Abschied ohne GrollJörg Weigt verlässt das Overather Rathaus

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Den Mietvertrag hat er unterschrieben: Jörg Weigt vor dem neuen Verwaltungsgebäude.

Den Mietvertrag hat er unterschrieben: Jörg Weigt vor dem neuen Verwaltungsgebäude.

  • Sechs Jahre war Jörg Weigt Bürgermeister von Overath.
  • Er war der erste Sozialdemokrat an der Stadtspitze seit 1946.
  • Ein Rückblick auf seine Amtszeit.

Overath – In seinem Dienstzimmer zeigt sich Jörg Weigt entspannt. Das Diensthandy hat er schon abgegeben, den Dienstwagen will er am Nachmittag noch einmal reinigen. Der nächste Tag wird sein letzter Bürotag sein. Seine Frau Andrea holt ihn dann von der Arbeit ab, sie wollen zusammen essen gehen. „Ich bin mit mir völlig selbst im Reinen“, sagt der 61-jährige scheidende Verwaltungschef.

Bei der Wahl 2014 hatte Sozialdemokrat Weigt überraschend seinen CDU-Vorgänger Andreas Heider besiegt. Jetzt muss er selbst gehen und einem parteilosen Nachfolger Platz machen. Weigt sitzt an seiner kleinen Sesselgarnitur im Bürgermeisterzimmer da, wo er in den letzten sechs Jahren immer gesessen hat, wenn er Besuch empfangen hat: die Tür zum Vorzimmer und den Besuch im Blick. Es ist fast wie immer. Aber in seinem Gesicht ist Wehmut zu erkennen, und Weigt spricht auch selbst davon.

Der erste Sozialdemokrat seit 1946

Jörg Weigt war der erste SPD-Bürgermeister in Overath seit 1946. Sein politischer Ahne Heinrich Decker, der 1945 den Nazi Hermann Hover abgelöst hatte, war anders als Weigt nicht frei gewählt, sondern von den Briten eingesetzt worden.

Jörg Weigt wurde mit zwei Dritteln gewählt. Er hatte aber keine Mehrheit im Rat, wo weiterhin CDU und FDP dominierten. Er versuchte dennoch manches Mal, Akzente zu setzen und wurde dafür gelegentlich abgewatscht. Nicht nur von CDU und FDP. Und auch nicht nur von den Grünen, die ihn 2014 unterstützt hatten, bevor die gegenseitige Entfremdung begann. Sondern auch schon mal von der eigenen Partei. Der vom Rat einstimmig abgelehnte Mountainbiker-Park am Lüderich war wohl seine schmerzlichste Niederlage.

Richtiger Mann zur richtigen Zeit

Beginnen hatte die Ära Weigt ganz anders. Als die Overather Sozis 67 Jahre nach Heinrich Decker Jörg Weigt am Vorabend von Nikolaus 2013 einstimmig auf ihren Schild hoben, war die Überraschung groß. Der damals nach dem frühen Krankheitstod seiner ersten Ehefrau alleinerziehende Vater dreier halbwüchsiger Söhne war der richtige Mann zur rechten Zeit: frisch, unverbraucht, sympathisch rüberkommend – so nett, dass er sich zu Beginn seiner Rathaus-Jahre irgendwann das Etikett „netter Nachbar“ verbat. Am Ende seiner Amtszeit kämpfte er gegen das von den Jamaika-Wahlkämpfern aus CDU, Grünen und FDP beförderte Bild eines konzeptions- und ideenlosen Verwalters, der nichts im Griff habe und die Stadtentwicklung nicht voranbringe.

Tatsächlich wird weder das eine noch das andere Klischee Weigt gerecht. 2014 war das Gemeinwesen finanziell ganz weit unten. Die Stadt hatte lange von ihrer Substanz gelebt, es musste dringend etwas passieren. Was dann passierte, brachte der einstigen „Perle an der Agger“ das Alleinstellungsmerkmal von rekordverdächtigen 850 Punkten bei der Grundsteuer B ein. Weigt und seine später im Unfrieden nach Lindlar gewechselte Kämmerin Cordula Ahlers hatten Ende 2014 sogar 1029 Punkte vorgeschlagen.

Alle Ratsfraktionen bekannten sich zur Verantwortung

Es waren nicht Weigt und Ahlers alleine, die die Finanzen in Ordnung brachten. Alle Ratsfraktionen bekannten sich zu ihrer Verantwortung, und alle gemeinsam gingen sie bei einer Versammlung mit 400 zum Teil sehr aufgebrachten Bürgern in die Bütt. Und bezogen in Sparkommissionen den Sachverstand parteipolitisch nicht gebundener Bürger ein. Aber die Finanzen waren nicht die einzige Herausforderung zu Beginn der Bürgermeisterschaft Weigts.

In der Flüchtlingskrise ab 2015 agierte Overath Hand in Hand – Stadtverwaltung, Politik und Bürgerschaft gemeinsam. Die Stadt vermied Container, baute eine neue Gemeinschaftsunterkunft. Das Handeln in der Flüchtlingskrise war eine Sternstunde in der Ära Weigt und ein Vorbild für die aktuelle Corona-Krise.

Andere DInge liefen nicht rund

Andere Dinge liefen dagegen gar nicht rund. Da gab es die Sache mit der rechtswidrigen Sonntagserlaubnis für eine Waschstraße. Weigt sieht bis heute kein Herumeiern seiner Verwaltung, sondern das Bemühen um sorgfältige Arbeit: „Es ging um Existenzen.“ Und er beklagt eine „schlechte Fehlerkultur. Derjenige, der einen Fehler macht, wird zerrissen.“

Peinlich für die Stadt waren auch die jahrelang viel zu geringen Vergnügungssteuereinnahmen. Oder der Regentanz um die Aufwandsentschädigungen für Ausschussvorsitzende, an deren Ende die Stadt dem einzigen darauf bestehenden Politiker über 5000 Euro nachzahlen musste.

Kein gutes Licht auf Stadt

Kein gutes Licht auf die Stadt, in diesem Fall auf den Rat, warf die später korrigierte Absage an den Agger-Sülz-Radweg, ein großes Gemeinschaftsprojekt von gleich drei Landkreisen. Hinzu kamen marode Straßen, ein diskret gesperrtes Bürgerhaus, der schlechte Bauzustand der Schulen, Possen wie der rutschige Ameisenschutzweg auf Gut Eichthal und der fragwürdige Kuhhandel in Sachen Baugebiet Rappenhohn: Grundstück gegen Baurecht. Oder die Querelen um die Rohrkrepierer-Strafanzeige gegen einen CDU-Ratsherrn. Als Bürgermeister habe er sich in einer schwierigen Situation befunden, sagt Weigt heute, und: „Mit Rainer Habers bin ich wieder im Reinen.“ Und nicht nur das: Bei Habers’ Geschäftspartner Wolfgang Michels hat Weigt den Mietvertrag für das neue Verwaltungsgebäude am Rathaus in dieser Woche unterschrieben.

Viele E-Autos angeschafft

Overath nach sechs Jahren Weigt: Die schadstoffgeplagte Stadt hat Nägel mit Köpfen gemacht und viele E-Autos angeschafft. Und sie hat wieder fleißig gebaut: unter anderem drei Kitas, alle „solide finanziert“ und im Finanzrahmen bleibend. Weigt: „Sicherlich ein Alleinstellungsmerkmal in unserer kostenexplodierenden Welt!“ Die neue Feuerwache neben dem Rathaus wird Weigt nicht mehr selbst einweihen können, das übernimmt sein Nachfolger Christoph Nicodemus. „Man muss auch gönnen können“, sagt Weigt augenzwinkernd.

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Am Freitag ist Weigt gegangen. Ohne Groll, wie er sagt. Was er künftig macht, weiß er noch nicht. Aber er weiß, was er nicht mehr machen wird: „Politik.“

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