Schule in Corona-Zeiten„Wegen drei Wochen ohne Unterricht fällt kein Kind durch“

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Freiherr-vom-Stein

Am Rösrather Freiherr-vom-Stein-Gymnasium kümmert sich ein eigenes Lehrer-Team um die digitale Technik: Timo Friedrich (oben), Tobias Handke (u.l.) und Gerrit Rahier (u.r.).

  • Schule in Corona-Zeiten: Die Schüler sollen zuhause lernen.
  • Wie das genau geht, regelt jede Schule selbst – dabei gibt es große Unterschiede vor allem bei der Ausstattung.

Rhein-Berg – Die Schüler des Leistungskurses von Timo Friedrich haben Physik, und der Lehrer ist da. Er sitzt in seinem Arbeitszimmer zuhause und unterrichtet. „Noch irgendwelche Fragen?“, will Friedrich wissen. Normalerweise würde er jetzt ins Klassenzimmer des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums (FvS) in Rösrath blicken – doch da sitzt derzeit keiner. Statt auf seine 13 leibhaftigen Schüler zu blicken, sieht er kleine Gesichter auf seinem Bildschirm.

Eltern sind dankbar für Struktur im Alltag

Das FvS ist gut vorbereitet gewesen. Bereits seit anderthalb Jahren arbeitet das Gymnasium mit dem Programm „Teams“ von Microsoft. Das Gymnasium hat es mit Geld aus dem schuleigenen Etat für Lehrmittel angeschafft – mit dem Ziel, die Schüler für die Digitalisierung fit zu machen. Jeder der 976 Schüler verfügt über einen kostenlosen Zugang. „Dass wir wegen einer Pandemie die Plattform so kurzfristig einsetzen würden, um alle Schüler zu unterrichten, konnte niemand vorhersehen“, sagt Friedrich, der sich mit den Kollegen Gerrit Rahier und Tobias Handke um die IT-Medienkoordination an der Schule kümmert.

Entwicklungsplan

Die Stadt Bergisch Gladbach hat zwei IT-Fachleute angestellt, die sich speziell um die Umsetzung des Medienentwicklungsplans 2019 kümmern. Es gelte, so Stadtsprecher Martin Rölen, insgesamt 32 Schulen im Stadtgebiet mit zeitgemäßen IT-Standards für Pädagogik und interne Vernetzung auszustatten. Zurzeit werde das Otto-Hahn-Schulzentrum im Rahmen der Generalsanierung mit dem modernsten Standard ausgerüstet. Generell soll als erster Schritt an den Schulen im Stadtgebiet die Internet-Geschwindigkeit aufgestockt werden. (ub)

Seit mehr als zwei Wochen treffen sich die Klassen jetzt in Video-Chats, arbeiten teils in Klassenstärke an Dokumenten. Es gibt vereinbarte Sprechzeiten mit den Lehrern. „Der Schulstoff ist das eine. Wichtig ist aber vor allem, den Kontakt zu halten und als Ansprechpartner da zu sein“, sagt Schulleiter Michael Gasse.

Anfangs seien einige Lehrer, was das Pensum betreffe, über das Ziel hinaus geschossen, berichtet Susanna Geiss, Vorsitzende der Schulpflegschaft am FvS: „Aber inzwischen gibt es viele positive Rückmeldungen der Eltern.“ Die Eltern seien dankbar, dass die Schule für ein Mindestmaß an Struktur und Orientierung sorge.

Fehlende Voraussetzungen für digitale Technik im Unterricht

Auch andere Schulen experimentieren - was bleibt ihnen auch anderes übrig. „Die Schulen sind längst bereit, digitale Technik in den Unterricht einzubeziehen“, sagt Rolf Faymonville, Schulleiter des Albertus-Magnus-Gymnasiums (AMG) in Bensberg. Aber dafür fehlen in Bergisch Gladbach schlicht die Voraussetzungen: leistungsstarke Internet-Zugänge, wie von den meisten Schulen beklagt. So setzt das AMG vor allem auf seine Homepage. Wochenpläne und Lernmaterial stehen hier klassenweise zur Verfügung.

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Sollten daheim Druckerkapazitäten oder Internetvolumen nicht ausreichen, setzen sich Lehrer ins Auto und bringen die Materialien zu den Schülern. Ein Beratungsteam ist telefonisch erreichbar. Viele Eltern fürchten, dass ihr Kind nicht mitkommt, sagt Faymonville. Eine unberechtigte Angst, wie er findet: „Wegen drei Wochen ohne Unterricht fällt kein Kind durch.“

„Wir haben auch zusätzliche Hilfe angeboten, falls zum Beispiel ein PC benötigt wird“, sagt Angelika Wollny, Schulleiterin der Integrierten Gesamtschule in Paffrath, „auch das gute alte Telefon wird wieder genutzt.“ Das gelte auch für die Schulsozialarbeit: „Unsere Sozialarbeiter und Sonderpädagogen sind für Kinder und Eltern rund um die Uhr erreichbar.“

Mehr Probleme als nur das Lernen

Die veränderten Situationen in den Familien brächten ja deutlich mehr Probleme mit sich als Lernen. Gemeint sind Existenzsorgen von Eltern, weil sie nicht wissen, ob sie ihren Job behalten können. Viele Schüler leben in beengten Wohnverhältnissen, sie sprechen besser Deutsch als ihre Eltern und haben deshalb niemanden, der sie antreibt.

Wenn Nushin Isabell Lindlar, Deutschlehrerin am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium (DBG) in Heidkamp, ihre Arbeitsaufträge um 9.30 Uhr an ihre 5. Klasse verteilt hat, lässt sie den Video-Chat gerne noch ein bisschen laufen: „Um zu erfahren, wie es klappt und was die Kinder in den nächsten Stunden so vorhaben.“

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Ihre Schüler von der 5d des Gladbacher Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums hat Lehrerin Nushin Isabell Lindlar täglich auf dem Schirm.

Frühlings-Gedichte sind gerade das Thema. Um die Kinder zu motivieren, hat sie ihr Arbeitszimmer der Jahreszeit entsprechend mit Blumen dekoriert. Ein Vater aus ihrer Klasse kannte das Video-Konferenz-System „Zoom“, dessen Software kostenlos ist, aus seinem Beruf.

Zusätzlich setzt das DBG auf eine neue Cloud, die ebenfalls mithilfe eines Vaters in der Rekordzeit von zwei Tagen noch schnell vor der Schulschließung installiert wurde. „Jeder Schüler, kann sich einfach mit seinem Benutzernamen einloggen“, erklärt Schulleiter Frank Bäcker. Der plötzliche Schritt ins Digitale sei auch für viele Lehrer nicht einfach. Womöglich könne die Corona-Krise hier etwas anstoßen. Die digitale Ausrüstung der Schulen sei bei weitem nicht so, wie sie sein sollte. Lehrer und Schüler müssten im Umgang mit dieser Technik geschult werden: „Wenn die Krise überwunden ist, müssen wir da dranbleiben.“

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