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Kita-KriseVerzweifelte Eltern in Bergisch Gladbach fordern Lösungen

8 min
Ein Mann mit einem Kind auf dem Arm und einem an der Hand wirft einen Schatten auf eine mit bunten Handabdrücken bemalte Wand einer Kindertagesstätte.

Hohe Ausfallzeiten, Notbetreuung im Dauerzustand in den Kitas in Bergisch Gladbach bringen Eltern in Not.  

Neues Kindergartenjahr, alte Misere. Die Eltern schlagen Alarm. Betreuungszeiten müssen gekürzt werden und bringen berufstätige Mütter in Not.  

Nicht genug Plätze, nicht genug Personal. Damit kämpfen die Kitas in Bergisch Gladbach schon seit Jahren. Betreuungszeiten müssen gekürzt werden. In der Stadt wird dies gerade wieder richtig akut. Die Elternbeiräte vieler Einrichtungen schlagen Alarm. Berufstätige Mütter haben genug davon, sind gestresst, verärgert und überlastet. Sie üben scharfe Kritik und fordern Lösungen von Stadt, Land NRW und Politik.

Das Kind steht an der Hand der Mutter vor der Tür der Kindertagesstätte: „Sie müssen ihr Kind wieder mit nach Hause nehmen, wir haben nicht genug Personal.“ Eine Notsituation einerseits. Andererseits: Ein ganz normaler Tag in Bergisch Gladbach. Immer wieder müssen Eltern das erleben.

„Ich gucke jeden Morgen auf mein Telefon und hoffe, es kommt keine Nachricht“, sagt Dorothea Geisman, Elternratsvorsitzende einer Caritas-Kita. Die Notschließungen kämen oft sehr kurzfristig: „Man muss immer damit rechnen.“ In ihrer Einrichtung passiere das einmal, manchmal sogar zweimal in der Woche.

Da reicht eine Krankmeldung, dass eine Gruppe geschlossen wird
Elternbeirätin

Der Mangel an Erziehern ist derzeit der entscheidende Flaschenhals bei der Kinderbetreuung in Bergisch Gladbach. Durch die Unterfinanzierung der Einrichtungen sei das Personal knapp besetzt: „Da reicht eine Krankmeldung, dass eine Gruppe geschlossen werden muss. Das ist ein Spagat, den man nicht schaffen kann. Als berufstätige Mütter sind wir ständig hin- und hergerissen zwischen unseren Kindern und den Arbeitgebern“, sagt Geismann.

„Das neue Kita-Jahr beginnt, wie das alte geendet hat“, lautet die frustrierende Bilanz von Judith Häuser, Vorsitzende des Jugendamtselternbeirats, Sprachrohr der Kita-Eltern. Hohe Ausfallzeiten, Notbetreuung im Dauerzustand und fehlende Rückmeldungen der Aufsichtsbehörden belasteten Kinder, Eltern und Fachkräfte zunehmend.

Das Problem ist nicht neu. Die nicht auskömmliche Finanzierung und der eklatante Fachkräftemangel stellen die Einrichtungen in der Stadt trägerübergreifend vor massive Probleme. In vielen Kitas ist die Mangelverwaltung an der Tagesordnung, das wenige Personal arbeitet an der Belastungsgrenze.

Bei einer Krisensitzung vor den Sommerferien im Rathaus mit 14 Elternbeiräten, hätten Eltern des Trägers Awo von durchschnittlich 20 Ausfalltagen pro Kind im vergangenen Kita-Jahr berichtet, sagt Häuser. In einer Kita des Trägers Caritas sei seit Monaten eine Gruppe geschlossen. „Was haben wir alles gemacht: Brandbriefe geschrieben, Anträge im Jugendhilfeausschuss gestellt, mit allen Parteien gesprochen: Nichts ist passiert“, kritisiert Häuser.

Eltern kündigen an, den Druck auf Stadt und Politik zu erhöhen

„Alle Eltern sind frustriert, dass wir nicht gehört werden“, sagt eine Elternvertreterin einer kirchlichen Einrichtung, sie möchte anonym bleiben. Sie habe die Wahlplakate vor Augen, mit Versprechungen der Parteien und dann ändere sich doch nichts.

Die Sitzung im Rathaus habe sie schockiert. Eltern hätten berichtet, dass immer mehr Arbeitgeber den Wunsch nach Aufstockung der Stundenzahl inzwischen ablehnen würden, mit der Begründung, es gebe ja ständig Notschließungen. „Dabei müssen wir Frauen an unsere Rente denken. Wir haben tolle Studiengänge und Ausbildungen absolviert und jetzt sollen wir zu Hause sitzen?“

„Wir gelten als unzuverlässig aufgrund dieser Situation“, meint auch Geismann. „In unserer Kita gibt es eine Mutter, die sogar ganz aufhören möchte zu arbeiten.“ Sie selbst könne als Ergotherapeutin auch kein Homeoffice machen und der Vater könne nur manchmal einspringen. „Es ist reines Glück, dass ich einen sehr verständnisvollen Chef habe.“

Der Jugendamtselternbeirat kündigt an, den Druck in der neuen Wahlperiode zu erhöhen: „Notfallpläne müssen überprüft und angepasst werden. Um Fachkräfte zu gewinnen, soll die Stadt Zuschüsse zahlen, ein kommunaler Springerpool soll aufgebaut werden, Arbeitgeber sollen ihr Engagement steigern“, zählt Häuser einige der Forderungen auf.

Springerpool ist aus Sicht der Caritas unrealistisch

„Ja, es gibt Ausfalltage“, sagt Raphaela Hänsch, Sprecherin des Vorstands des Caritas-Verbands Rhein-Berg, „wir haben Verständnis für die Not, Verzweiflung und Verärgerung der Eltern.“ Aktuell müssten etwa in der Caritas-Einrichtung in Bensberg Stunden reduziert werden, weil eine Erzieherin krank sei. „Wir suchen neues Personal, aber der Markt ist leer. Inzwischen sind wir an dem Punkt angekommen, wo Erzieherinnen zwischen den Trägern hin und her wechseln.“ Für den Grundbedarf sei nicht genug Fachpersonal da. „Die Eltern haben etwas anderes versprochen bekommen“, stellt Hänsch fest.

Aus Sicht der Caritas stufe sie die Idee eines Springerpools leider als   unrealistisch ein. „Man müsste den Erzieherinnen so hohe Summen zahlen, die im Kinderbildungsgesetz nicht abgedeckt sind“. Ansonsten könnten diese Menschen ja an jeder Ecke eine Stelle haben. „Warum sollten sie quer durch die Einrichtungen springen?“, fragt Hänsch.

Die Caritas Rhein-Berg halte sich aktuell zurück, neue Trägerschaften zu übernehmen. „Wir wüssten heute nicht, wie wir die Gruppen in Gang setzten sollten.“ Sie warnt: „Wenn die Träger jetzt noch anfangen, sich gegenseitig die Leute mit Prämien abzujagen, destabilisieren wir uns gegenseitig“. Bonuszahlungen seien keine Lösung.

Die Unruhe wirkt sich auch auf die Kinder aus

„Einen Ausfall von 20 Notbetreuungstagen im Jahr können wir nicht bestätigen“, sagt Sabine Eisenhauer, Pressesprecherin der Awo Rhein-Oberberg. Dass eine der fünf Gruppen der neuen Kita Reiser im Mondsröttchen in Bensberg seit Monaten trotz des Defizits an Kita-Plätzen in der Stadt nicht in Betrieb gegangen ist, liegt laut Awo nicht am Erziehermangel. „Aus pädagogischen Gründen werden die Kinder nach und nach aufgegangen“, so Eisenhauer, „die Einrichtung wird in diesem Kita-Jahr in den Regelbetrieb gehen.“

Die Umstrukturierungen und Vernetzungen der Recruiterin Sevede Toy hätten in den vergangenen drei Jahren bewirkt, dass der Mangel an Fachkräften bei der Awo weniger ins Gewicht falle. Im März 2022 habe es 130 offene Stellen gegeben, momentan seien es 25.

Die Kita-Mütter verwundert es nicht, dass in den Statistiken der Träger nur wenige Ausfalltage verzeichnet seien. „Oft werden die Absagen so kurzfristig ausgesprochen, dass sie gar nicht in der offiziellen Dokumentation landen“, meint Häuser.

„Man kann das alles nachvollziehen: Aber es ist trotzdem unfair den Kindern gegenüber, die einen Anspruch haben auf Förderung und soziale Integration“, betont Geismann. Für sie ginge die Routine flöten. Denn das Rotationsprinzip, das in den meisten Kitas in der Notbetreuung gilt, um die Einschränkungen auf alle Eltern gleich zu verteilen, bewirke, dass andere Erzieher in die Gruppe kommen. „Dadurch ist immer Unruhe in der Gruppe.“

Für sie als Mutter bedeute dies, dass sie morgens beim Verabschieden ihrer vier Jahre alten Tochter mehr Zeit einplanen müsse. Den Erziehern werde ihre Arbeit schwer gemacht: „Sie müssen Löcher stopfen und können nicht nach ihrem Konzept und ihrer Leidenschaft arbeiten.“


FWG unterstützt Elternbeiräte

Die Freie Wählergemeinschaft (FWG) unterstützt in einer Pressemitteilung ausdrücklich die Forderungen des Jugendamtselternbeirats , der sich seit Monaten für bessere Rahmenbedingungen in den Kitas der Stadt einsetzt. Um das System zu entlasten, fordert die FWG nun die Erweiterung eines kommunalen Springerpools, über den bereits manche Kitas verfügen. Damit einhergehen müssten aber wohnortnahe Einsatzorte für lediglich maximal zwei Tagesstätten, so Christian Maimer, der die FWG im Schulausschuss vertritt.

„Eltern haben bekanntlich einen Anspruch auf funktionierende Betreuung – unabhängig davon, ob die Kita von der Stadt oder einem freien Träger geführt wird“, betont Maimer. Gerade in Kommunen wie Bergisch Gladbach, in denen sämtliche Einrichtungen in freier Trägerschaft seien, müsse die Stadt handeln. Immer wieder würden Eltern kurzfristig vor nahezu unlösbare Probleme gestellt. Wenn die Gesetzgebung auch grundsätzlich ein Thema des Landes ist, könne die Stadt und ihr Jugendamt trotzdem zu einer Verbesserung der Situation beitragen.

Um die Personalsituation zu verbessern, sollte der Einstieg von Ergänzungskräften vorangetrieben werden. Dabei gehe es um mehr als Hilfen in der Küche.

Kurz vor Beginn der Ferien hat das Land NRW aufgrund der knappen Haushaltslage allerdings die Landesfördermittel für Alltagshelfer von bisher 18.000 Euro auf 16.200 Euro pro Kit-Jahr gekürzt. Viele Träger hatten sich auf die unveränderte Fortführung verlassen und bereits Verträge vereinbart. (ub)


Drei neue Kitas gehen an den Start

In Bergisch Gladbach gibt es keine kommunalgeführten Kindergärten. Alle 69 Einrichtungen werden kirchlich, von freien Trägern oder Initiativen geführt. Trotzdem ist die Stadt gefordert: Denn sie ist seit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz verpflichtet, ausreichend Plätze zur Verfügung zu stellen.

Die Stadtverwaltung erklärt auf Anfrage dieser Zeitung, dass die Vorschläge des Jugendamtselternbeirats bekannt seien. Es sei beabsichtigt, diese als Thema in die nächste Sitzung des Jugendhilfeausschusses aufzugreifen. Ob die Stadt bereit ist , Zuschüsse zu zahlen, um Fachkräfte zu binden, so wie es die Stadt Köln handhabt, dazu äußert sich das Pressebüro nicht. Auch nicht dazu, ob das Jugendamt den Aufbau eines kommunalen, trägerübergreifenden Springerpools organisieren könnte.

Die Stadt baut gerade drei neue Kitas, um das prognostizierte Defizit im Kindergartenjahr 2025/26 von 360 Plätzen abzumildern. Trotz des leer gefegten Marktes für Fachkräfte haben sich für alle drei Einrichtungen Träger der freien Jugendhilfe gefunden. Die beiden Kitas in Sand und Hebborn an der Schulstraße im Stadtteil Sand und an der Jakobstraße in der Innenstadt übernimmt die Fröbel Bildung und Erziehung GmbH.

Die Trägerschaft der dritten Kindertagesstätte, ebenfalls in modularer Schnellbauweise, am Nittumer Weg in Hebborn übernimmt die Pari Sozial. Das Ausschreibungsverfahren habe beinhaltet das jeweilige Personalkonzept darzustellen. (ub)