HackerangriffKommunen in Rhein-Berg arbeiten nach Cyberattacke unter Hochdruck an Notlösungen

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Eine Laptop-Tastatur, auf dem Bildschirm das Wort Hackerangriff

Der Cyber-Angriff auf die Südwestfalen IT bringt auch die Verwaltungen in Rhein-Berg in Schwierigkeiten. Die EDV-Techniker schieben Überstunden.

Die digitalen Systeme streiken in den Rathäusern von Rhein-Berg. Papier und Boten sind für die Arbeit wieder angesagt.

Die Boten sind zurück und mit ihnen die alte, fast schon versunkene Zeit der Postverteilung. Seit vor einer Woche ein Cyber-Angriff auf die Südwestfalen-IT die digitale Datenwelt in 72 Rathäusern zusammenbrechen ließ, hat die analoge Welt wieder Einzug gehalten. Derzeit versuchen die Verwaltungen fieberhaft, wenigstens Notlösungen für Dienstleistungen einzurichten, die durch den gesperrten Zugriff auf Datenbanken nicht mehr möglich sind.

Pässe und Personalausweise können nicht ausgegeben werden, Wohngeld nicht gezahlt, Sterbefälle nicht beurkundet werde – nur drei Beispiele, die zeigen, wie einschneidend der Zusammenbruch der Datenleitungen auch für die Bürger und Bürgerinnen der betroffenen Kommunen sein können. In Bergisch Gladbach tagte am Montag der Krisenstab, die EDV-Experten in den Verwaltungen schieben Überstunden.

In dringenden Fällen werden Pass-Ermächtigungen ausgestellt

Der Druck im Bürgerbüro steige seit Anfang der Woche, sagt Andreas Halfmann, Amtsleiter der Bürgerdienste in Odenthal. Gestern seien einige Menschen gekommen, die für eine unmittelbar bevorstehende Reise dringend einen Pass benötigt hätten. Doch die konnte man nicht liefern. Nun stelle man in dringenden Fällen sogenannte „Pass-Ermächtigungen“ aus, eine Sonderregel des Passgesetzes, die auch in Bergisch Gladbach und anderen Kommunen angewandt wird.

Damit dürfen Bürger einen Ausweis auch bei einer anderen als der Heimatkommune ausstellen lassen. Eine Regel, die normalerweise für Ausweisinhaber gedacht ist, die aus schwerwiegenden Gründen, wie etwa Krankheit, verhindert sind, im Heimatort einen Ausweis zu beantragen. „Dieses Mal liegt der Grund allerdings bei uns“, bedauert Halfmann.

Es liegen keine Nachrichten über die Dauer der Störung vor

Wer mit dieser Sondererlaubnis das Passamt einer anderen Stadt aufsucht, sollte sich allerdings überlegen, wohin er sich wendet. 72 Kommunen im Land sind vom Netz. Nicht von der Hackerattacke betroffen sind beispielsweise Lindlar und Leverkusen. Von Leverkusen wisse man allerdings, dass dort schon normalerweise mit längeren Wartezeiten gerechnet werden müsse, so Halfmann.

Er wirkt bedrückt. Gerade erst habe er einem Berufskraftfahrer gegenüber gesessen, der dringend eine Bescheinigung für die Fahrerlaubnis benötigte: „Normalerweise haben wir dann immer Lösungen, jetzt haben wir keine.“ Erschwerend kommt in allen betroffenen Kommunen hinzu, dass ihnen keine Informationen über die Dauer der IT-Störung vorliegt. Daher wird jetzt in allen Rathäusern an eigenen Notlösungen gebastelt.

Die papierlose Ratsarbeit ist derzeit Geschichte

So hatte man in Odenthal gerade auf die „papierlose (sprich: digitale) Ratsarbeit“ umgestellt. Davon ist jetzt nicht mehr viel übrig geblieben. Um die politische Arbeit in den kommenden Ausschüssen erledigen zu können, wurde nun wieder zum Papier zurückgekehrt, alte Kopierer aus dem Magazin geholt und die Papierbündel schließlich per Boten an die Ratsmitglieder verteilt.

In den betroffenen Kommunen können auch Geburten, Trauungen und Sterbefälle nicht ordnungsgemäß beurkundet werden. Zwar mangelt es nicht am Stempel, wohl aber an der Urkundennummer – und ohne Nummer keine Gültigkeit. Improvisiert werden muss auch bei den Zahlungen von Sozialleistungen, von Wohngeld oder Leistungen für Asylbewerber. Um niemanden in finanzielle Not zu bringen, will Kürten die Gelder weiter auszahlen, kündigte Bürgermeister Willi Heider an. Dabei orientiere man sich an Listen der letzten Zahlungsausgänge. Der Abgleich erfolge später.

Die Lage in den Kommunen

Bergisch Gladbach: Hauptsächlich betroffen von dem Cyber-Angriff sind Serviceleistungen im Bürgerbüro und Standesamt. Bisher mussten 944 Termine wegen des IT-Ausfalls abgesagt werden. Urkundenausstellungen im Standesamt sowie Anmeldungen zur Eheschließung sind aktuell nicht möglich, auch nicht über den Online-Buchungskalender. Aber vereinbarte Hochzeiten können stattfinden, ebenso wie Neugeborenen-Beurkundungen.

Die Abgabe von namensrechtliche Erklärungen sind auf fristgebundene, dringende Termine beschränkt. Sterbefallurkunden müssen zurückgestellt werden. Bescheinigungen hierüber können jedoch ausgestellt werden, damit die Bestattungen stattfinden können. Das Standesamt bittet Kunden, nur in begründeten Notfällen Kontakt aufzunehmen. Führungszeugnisse können online direkt beim Bundesamt für Justiz beantragt werden.

In Bergisch Gladbach tagte der Krisenstab

„Wir nehmen das Problem sehr ernst“, betont Thore Eggert, Leiter des Krisenstabs, „und behandeln das Thema mit höchster Priorität.“ Das Online-Terminportal ist aber erreichbar, um Ersatztermine zu buchen, teilt die Stadtverwaltung mit. Nur in dringenden Fällen ist das Bürgerbüro telefonisch, (02202)142322, oder per E-Mail zu erreichen.

Kürten: Die Verwaltung ist derzeit zu den Öffnungszeiten nur per Telefon erreichbar, per Post oder persönlich. Die EDV richtet für die Verwaltung Notebooks ein. Behelfsmäßige E-Mail-Adressen für die einzelnen Fachbereiche sind in Vorbereitung und sollen in Kürze auf der „Notfall-Website“ der Gemeinde veröffentlicht werden. Das Rathaus ist telefonisch zu erreichen unter: (02268) 939-0 oder per Fax: (02268) 939-128.

Viele Kommunen haben Sondernummern eingerichtet

Odenthal: Telefonisch sind die Ämter wie gewohnt zu erreichen. Für E-Mails wurde eine neue Adresse eingerichtet: post@gemeinde-odenthal.de. Antworten sind nur telefonisch möglich, daher sollte eine Rufnummer angegeben werden. Weitere Informationen auf der neuen Notfall-Homepage.

Overath: Telefonisch ist die Overather Stadtverwaltung zu den regulären Öffnungszeiten wie gewohnt zu erreichen, E-Mails erreichen die Verwaltung hingegen nicht. In „außerordentlich dringlichen Angelegenheiten“, so heißt es aus dem Overather Rathaus, könne man die Stadtverwaltung unter der zentralen E-Mai-Adresse oder der zentralen Faxnummer 02206/602193 erreichen. Zwingend notwendig ist dabei, eine Telefon- oder Faxnummer zu hinterlassen, sonst kann die Stadt Overath nicht antworten. Auch der Zahlungsverkehr verzögert sich aufgrund des Cyber-Angriffs, Überweisungen werden aktuell händisch ausgefüllt. Stadtwerke, Bauplanungs- und Ordnungsamt, Tiefbauamt, Standesamt und Einwohnermeldeamt sind telefonisch erreichbar, sodass Reisepässe und Personalausweise (mit PIN-Brief) abgeholt werden können. www.overath.de

Rösrath: Das Bürgerbüro hat alle Termine abgesagt, beeinträchtigt sind auch das Standes- und das Gewerbeamt, für Auszahlungen soll es eine Notlösung geben. Telefone und E-Mails funktionieren. Das Bürgerbüro ist unter (02205) 802-222 zu erreichen, die Zentrale unter 8020. Weitere Informationen gibt es hier.

Kreisverwaltung: „Da der Kreis über eine eigene EDV verfügt, sind es die Schnittstellen zu Land und Bund, die uns aktuell Probleme bereiten, beziehungsweise die dazu führen, dass bestimmte Dienstleistungen nicht verfügbar sind“, sagt Sprecherin Nina Eckardt. Betroffen seien Zulassung, Ausländerbehörde, Sozialamt, Elterngeld und Schwerbehindertenangelegenheiten. Die Sprecherin: „Wir arbeiten derzeit mit Hochdruck an einer alternativen Lösung und informieren, sobald es diesbezüglich Neuigkeiten gibt.“

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