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NS-ZeitWebseite dokumentiert die Oberberger Zwangsarbeiterlager

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Zwangsarbeiter

Baracken der Zwangsarbeiter

Oberberg – Jeder Fluchtversuch wurde hart bestraft. Jonas Satas war im März 1943 mit seiner Familie aus Litauen nach Deutschland deportiert worden und leistete Zwangsarbeit bei der Gummersbacher Firma Steinmüller. Er berichtet von einem Landsmann, der plötzlich verschwand.

Nach einem Monat brachte ihn die Gestapo zurück. „Wir erfuhren, dass er nach Hause zurückkehren wollte, doch wurde er von Gendarmen gefangen und verbrachte eine Zeitspanne im Konzentrationslager. Man konnte ihn kaum erkennen, er war nur noch aus Haut und Knochen.“

Grausamer Alltag der NS-Zwangsarbeiter

So ist es in einem Protokoll der Biographischen Sammlung des Gummersbacher Stadtarchivs dokumentiert, das Ulrich Melk und Gerhard Pomykaj in ihrem Beitrag für die Broschüre „Zwangsarbeit in Oberberg“ zitieren. Die Schrift erschien 2002 anlässlich einer Ausstellung zum Thema im Museum auf Schloss Homberg.

Die Autoren stellen fest: „Sozialrechtliche Diskriminierung, Leistungsdruck und Arbeitshetze, die drohende (und zuweilen schlimme Wirklichkeit werdende) Möglichkeit, in ein Arbeitserziehungslager eingewiesen zu werden, all dies gehörte zweifellos zum Alltag der NS-Zwangsarbeiter im Oberbergischen.“

NS-Regime weitete das System der Ausbeutung aus

Schon im Ersten Weltkrieg waren Soldaten und Zivilisten aus den überfallenen Nachbarländern zu Zwangsdiensten verpflichtet worden, wie Peter Ruland in derselben Publikation berichtet. Das NS-Regime aber weitete das System der Ausbeutung so weit aus, dass auf dem heutigen Gebiet des Oberbergischen Kreises Anfang 1945 etwa 15 000 Zwangsarbeiter gezählt wurden.

Die Autoren der Broschüre listen auf einer Landkarte für jede oberbergische Kommune Zwangsarbeiterlager und die Firmen auf, in denen die zivilen und militärischen Arbeiter beschäftigt waren.

Russen und Polen galten als „Untermenschen“

Anders als der systematische Mord in den Konzentrationslagern fern im Osten, den mancher damals und später ausblenden konnte, fand die Unterdrückung der Zwangsarbeiter, unter denen Russen und Polen als „Untermenschen“ besonders brutal behandelt wurden, mitten im oberbergischen Alltag statt.

Die Aufarbeitung der Schicksale dieser Menschen habe dennoch erst Ende der 1990er Jahre im Rahmen der Entschädigungsdiskussion richtig begonnen, schreiben Melk und Pomykaj am Ende ihrer Untersuchung. „Die Detailforschung vor Ort ist noch lange nicht abgeschlossen.“

Karte zeigt mehr als 150 Lager

Fast 20 Jahre später schließt sich Gerhard Jenders diesem Appell an, nicht ohne die Vorarbeit von Melk und Pomykaj zu loben. „Die Dokumentation von 2002 ist gelungen. Uns geht es um die Veranschaulichung.“ Jenders ist Vorsitzender der Initiative „Unser Oberberg ist bunt – nicht braun!“ und hat auf deren Homepage eine interaktive Karte veröffentlicht. Darauf sind mehr als 150 Lager verzeichnet.

Jenders möchte das Verzeichnis vervollständigen und konkretisieren, hier und da Lücken füllen und bittet um die Mithilfe der oberbergischen Regionalforscher und -forscherinnen, aber auch von Schülern und Schülerinnen.

Weitere Friedhöfe sind in Arbeit

„Zusätzlich sind wir dabei, die Gedenkorte auf verschiedenen Friedhöfen zu ergänzen und dazu Informationen zu den Menschen, die dort begraben sind, zusammen zu stellen. Dadurch werden die Schicksale deutlich.“ Bisher hat er es für Gimborn und Marienheide gemacht, weitere Friedhöfe sind in Arbeit.Anlass der Aktion ist die Absage eines Besuchs wegen der Corona-Krise. Die nordrhein-westfälische „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ hat erstmals im März 2018 auf einer Gedenkfahrt zum Thema Zwangsarbeit Station in Oberberg gemacht.

Jenders informierte die Reisegruppe in Lindlar über die Umstände einer Mordaktion, bei der zehn Zwangsarbeiter kurz vor Kriegsende erschossen wurden, um ein Attentat auf einen NS-Funktionär zu vergelten. Ende Oktober sollte wieder eine solche Fahrt stattfinden, musste aber abgesagt werden. Der technikversierte Aktivist Jenders machte sich daraufhin daran, eine Online-Version des Vortrags in Form der interaktiven Karte zu programmieren.

Als Arbeit als selbstverständlichen Beitrag zum Auftrag der Initiative „Oberberg ist bunt“

„Für mich war es überraschend, wie dicht die Lager in Oberberg verteilt waren“, sagt Jenders. „Überall, wo Industrie war, gab es Zwangsarbeiter, teils mehrere hundert in einem Lager. Diese Menschen sind es wert, dass man an sie erinnert.“ Jenders sieht seine Arbeit als selbstverständlichen Beitrag zum Auftrag der Initiative „Oberberg ist bunt“.

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Dass viele Zwangsarbeiter auch menschlich behandelt wurden und dass bei der engen Zusammenarbeit etwa in der Landwirtschaft sogar Vertrauensverhältnisse und Freundschaften zwischen Deutschen und Ausländern entstanden, belegt für ihn den Unsinn des Unterdrückungssystems: „Wenn man jemanden an seinem Tisch als Menschen kennenlernt, löst sich jeder Irrglaube vom ,Untermenschentum’ bald auf.“ http://oberberg-ist-bunt.org