gab mal Zeiten, da konnte man mit gutem Gewissen fliegen und hat zwei Stunden Flugzeit von Köln/Bonn nach Berlin benötigt mit allem Drum und Dran. Wenn man heute unter fünf Stunden bleibt, ist das schon eine gute Sache.

Was sagt denn Ihre Frau?

Köstering: Das funktioniert auch ganz gut. Vor allem auch, weil sie bei ihrem Arbeitgeber mobil arbeiten und so zeitweise sogar mit mir nach Berlin fahren kann.

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Herr Brodesser, wie erleben Sie Berlin in Ihrer dritten Wahlzeit?

Carsten Brodesser: Sehr ambivalent. Auf der einen Seite genieße ich die ländliche Idylle des Oberbergischen Kreises und auf der anderen Seite die Intensität der Großstadt. Ich betrachte das als Privileg, in zwei Welten leben zu dürfen. Die Terminfülle und die Abläufe im parlamentarischen Berlin kann man mit der Arbeit in Oberberg gar nicht vergleichen. Gottlob. Wobei es im Wahlkreis auch genug Aufgaben gibt. Und was die Bahnfahrten angeht, kann ich nur bestätigen, dass die Transferzeiten der Druckpunkt sind.

Herr Köstering, sind Sie als Parlamentarier in Berlin angekommen?

Köstering: Ich hatte Glück. Wir sind in der Landesgruppe mit 13 Leuten eingezogen, und alle waren neu. Unsere Landesvorsitzende, die seit 16 Jahren im Bundestag ist, hat sich zum Ziel gesetzt, uns so eng wie möglich zu begleiten, um direkt gut anzukommen. So hatte sie schon zwei Kandidaten für mich ausgesucht, die als Büroleiter passen.

In welche Gremien bzw. Ausschüsse wurden Sie entsendet?

Köstering: Ich bin Mitglied im Innenausschuss. Zudem bin ich stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss. Dann gibt es natürlich noch die ganzen Parlamentariergruppen. Ich bin in der deutsch-irischen, deutsch-britischen und der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe.

Und Sie, Herr Brodesser?

Brodesser: Ich bin nach wie vor Mitglied und Obmann im Finanzausschuss und stellvertretendes Mitglied in drei weiteren Ausschüssen: Menschenrechte und Humanitäre Hilfe; Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Bildung, Frauen, Jugend und Senioren. Zudem bin ich ordentliches Mitglied im Unterausschuss Vereinte Nationen. Was die Parlamentariergruppen anbelangt, hat man ja drei zur Wahl. Ich bin in der deutsch-italienischen, deutsch-südamerikanischen und in der deutsch-ostafrikanischen.

Herr Köstering, was verbindet Sie mit Israel?

Köstering: Mit Blick auf meine Freunde in Israel wollte ich das Thema ein wenig enger begleiten. Aber auch mit Hinblick auf die aktuelle Debatte.

Was erwarten Sie von den Zusammenkünften?

Köstering: So oder so sprechen wir in jeder Fraktionssitzung sehr ausgiebig über die Lage in Israel. Fraktion und Partei sind in der Sache sehr klar und eindeutig in dem, was beschlossen ist. Und dahinter stehe ich auch komplett. Den Linken täte es gut, die Bundesregierung zu zwingen, sich zu positionieren.

Welche Rolle spielt die deutsche Vergangenheit bei dem Thema?

Köstering: Die Linke steht für das Existenzrecht Israels. Um dies nachhaltig zu sichern, braucht es aber auch den Staat Palästina. Und zwar einen freien und demokratischen Staat. Und ich glaube, dass es sehr wichtig ist für die Befriedung des Nahostkonflikts, dass es eine gegenseitige Sicherheitsgarantie gibt, dass man gegenseitig füreinander einsteht.

Herr Brodesser, warum vermisst Jan Köstering eine Positionierung der CDU?

Brodesser: Die Einlassung von Jan Köstering, dass nur eine Zwei-Staaten-Lösung zur Befriedung beiträgt, würde ich zu 90 Prozent unterschreiben wollen. In der aktuellen Situation war es aber das falsche Signal, dass Frankreich, Kanada und viele andere westliche Staaten jetzt einen Palästinenserstaat anerkannt haben. Das war ein Stück weit eine Belohnung für die Hamas. In den vergangenen Monaten ist da eine bemerkenswerte Täter-Opfer-Umkehr passiert. Es ist immer schwierig, den humanitären Aspekt gegeneinander aufzuwiegen. Fakt ist, dass es völlig in Ordnung war, dass Israel sein Selbstverteidigungsrecht wahrgenommen hat.

Und was sagen Sie zur deutschen Rolle?

Brodesser: Deutschland hat eine besondere Verantwortung. Aufgrund unserer Geschichte und unserer geschichtlichen Verantwortung haben wir eine Sonderstellung. Gleichwohl muss man aber auch bei aller Freundschaft auch Humanität in den Mittelpunkt stellen. Und was da gerade passiert im Gazastreifen, geht weit über eine Selbstverteidigung hinaus.

Zurück in den Bundestag: Wie oft kreuzen sich dort Ihre Wege?

Brodesser: Abgesehen von meiner Sympathie für Jan Köstering und dass wir uns auch direkt geduzt haben, passiert das viel zu selten. Man ist halt nicht komplett frei als Abgeordneter, sondern im hohen Maße fremdbestimmt. Ich glaube, wenn wir beide unsere Terminkalender in Berlin mal nebeneinander legen würden, dann gäbe es da wenige Schnittmengen. Der Job bringt es mit sich, dass man am Ende einer Woche sagt: Mensch, Du wolltest diese Woche eigentlich mal mit ihm einem Kaffee trinken gehen. Und vielleicht auch mal über ein paar Themen sprechen. Aber dieses Gespräch hier heute kann ja ein Anlass dafür sein, zu sagen, lass' uns mal gemeinsame Themen identifizieren.

Auch für Oberberg?

Brodesser: Man hat ja als Parlamentarier seine Leistungskurse. Jan Köstering hat ja gesagt, dass er im Innenausschuss und stellvertretend im Verteidigungsausschuss ist. Ich bin Obmann im Finanzausschuss und stellvertretend in vielen anderen Ausschüssen sowie im Unterausschuss der Vereinten Nationen. Aber wenn man mal gezielt sucht, wo denn oberbergische Interessen in den jeweiligen Ausschüssen direkt umgesetzt werden, findet man das selten. Ich mache ja keine Finanzpolitik nur für Oberberg, sondern eben für ganz Deutschland.

Kaum war die neue Regierung am Start, machten Themen wie Sozialabbau oder Reichensteuer die Runde. Was ist denn nun Fakt?

Brodesser: Ich bin da eher die sparsame Hausfrau, die fragt: Was kann denn weg? Das muss dann nicht mehr finanziert werden. Da würde ich mir wünschen, dass man da wirklich genau wie jeder Haushaltsvorstand in einer Familie sagt, wir gucken uns mal alle Ausgaben an und gehen da mal richtig durch und streichen auch Dinge, die einfach so nicht mehr finanzierbar sind.

Köstering: Ich glaube, dass ein Staat eben nicht die schwäbische Hausfrau ist. Sondern eben auch kontrazyklisch arbeiten sollte. In schweren Zeiten muss investiert werden und muss Geld ausgegeben werden, anstatt dass der Gürtel enger geschnallt wird. Und wir sparen uns gerade von Krise zu Krise und in die nächste Krise hinein. Ich glaube aber, dass man wirklich investieren und Geld in die Hand nehmen muss, damit man dann hinterher auch die Schulden, wenn es gut läuft, zurückzahlen kann.

Brodesser: Wir haben einen Rekord-Investitionshaushalt, wir haben 500 Milliarden aufgenommen. Das sind ja zusätzliche konjunkturelle Impulse. Aber ich kann die Realität ja nicht ausblenden und es muss irgendeinen geben, der das Geld zurückzahlt. Und dabei ist es mir dann zu einfach, zu sagen: eine Vermögenssteuer oder eine Sonderabgabe einführen und Geld wäre ja genug da.

Köstering: Teil unseres Konzeptes ist, dass wir die Mehrheit und gerade den Mittelstand entlasten wollen. Unsere Gesellschaft wird vor allem von der Mittelschicht getragen.

Viel diskutiert wird aktuell auch über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Was halten Sie davon, Herr Köstering?

Köstering: Ich bin dagegen.

Warum?

Köstering: Die Linke hat ja nichts gegen eine ausfinanzierte gute Bundeswehr, die sich auf die Landesverteidigung fokussiert.

Brodesser: Aber einer muss es ja machen.

Köstering: Aber warum müssen wir jemanden dazu zwingen? Ich hätte verweigert.

Brodesser: Die Möglichkeit der Verweigerung bleibt ja erhalten. Es ist nicht so, dass ich eine Wehrpflicht einführe und dann nichts mehr machen kann. Und die Frage, die ich mir stelle ist, was mit einer generationsgerechten Verteilung der Aufgaben seit Kriegsende ist.

Köstering: Bei einem verpflichtenden sozialen Jahr wäre ich gar nicht so weit von entfernt.

Brodesser: Wir haben eine völlig andere Bedrohungslage als noch vor fünf oder vor zehn Jahren. Und ich gehöre zu den Leuten, die glauben, was Putin sagt und womit er droht. Und deswegen ist für auch klar, dass er nicht Halt macht, was hoffentlich nicht passieren wird. Zurück zu Ihnen persönlich.

Haben Sie sich für die laufende Wahlzeit ein Ziel vorgenommen, das Sie gerne erreichen würden?

Köstering: Persönlich würde ich ehrlich gesagt gucken, dass ich gesund rauskomme, weil ich merke schon, dass das echt an die Substanz geht, wenn man nicht aufpasst. Das ist ein Doppelleben. Gerade wenn es jetzt drei Sitzungswochen am Stück gibt.

Brodesser: Durch meine Mitgliedschaft im Finanzausschuss habe ich jetzt die Verantwortung und das große Glück, zwei konkrete Punkte aus dem Koalitionsvertrag umsetzen zu dürfen, für die seit dem ersten Tag im Parlament kämpfe. Das ist die Reform der geförderten Altersvorsorge, die eigentlich schon seit acht Jahren überfällig ist, aber immer wieder am Widerstand unserer damaligen Koalitionspartner gescheitert ist. Und das gepaart mit der Einführung einer sogenannten Frühstart-Rente, bei der Kinder im schulpflichtigen Alter schon direkt eine staatlich finanzierte Altersvorsorge bekommen, bevor sie ins Erwerbsleben eintreten und dann weiter sparen können. Das wäre schön, wenn ich am Ende der Legislaturperiode sagen könnte, da kannst du deinen Namen drunterschreiben.

Und was gibt es für Oberberg?

Brodesser: Es gibt nach wie vor noch keine Schallschutzwand auf der Bundesautobahn A4 auf der Höhe Engelskirchen-Hardt, wo die Bundesautobahn GmbH seit Wochen und Monaten und Jahren auf Lücke spielt. Und im Grunde jede Anfrage, die ich regelmäßig stelle, überhaupt nicht mehr beantwortet. Das wäre so ein Lieblingsprojekt, wo ich sage, da würde ich gerne mal eine rote Schleife durchschneiden und einen Haken dranmachen.

Welchen Stellenwert haben für Sie die Berlin-Besuche aus Oberberg?

Brodesser: Ich sehe das als kleinen Beitrag dafür, Menschen für Politik und für Demokratie zu begeistern, weil ich einfach eine zunehmende Entfremdung von der demokratischen Gesellschaft und dem Staat feststelle. Und das, was wir als Parlamentarier da bewirken können, tun wir sehr gerne. Dabei geht es darum, deutlich zu machen, wie wichtig eigentlich Demokratie ist und dass wir wieder lernen müssen, Kompromisse zu leben. Und zum Kompromiss zählt eben auch, mal Niederlagen einzustecken.

Köstering: Das Menschen begreifbar zu machen, funktioniert bei den Besuchen ganz niedrigschwellig. Ich hatte vor zwei Wochen aus Marienheide zwei Betriebsräte von der IG Metall, die in Berlin auf einer Schulung waren. Die haben sich ganz spontan gemeldet. Und dann sind wird durchs Paul-Löbe-Haus rein und dann einmal durch die Katakomben nur durch das Reichstagsgebäude bis hin zur Kuppel. Und schon waren wir mittendrin.