Millardenbetrug mit DigitalwährungNRW-Polizei fahndet nach der „Krypto-Queen“

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Pompöser Auftritt in Abendgardarobe: Onecoin-Gründerin Ruja Ignatova ist verschwunden

Düsseldorf/Bielfeld – Alle aufstehen, befiehlt der Einpeitscher. Aus den Lautsprecherboxen der Wembley-Arena in London donnert der Hit der US-Sängern Alicia Keys: „This girl is on fire.“ Am Bühnenrand zucken echte Feuerblitze in die Höhe, als Ruja Ignatova im maßgeschneiderten roten Abendkleid mit langer Schleppe und jeder Menge Glitzerzeug die Bühne betritt. Das Gekreische und der Beifall lassen auf einen Popstar tippen, doch es ist „nur“ eine Juristin, die im Februar 2016 für die Begeisterung von tausenden Anhängern sorgt.

„Wir sind mehr als nur eine Währung. Wir erschaffen eine Welt um diese Währung herum“, ruft die in Bulgarien geborene Deutsche, die von ihren Fans als „Krypto-Queen“ gefeiert wird. Eine Graphik und Tabelle nach der anderen wird auf der Leinwand im Hintergrund eingeblendet. Alle Zahlen versprechen Mega-Gewinne. OneCoin, die Erfindung von Ignatova, werde der neue Star unter den Internet-Zahlungsmethoden, besser und erfolgreicher noch als die Kyptowährung Bitcoin. „Derzeit habe wir schon mehr als zwei Million aktive User. Und spätestens in zwei Jahren werden auch über eine Million Händler Onecoin akzeptieren, darunter Giganten wie Google und Microsoft“, ruft die in Deutschland aufgewachsene gebürtige Bulgarin. Bisher habe sie weltweit schon 4,4 Milliarden Euro von Anlegern eingesammelt. „Aber wir wollen acht Milliarden. Und wir alle sind jetzt schon dabei“

„We are telling the people shit“

Ein Besprechungsraum der Staatsanwaltschaft Bielefeld im Mai dieses Jahres. Hier geht es deutlich weniger spektakulär zu. Am Kopf des Zimmers hängen Schwarzweißfotos der Juristen, die in der Behörde schon gearbeitet haben. Einige sind mit einem Trauerflor versehen. Neben den Bildern hängen Wimpel, darüber eine goldumrandete Wanduhr. Auf dem oberen Rand thront eine quietschgelbe Badewannenente.

Hier werden die Scherben zusammengekehrt, die die glamouröse „Krypto-Ruja“ hinterlassen hat. Ihre angebliche Digitalwährung war reine Erfindung, der ständig steigende Marktwert manipuliert. „We are telling the people shit“, schrieb sie in einer internen Mail einem Komplizen. Ein gigantischer Betrug, der weltweit seinesgleichen sucht. Bei dem hunderttausende Anleger geschädigt wurden, alleine in Deutschland waren es etwa 60.000. Die Schadensschätzungen liegen weit auseinander, US-Behörden reden von etwa vier Milliarden Dollar. Und die heute 42-jährige Unternehmensgründerin ist flüchtig.

Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelt

Zuletzt sei sie am 25. Oktober 2017 in Athen gesichtet worden, dort wurde sie von zwei Russen am Flughafen abgeholt und ist seitdem spurlos verschwunden, berichtet der Bielefelder Staatsanwalt, der den Fall mit weltweit anderen Ermittlungsbehörden wie dem amerikanischen FBI aufklären soll. Seinen Namen möchte er in der Zeitung nicht lesen, weil er um die Sicherheit seiner Familie fürchtet.

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Hineingeraten in das weltweite Desaster ist er durch eine Firma im nahegelegenen Greven. Von dort aus wurde der Deutschland-Vertrieb der Fantasie-Währung koordiniert. Angeboten wurden, je nach Kaufkraft der Interessenten, Anlagepakete von 100 bis 120.000 Euro. Etwa 88.000 Überweisungen mit einer Gesamtsumme von 320 Millionen Euro hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld gezählt.

Prozess muss neu aufgerollt werden

Für die Anklage und die strafrechtliche Nachweisbarkeit habe man sich der Einfachheit halber auf 70 deutsche Anleger konzentriert, die vernommen wurden. Deren Geld wurde, anstatt in die angebliche Währung zu investieren, von den Beschuldigten beispielsweise an eine Bank auf den Kaimaninseln in der Karibik überwiesen. Empfänger sei ein Fonds gewesen, der dann wiederum über Treuhänder für Ignatova Nobelimmobilien etwa in London gekauft habe, berichtet der Bielefelder Ermittler.

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Das Bundeskriminalamt fahndet weltweit nach Ignatova

Das meiste Geld aber bleibt verschwunden. Und jetzt ist auch noch der Onecoin-Prozess am Landgericht Münster gegen die mutmaßlichen Komplizen aus Greven geplatzt. Weil zwei Schöffinnen dauerhaft erkrankt sind, muss die Beweisaufnahme nach 19 Verhandlungstagen mit 38 Zeugen und zwei Sachverständigen wiederholt werden. Der neue Prozess soll Mitte August starten.

Pleite auf ganzer Linie für Justiz und Polizei

Eine Pleite auf ganzer Linie, für die Betrogenen und die Ermittler. Und ein gigantischer Betrug, dessen Erfolg rational kaum zu erklären ist. Vielleicht hat die Aufmerksamkeit getrübt, dass die Käufer von Onecoin auch zu Verkäufern werden konnten, wofür es dann bei jedem Abschluss eine dicke Provision in Onecoin und das Versprechen auf astronomische Gewinne gab. Weil viele verdienen konnte, hat deshalb keiner gemerkt, dass man auf ein klassisches betrügerisches Schnellballsystem hereinfällt?

Der Vergleich mit Bitcoins habe eine große Rolle gespielt, meint der zuständige Staatsanwalt. „Es wurde suggeriert, wer den Bitcoin-Hype verpasst habe, bekommte jetzt eine zweite Chance, vom Anfang an dabei zu sein.“ Es habe eine „Art Goldgräberstimmung“ geherrscht. In einer „Community“, die „fast schon sektenähnlich“ agiert habe. „Ich will nicht sagen, dass Ignatova von diesen Leuten vergöttert wurde, aber schon als eine herausgehobene Person betrachtet, das schon“, sagt der westfälische Ermittler vorsichtig.

Betrügerin hat in der Schule zwei Klassen übersprungen

Ruja Ignatova, 1980 in Bulgarien geboten, im Alter von zehn Jahren mit den Eltern nach Deutschland gekommen, sei ein kluges Kind gewesen, das nach Recherchen des Onlinemagazins „BuzzFeed“ in der Schule zwei Klassen übersprungen hat. In Konstanz habe die junge Frau Jura studiert. Ihren Master habe sie an der Eliteuni Cambridge gemacht, um anschließend bei einer renommierten Unternehmensberatungen zu arbeiten.

Gemeinsam mit ihrem Vater habe sie 2010 das in Schwierigkeiten geratene Gusswerk im bayerischen Waltenhofen übernommen. Die Belegschaft sei anfangs begeistert gewesen. Ignatova aber habe versucht, die Maschinen nach Bulgarien zu verkaufen und die eigentlich schon insolvente Firma Anfang 2012 heimlich weiterverkauft. Direkt danach habe sie sich ins Ausland abgesetzt, wohl erst nach London und dann nach Dubai. Im April 2016 sei sie in Augsburg in Abwesenheit wegen Insolvenzverschleppung und Betrug verurteilt. „Von einer erheblichen kriminellen Energie sprach die Staatsanwaltschaft damals. Von einer positiven Sozialprognose das Gericht“, schreibt BuzzFeed.

Die Abzocke geht noch weiter

Aber der Betrug ist noch nicht zu Ende. „Das Konzept Onecoin läuft heute in über 40 Länder in verschiedenen vertrieblichen Erscheinungsformen weiter“, berichtete eine Studie der Forschungsgruppe unter Professorin Michaela Hönig von der Frankfurt University für Applied Sciences im Herbst 2021. „Aktivitäten wurden in über 200 Social Media Accounts von Instagram, Facebook, Telegramm analysiert. Eine Dunkelziffer läuft über private WhatsApp–Gruppen“, erklärt Hönig. Ihre Untersuchungen zum System der Abzocke seien noch nicht abgeschlossen.

„Aus unserer Bewertung handelt es sich bei dreiviertel der Accounts aber nicht um kommerzielle, sondern um private User ohne ein professionell dahinterstehendes Management“, so die bisherige Analyse. Deutliche Aktivitäten seien in Russland und im Nahen Osten und allen voran in Pakistan festgestellt wurden, betont die Professorin für Wirtschaftsrecht. „In den europäischen Ländern indes sind 90 Prozent der Accounts überwiegend seit 2017 nicht mehr aktiv."

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