Organisierte KriminalitätDarum sind Abschiebungen von Clan-Mitgliedern so kompliziert

Lesezeit 5 Minuten
Polizisten riegeln den Dortmunder Friseurladen nach dem Überfall ab.

Polizisten riegeln den Dortmunder Friseurladen nach dem Überfall ab.

  • Obwohl in Bremen das Oberhaupt einer Familienbande abgeschoben werden konnte, tut sich das Land NRW schwer mit dieser Möglichkeit.
  • Wir nennen die Gründe, wieso die Rückführung hierzulande oft scheitert.

Köln – Der Überfall geschah in Sekundenschnelle. Ein bulliger Mann mit schwarzem lockigem Haar stürmte am 18. Juli in den Friseurladen in der Dortmunder Hansastraße. Er richtete seine Waffe auf den Geschäftsinhaber Benjamin G., einem Mitglied der Rocker-Gang „Bandidos“. Ein Gerangel entstand, dann löste sich ein Schuss, der den Oberschenkel des Ladenbesitzers traf. So wird es das Opfer nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ später in der Vernehmung schildern.

Anschließend stürmte der Angreifer nach draußen, einen halben Kilometer weiter bestieg der schnauzbärtige Täter einen Fluchtwagen und fuhr davon. Die Nummernschilder, die eine Überwachungskamera aufzeichnete, waren als gestohlen gemeldet.

Racheakt in der Dortmunder Unterwelt

Seither fahnden die Dortmunder Ermittler nach dem Täter. Zeitweilig vermuteten die Strafverfolger, dass es sich bei dem Schützen um den Bruder eines hochrangigen Mitglieds aus dem kurdisch-libanesischen Miri-Clan handeln könnte. Doch der Verdacht scheint sich nicht zu erhärten. Trotzdem gehen die Strafverfolger von einem Racheakt in der Dortmunder Unterwelt aus. Auslöser könnte der 8. September 2018 gewesen sein.

Seinerzeit war das Miri-Clanmitglied Esmat E. bei einer Auseinandersetzung mit zwei Mitgliedern der Bandidos niedergestochen worden. Der Bandido-Friseur wurde wegen der Messerattacke zu vier Jahren Haft verurteilt. Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, befand sich der zuvor inhaftierte Salon-Besitzer auf freiem Fuß. Die Gelegenheit für das Attentat.

Miri-Netzwerk gehört zu den Big Playern in der hiesigen Clan-Welt

Sollten sich die Vermutungen bewahrheiten, wären Rocker und Clan-Mitglieder in NRW nicht zum ersten Mal aufeinander losgegangen. Im August 2016 beispielsweise kam es in Erkrath zu einer Massenschlägerei. Und das Miri-Netzwerk gehört zu den Big Playern in der hiesigen Clan-Welt. Allein in ihrem Haupteinflussbereich Bremen und Niedersachsen zählen die Ermittler gegen die Organisierte Kriminalität (OK) etwa 30 Familien mit insgesamt 2600 Angehörigen, bundesweit sollen es 8000 Mitglieder sein.

Auch in NRW versucht der Clan zunehmend Fuß zu fassen. Allerdings steht nicht fest, wie viele der Mitglieder tatsächlich im OK-Bereich operieren. Lange Zeit hielten sich die kriminellen Großfamilien für unangreifbar. Zuletzt aber hatte die Abschiebung eines führenden Clanbosses in Bremen die Szene an der Spree und auch an der Ruhr schwer verunsichert.

Der Libanon weigerte sich lange Zeit, Ersatzpapiere auszustellen

Ibrahim Miri lebte nach sechsjähriger Haft seit dem März dieses Jahres wieder im Bahnhofsviertel der Hansestadt. Der 46-jährige Clanboss ist zwar seit 2006 ausreisepflichtig, als Staatenloser ohne Papiere erhielt er jedoch stets aufs Neue eine Duldung. Bei seinem Vorstrafenregister wäre eine Abschiebung kein Problem gewesen, wenn nicht der Libanon als Herkunftsland sich lange Zeit geweigert hätte, Ersatzpapiere auszustellen. Und so bedurfte es der Pflege persönlicher Beziehungen, um das Ziel zu erreichen.

Im Herbst 2018 reiste Bundespolizeipräsident Dieter Romann nach Beirut, um die Dinge in die richtigen Bahnen zu lenken. Die Libanesen lieferten die benötigten Dokumente, es folgte ein enger Informationsaustausch mit dem Chef des libanesischen Grenz-Sicherheitsdienstes sowie den Innensenatoren aus Berlin und Bremen.

Clanchef Ibrahim Miri (r.) stand wegen Drogenhandels in Bremen vor Gericht.

Clanchef Ibrahim Miri (r.) stand wegen Drogenhandels in Bremen vor Gericht.

Anti-Terror-Einheit GSG 9 überwältigten Ibrahim Miri 

In der Nacht des 10. Juli lief die Aktion ab: Beamte der Anti-Terror-Einheit GSG 9 öffneten mit einer Hydraulikzange die Wohnung der Zielperson, überwältigten ihn und brachten ihn zu einem in der Nähe wartenden Hubschrauber, der ihn binnen einer Stunde zum Flughafen Berlin-Schönefeld brachte.

Die Festnahme war erledigt, ehe die übliche Telefonalarmkette Dutzende Clanmitgliedern auf den Plan rufen konnte. Erst als sich der angemietete Lear-Jet in der Luft befand, erfuhr der Gangster, der sich jahrelang im Drogen- und Waffenhandel sowie im Bereich Schutzgelderpressung betätigt haben soll, dass die Reise nach Beirut ging.

Es hapert an der Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden

Was den Bundesbehörden gelingt, scheint in NRW schwerer durchführbar. Bei einem Treffen in den Räumen der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin vergangenen März zum Thema Clankriminalität reagierten die Emissäre des Landeskriminalamts (LKA) NRW äußerst erstaunt, als sie erfuhren, dass die Bundespolizei fast jede Woche einen Delinquenten in den Libanon abschiebe. Das sei in NRW kaum gelungen, hieß es.

Und das hat anscheinend einen guten Grund: Anders als in Bremen, Berlin, Hessen und Bayern hapert es nach Ansicht von Sicherheitskreisen im Bundesinnenministerium an der Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen im bevölkerungsreichsten Bundesland. Seitdem sämtliche Abteilungen zu Fragen der Ausweisung und Abschiebung vom Innenministerium in das Ressort des Flüchtlings- und Integrationsministers Joachim Stamp (FDP) wechselten, seien die Ressourcen unnötig geteilt worden.

Generell tun sich die Behörden schwer mit den Rücktransfers

Während bei Innenminister Herbert Reul (CDU) die Sicherheitsexperten sitzen, entscheiden die Kollegen beim liberalen Kollegen, wer raus muss oder nicht. Oft passiere dann nichts, „weil keiner sich die Mühe macht, vor Ort bei den Problemstaaten vorstellig zu werden, um etwa Ersatzpapiere zu beschaffen oder die betreffenden Stellen im Bund um Hilfestellung bittet“, sagt ein hoher Sicherheitsbeamter in Berlin.

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht: Generell tun sich die Behörden schwer mit den Rücktransfers in den arabischen Kleinstaat. Allein die Beschaffung von Passersatzpapieren kann zwei Jahre und länger dauern. Oder gar nicht funktionieren. Hartnäckig sträuben sich Staaten aus dem nordafrikanischen Maghreb, der Türkei oder Libanon straffällige Delinquenten oder islamistische Gefährder zurückzunehmen. Seit dem Regierungswechsel in Düsseldorf im Juni 2017 wurden laut dem NRW-Flüchtlingsministerium 40 Libanesen abgeschoben, darunter ein islamistischer Gefährder.

Gerade einmal 100 Libanesen in zwei Jahren zurückgeführt

Bundesweit waren es den Angaben zufolge gerade einmal 100 Libanesen, die seit Sommer 2017 zurückgeführt wurden. Auch keine horrende Zahl. Wenn man weiß, dass allein in NRW gut ein Drittel der 6449 Tatverdächtigen, die der LKA-Lagebericht zu den Clans zwischen 2016 und 2018 erfasst, aus dem Libanon stammen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Auf die Frage dieser Zeitung, wie viele der straffällig gewordene Clanmitglieder mit einem ausländischen Pass denn ausreisepflichtig wären, musste das Ministerium Stamp passen. „Im Rahmen der Statistik zu ausreisepflichtigen oder abgeschobenen Personen erfolgt keine Differenzierung bezüglich Clan-Kriminalität, sondern nach Herkunftsländern“, sagte ein Ministeriumssprecher.

KStA abonnieren