SchandmalAuf dem Wipperfürther Marktbrunnen prangte Jahrhunderte lang eine antijüdische Schmähung

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Judensau an der Stadtkirche St. Marien in der Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt) mit der Inschrift Rabini, Schem Ha Mphoras (hebr. der unverstellte Name).

Von der Plastik in Wipperfürth ist kein Bild erhalten. Diese Darstellung einer „Judensau“ stammt aus Wittenberg an der Kirche Sankt Marien.

Auf dem Wipperfürther Marktbrunnen war fünf Jahrhunderte lang Antisemitismus in Stein gemeißelt. Die Diskriminierung soll nun zum Mahnmal werden.

Die Geschichte des Wipperfürther Marktbrunnens muss umgeschrieben werden. Denn über viele Jahrhunderte prangte hier ein antisemitisches Schandmal. Erich Kahl, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins Wipperfürth (HGV), hat die Geschichte dieser fast vergessenen Plastik erforscht.

„In der Mitte ragt eine kleine Pyramide hervor, mit verschiedenen Figürchen, worunter die Worte: Guyd suig dine Mueder“ (Jude saug deine Mutter). Eines dieser Figürchen ... hält mit beiden Händen ein Mutterschwein fest, ein anderes scheint wirklich an diesem Thiere zu saugen.“ So lautet die Beschreibung der Brunnensäule, die Friedrich Everhard von Mering in einem Aufsatz 1840 veröffentlichte.

Brunnen hat eine lange Historie

In der jüngsten Ausgabe der „Wipperfürther Vierteljahresblätter“, Nummer 169, hat der HGV einen sehr aufschlussreichen Aufsatz über das antisemitische Bildmotiv auf dem Marktbrunnen veröffentlicht und sich dabei unter anderem auf Merings Beschreibung gestützt.

Der ursprüngliche Brunnen mitsamt Säule stammt demnach aus dem Jahr 1331. Der Brunnen wurde um 1590 durch einen Neubau ersetzt, der bis heute auf dem Marktplatz steht. Die gotische Mittelsäule wurden in den neuen Brunnen integriert, bis sie, vermutlich kurz nach 1840 herum, als baufällig abgerissen wurde. Und damit verschwand auch für lange Zeit die Erinnerung an die antisemitische Inschrift.

Wie Kahl belegt, hatte bereits 1822 der damalige Wipperfürther Bürgermeister Friedrich Diesterweg die „Fontäne“ auf dem Marktplatz beschrieben und damit auch die Darstellung des an einem Schwein saugenden Juden erwähnt.

Tiermetapher weit verbreitet in Kirchen, um Juden zu demütigen

Wipperfürth war damit kein Einzelfall. Die Tiermetapher „Judensau“ war im Hochmittelalter als Bildmotiv weit verbreitet. Sie sollte Juden, denen das Schwein als unrein gilt, verhöhnen und demütigen. Oft zeigen solche Darstellungen Menschen mit dem sogenannten „Judenhut“, die an den Zitzen einer Sau lecken, sie umarmen oder die ihr Gesicht dem Anus des Tiers zuwenden, aus dem Kot und Urin spritzen.

Ursprünglich, so Kahl, waren solche Darstellungen vor allem an oder in Kirchen zu finden, auch am Chorgestühl des Kölner Dom gibt es eine solche Schmähung.

Wipperfürther Marktbrunnen als frühestes bekanntes Beispiel des Motivs

Der Wipperfürther hat noch weitere wichtige Details herausgefunden: „Die Mittelsäule des Marktbrunnens zeigte die Jahreszahl 1331; wenn die Darstellung des an einem Schwein saugenden Juden aus diesem Jahr stammt, gebührt Wipperfürth der zweifelhafte Ruhm, das früheste bis heute bekannte Beispiel dieses Motivs an einem profanen Bauwerk vorweisen zu können. Dass die diskriminierende Darstellung an einem öffentlichen Brunnen zu sehen war, könnte mit dazu beigetragen haben, dass sich in Wipperfürth niemals eine jüdische Gemeinde etablierte“, so Erich Kahl.

Einer von Kahls Vorgängern, Hans Kraus, hat in einem erstmals 1967 erschienenen Aufsatz die erwähnte Beschreibung des Marktbrunnens von Diesterweg wörtlich wiedergegeben, dabei aber die Sätze, die sich auf das antisemitische Bildmotiv beziehen, weggelassen. Kraus habe dies wohl getan, um nicht als „Nestbeschmutzer“ zu gelten, vermutet Kahl.

Er plädiert für einen offenen Umgang mit der eigenen Historie und einzugestehen, dass es auch in Wipperfürth Vorurteile, Engstirnigkeit und Ausgrenzung gab. „Ein Schandmal wird dann zum Mahnmal, wenn man sich die Unmenschlichkeit vor Augen führt, die darin zum Ausdruck kommt, und daraus die Motivation ableitet, Konsequenzen für die gesellschaftliche Gegenwart zu ziehen“, schreibt Erich Kahl.


Ein bekannter Fall

In Wittenberg an der Kirche St. Marien hängt das wohl bekannteste Relief der „Judensau“. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte im Sommer 2022 entschieden, dass die bekannte Schmäh-Plastik an Ort und Stelle bleiben dürfe, auch wenn dies „in Stein gemeißelter Antisemitismus“ sei.

Der Kirchenbeirat in Wittenberg entschied 2022, die Plastik an Ort und Stelle zu belassen, sie aber durch ein museumspädagogisches Konzept neu zu begleiten.

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