Konflikt um FinanzierungEin Scheitern des Flüchtlingsgipfels ist nicht ausgeschlossen

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Unterkunft für Geflüchtete in Köln-Blumenberg.

Unterkunft für Geflüchtete in Köln-Blumenberg.

Kommunen und Länder bitten den Bund um mehr Geld, um Geflüchtete unterzubringen. Berlin deutet keinen Kompromiss an. Am Mittwoch droht ein Eklat.

Tino Schomann wandte sich unlängst an seinen Kreistag und schilderte betont nüchtern die Lage. Der Landkreis Nordwestmecklenburg habe 700 Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen, sagte der Landrat, der der CDU angehört, und betonte: „Wir haben das gern getan.“ Auch habe man in Wismar zwei Turnhallen bereitgestellt, in denen 200 Flüchtlinge unterkamen.

Allerdings gab es in der Gemeinde Upahl zuletzt massive Proteste. Denn dem Ort, der 500 Einwohner zählt, sollten 400 Flüchtlinge zugewiesen werden und dort in Containern leben. Das war vielen Bürgerinnen und Bürgern zu viel. Immerhin gibt es in Upahl nicht mal einen Supermarkt, keine Ärzte und schlechte Verkehrsverbindungen. Nach dem Protest wurde das Vorhaben gestoppt. Der Landkreis muss einstweilen keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen. Nur: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. „Sobald wir wieder Kapazitäten haben, werden wir unseren Verpflichtungen wieder nachkommen“, sagte Schomann im Kreistag. Es geht nicht anders.

Auch wenn Proteste die Ausnahme sind: Probleme mit der wieder zunehmenden Zahl von Flüchtlingen gibt es derzeit nicht allein in Mecklenburg-Vorpommern, sondern überall in Deutschland. Manchen Kommunen fehlt Geld zur Unterbringung und Versorgung. Manchen fehlen Immobilien. Und manchen fehlt beides. Weil das so ist, findet in diesen Wochen einmal mehr eine kontroverse Debatte über die Flüchtlingspolitik statt. Debattiert wird auf zwei Ebenen.

Derzeit kommen etwa 20.000 Asylbewerber pro Monat nach Deutschland

Die eine Ebene ist die der Europäischen Union, die wesentlich darüber entscheidet, ob Flüchtlinge nach Europa und damit auch zu uns gelangen – und wie sie dann verteilt werden. Wenn sie denn verteilt werden. Bisher gilt das so genannte Dublin-System. Es besagt, dass Flüchtlinge in dem Mitgliedstaat einen Asylantrag stellen können und müssen, in dem sie zunächst den Boden der EU betreten haben. Da sich diese Menschen vor allem von Süden her nähern, sind das in erster Linie Griechenland, Italien und Spanien.

Geflüchtete aus der Ukraine laufen nach ihrer Ankunft durch die Eingangshalle vom Messebahnhof Laatzen in Hannover.

Geflüchtete aus der Ukraine laufen nach ihrer Ankunft durch die Eingangshalle vom Messebahnhof Laatzen in Hannover.

Nur: Das System funktioniert spätestens seit der Flüchtlingskrise 2015 nicht mehr, und alle wissen das. Denn weil in den Staaten mit EU-Außengrenze zu viele Flüchtlinge stranden, lassen diese sie in Teilen einfach weiterreisen. Zahlreiche Flüchtlinge kommen anschließend nach Deutschland, weil die Behandlung bei uns respektvoller und die materielle Versorgung besser ist als in Staaten wie etwa Ungarn, die allein auf Abschreckung oder Zurückweisung setzen. Die Zahl der Asylbewerber, die es momentan bis nach Deutschland schaffen, liegt bei etwa 20.000 – pro Monat.

Ukraine-Krieg: Eine Million Geflüchtete in Deutschland

Seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine kamen eine Million Kriegsflüchtlinge hinzu. Ihre Zahl wachse unter dem Strich nicht mehr, verlautet aus Regierungskreisen. Einreisende Ukrainerinnen und Ukrainer sowie solche, die zeitweilig oder ganz zurückkehrten, hielten sich mittlerweile die Waage. Doch klar ist: Diese eine Million Menschen müssen keine Asylanträge stellen. Und sie müssen für eine ungewisse Zeit untergebracht und versorgt werden.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser sieht nun ein „historisches Momentum“, um zumindest das dysfunktionale Dublin-System durch ein neues System zu ersetzen. Die SPD-Politikerin schließt sich damit einem Plan der EU-Kommission an. Dem zufolge sollen zwar Afghanen, Syrer oder Iraker – also Menschen aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote – weiterhin einen Asylantrag stellen können wie heute, sprich: auf dem Territorium der EU. Flüchtlinge aus Ländern, deren Asylanträge zu maximal 15 Prozent anerkannt werden, sollen jedoch in Lagern an den EU-Außengrenzen abgefangen und ihr Asylantrag dort binnen drei Monaten bearbeitet werden.

Wer nicht anerkannt würde, müsste aus den Lagern dahin zurück, woher er gekommen ist. Die Anerkannten dürften in die EU einreisen und würden dann gerecht auf die Mitgliedstaaten verteilt. Wenn sich Mitgliedstaaten weigern, müssten sie Geld an die anderen zahlen. Soweit die Theorie.

Freilich herrschen erhebliche Zweifel daran, dass die Praxis dieser Theorie folgt. Ungarn hat bereits signalisiert, dass es festen Verteilungsquoten auch künftig nicht zustimmen wird. Andere Länder wie Spanien wollen das Thema zumindest jetzt gar nicht erst auf die Tagesordnung setzen. Dort wird im Dezember ein neues Parlament gewählt.

Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, betont ohnehin: „Alle Forderungen nach Abschottung laufen ins Leere, wenn die Herkunftsländer ihre Staatsbürger nicht wieder aufnehmen wollen. Wer einfach nur Zäune hochzieht, löst das Problem nicht.“ Der Grüne fragt zudem grundsätzlich: „Wie können wir international noch die Fahne von Rechtsstaat und Demokratie hochhalten, wenn uns das Leben der Staatsbürger des globalen Südens nichts wert ist?“ Andere Grünen-Politiker sind aus ähnlichen Gründen ebenfalls gegen den Plan aus Brüssel, der im Großen und Ganzen auch Faesers Plan ist.

Zelte zur Unterbringung von Geflüchteten im Herbst 2022 in Bremen.

Zelte zur Unterbringung von Geflüchteten im Herbst 2022 in Bremen.

Mit anderen Worten: Zwar verfolgen immer mehr Politikerinnen und Politiker in Deutschland sowie anderen Teilen der EU das Ziel, das Flüchtlingsproblem durch Abschottung zu lösen. Der Widerstand dagegen wird auch in Grünen-Kreisen insgesamt eher geringer. Es bleiben gleichwohl jede Menge Hindernisse. Dass aus Faesers „historischem Momentum“ Realität wird, ist ebenso unwahrscheinlich wie die Erwartung, der neue Rückführungsbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Stamp (FDP), werde Herkunftsländer dazu bringen, Flüchtlinge in nennenswertem Umfang zurückzunehmen.

Das Problem ist größer als 2015/16
Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager (CDU)

Weil das alles so ist, findet die zweite Ebene der gegenwärtigen Auseinandersetzung in Deutschland statt – nämlich zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Diese Auseinandersetzung kreist vorrangig um die Frage, wer für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge aufkommt, die hier sind oder noch sein werden. Die Antwort darauf soll am Mittwoch bei einer Sonderkonferenz zwischen den Ministerpräsidenten der Länder und Kanzler Olaf Scholz gefunden werden – besser bekannt als Flüchtlingsgipfel. Dabei zeigen sich die Beteiligten wenig optimistisch, dass eine Einigung gelingt.

Die kommunalen Spitzenverbände, die die Länder an ihrer Seite wissen, fordern seit Monaten mehr finanzielle Unterstützung, und das vehement. So kam es schon Mitte Februar zu einem Eklat, nämlich bei einem ersten Flüchtlingsgipfel in Faesers Ministerium. Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager (CDU), stellte seinerzeit fest: „Das Problem ist größer als 2015/16.“ Zu seiner großen Enttäuschung sei der Bund trotzdem nicht bereit, Städte, Gemeinden und Landkreise mit zusätzlichem Geld zu unterstützen. Als Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) ein anderes Bild der Lage zeichnete, stand der unter den Journalisten sitzende Hauptgeschäftsführer des Landkreistages, Hans-Günter Henneke, bei der Pressekonferenz auf und rief: „Heuchelei!“

Bundesregierung hält bisherige Beteiligung an Kosten für großzügig

Die Fronten haben sich seither eher noch verhärtet. Denn nachdem Länder und Kommunen für ihre Belange getrommelt haben, trommelt der Bund seit einigen Tagen nicht minder offensiv zurück. Er verweist unter anderem darauf, dass Länder, Städte und Gemeinden zuletzt mehrheitlich finanzielle Überschüsse erwirtschaftet hätten, während der Bund auch wegen der Corona-Pandemie und der Energiekrise zum dritten Mal in Folge ein Defizit hinnehmen müsse. Im Übrigen habe man sich 2022 und 2023 mit jeweils rund 15 Milliarden Euro an den Flüchtlingskosten beteiligt – und trage den Großteil der Kosten für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Es ist gar von „den klebrigen Händen der Länder“ die Rede, die all das nicht sähen oder sehen wollten. Prinzipiell seien sowieso eigentlich die Länder für die Flüchtlinge zuständig.

Dort wird dies parteiübergreifend zurückgewiesen. „Der Sound, der von der Bundesregierung zu hören war, stößt bei uns auf Unverständnis“, verlautet aus einer der 16 Landeshauptstädte. Die Länder fordern ein Finanzierungssystem für die Flüchtlingsversorgung, das an den Flüchtlingszuzug gekoppelt ist. In einer Beschlussvorlage heißt es: „Es bedarf eines Finanzierungsmodells, das der Höhe nach angemessen ist und sich verändernden Flüchtlingszahlen anpasst.“ Teil des Konzepts sind Forderungen nach einer monatlichen Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die Übernahme der Kosten für Integration sowie unbegleitete Minderjährige. Außerdem verlangen die Länder mehr Bundesimmobilien zur Unterbringung der Geflüchteten.

Ein Kompromiss ist derzeit nicht in Sicht. Und ein Eklat wie Mitte Februar in Faesers Haus ist am Mittwoch abermals nicht ausgeschlossen.

Dies könnte Konsequenzen haben. Thüringens Innenminister und SPD-Landesvorsitzender Georg Maier sagt: „Das Thema Flüchtlingskosten treibt mich sehr um. Denn es ist ein gefundenes Fressen für die AfD, wenn die Kommunen Schwierigkeiten bekommen, die Kosten zu bestreiten.“ In Thüringen rangiert die AfD in der jüngsten Umfrage bei 28 Prozent. Maier ist nicht der einzige Politiker, den die Sorge bedrängt, am Ende werde der Streit der Rechtsaußenpartei nutzen.

In Nordwestmecklenburg bemühen sie sich derweil weiter um Nüchternheit. Nein, ein finanzielles Problem hätten sie nicht, heißt es im Umfeld von Landrat Tino Schomann. Die Kosten würden in Mecklenburg-Vorpommern zu 100 Prozent vom Land übernommen. Vor dem Zuweisungs-Stop seien indes 20 bis 30 neue Flüchtlinge zugewiesen worden – pro Woche. Das könne sich wiederholen. Für diese Menschen müsse man entweder fertige Immobilien finden oder neue Immobilien bauen. Das wiederum sei nicht so einfach – trotz ernsthafter Anstrengungen. Ferner brauche man Personal zur Betreuung und Bewachung von Einrichtungen. Das sei ebenfalls nicht so einfach.

„Wir wollen vor die Lage kommen“, sagt ein Mitarbeiter der Kreisverwaltung. Doch noch sei man nicht vor der Lage. „Es ist eine vertrackte Situation.“

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