Geflüchtete zu Gast„Als unsere Ukrainer shoppen gingen, da mussten wir schlucken“

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FamilieKellermannRefrath

Volles Haus: Bis vor Kurzem sind acht Ukrainer, darunter fünf Jugendliche hier in Refrath eingezogen.

Bergisch Gladbach – Irmgard und Walter Kellermann nehmen als eine der ersten Gastfamilien in der Stadt Geflüchtete aus der Ukraine auf. Sie heißen Oxana, Katrin, Samuel, Marga, Julia, Oxana, Sophia und Alexander. Alle acht aus Charkiw und Kiew ziehen in ihr Haus ein – gelegen am Rand von Refrath. Drei alleinerziehende Mütter mit ihren vier Kindern im Alter zwischen 14 und 17 Jahren, drei Mädchen und ein Junge, und dazu ein 17-Jähriger, der ganz alleine vor dem Krieg im Heimatland geflohen ist.

Bereits am Anfang des Krieges bei den ersten schrecklichen Bildern überlegt Irmgard Kellermann nicht lange. „Ich konnte nicht auf dem Sofa sitzen bleiben und nichts tun“, erzählt die 69-Jährige. Kurz entschlossen ruft sie morgens am 7. März Bibi Opiela an, die sich seit Jahren in der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit engagiert. Schon am Abend kommen zwei Frauen mit ihren drei Kindern, erschöpft von der viertägigen Reise aus Charkiw. Nur einen Tag später wird eine weitere Mutter mit Tochter angekündigt.

Irmgard Kellermann sagt zu 

Irmgard Kellermann kann nicht Nein sagen. Außerdem liebt sie Trubel und Häuser, in denen was los ist. Ihre eigene Großfamilie besteht aus vier Kindern und neun Enkelkindern. Mann Walter findet die Entscheidung richtig: „Wir haben viel Platz im Haus nach dem Auszug unserer Kinder“, sagt der 71 Jahre alte Unternehmer im Treppenbau.

Zwei Tage später zieht noch ein unbegleiteter Jugendlicher (17) ein: „Blauäugig haben wir zugesagt.“ Die hilfsbereiten Gastgeber ahnen nicht, dass dafür eine Pflegeerlaubnis vom Jugendamt erforderlich ist: „Berge von Formalitäten mussten erledigt werden, aber auch für die anderen.“ Angefangen von der Registrierung über Untersuchungen der Jugendlichen beim Amtsarzt im Gesundheitsamt vor der Anmeldung der Kinder am Albertus-Magnus-Gymnasium, was dank des Engagements des Integrationsrates des Kreises gelungen sei.

WalterKellermann

Walter und Irmgard Kellermann haben mehrere Geflüchtete aufgenommen.

In der mit fremden Menschen zusammengewürfelten Wohngemeinschaft läuft anfangs alles gut: „Ein bisschen wie Bullerbü, auch wenn es sich kitschig anhört“, sagt Irmgard Kellermann. Allerdings ist die Verständigung nur über Google-Translater sehr schwierig. „Die Erwachsenen sprechen gar kein Englisch, die Mädchen immerhin ein bisschen“, berichtet die Gastgeberin. Dafür tauen die Mädchen auf und freunden sich an. Die Jungs, beide anfangs still, haben ein gemeinsames Hobby, den Fußball. Die Mütter halten das Haus sauber und besuchen den Deutschkurs der Initiative Herwi. Zu einer Gartenparty kommen benachbarte Gastfamilien mit ihren ukrainischen Schützlingen.

Doch inzwischen, nach sieben Wochen, gerät der Alltag zu einer riesen Herausforderung, trotz besten Willens. Die Gastgeber begleichen Energiekosten und Lebensmittel aus eigener Tasche. Erst seit kurzem zahlt die Stadt Bergisch Gladbach auf Nachfrage der Politik Gastfamilien eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 80 Euro pro Flüchtling. Die Spülmaschine läuft mindestens vier Mal am Tag, die Waschmaschine manchmal auch. Beim Müll hilft zum Glück der Nachbar mit seiner Tonne aus. Irmgard Kellermann richtet jeden Morgen ein Frühstück aus und kocht ein Abendessen.

Die Freude an der Hilfe weicht angesichts der Probleme im Alltag

Dann wird nach vier Wochen die erste Sozialhilfe ausgezahlt, ohne Aufschlüsselung sind auch Anteile etwa für den Energieverbrauch enthalten. „Als unsere Ukrainer erstmal shoppen gingen, da mussten wir schlucken.“ Als dann der unbegleitete Jugendliche beim Jugendamt auch noch Essensgeld verlangt habe, entscheidet Irmgard Kellermann, nicht mehr für alle zu kochen. Die Freude an der Hilfe weicht angesichts der Probleme im Zusammenleben.

Das gemeinsame Abendessen am Putin-Tisch – so genannt, weil er so lang ist, nur dass Leute dazwischen sitzen – findet nicht mehr statt. Alle gehen ihre eigenen Wege. Die Familien kochen für sich selbst. „Die Küche ist rund um die Uhr besetzt. Unsere Ukrainer essen drei Mal am Tag warm, zuletzt spät in der Nacht, und haben andere kulinarische Vorlieben als wir“, sagt Irmgard Kellermann und zählt auf: „Fritten in der Bratpfanne, Fertigsnacks, Fertigpizza, Nudeln mit Ketchup.“ Sogar tagsüber, auch bei schönem Wetter, laufe nonstop Russisch-Netflix im Wohnzimmer. Einer der Jungen schwänze die Schule. Die drei Mütter rauchten im Garten eine Zigarette nach der anderen.

Eine Familie zieht wieder zurück in eine städtische Unterkunft

Der andere Kulturkreis zeigt sich auch beim Umgang mit der Energie: „Heizung aufdrehen, Fenster weit auf“, berichtet Walter Kellermann. Offenbar würden Energiekosten in der Ukraine nicht pro Haushalt abgerechnet. Mehrere Krisensitzungen mit Übersetzern hätten nichts an diesem Verhalten geändert.

Zum Eklat kommt es, als die beiden Jungen mit zwei Rädern der Familie eine nächtliche Ausfahrt unternehmen. „Obwohl wir mehrfachen verboten haben, unsere privaten Räder zu benutzen“, ärgert sich Irmgard Kellermann. Ein Rennrad wurde dabei platt auf den Felgen nach Hause gefahren. Dabei stehen Räder bereit, die die Tochter bei befreundeten Familien organisiert hat, damit die Jugendlichen mobil sein können. „Das alles hat dazu geführt, dass wir uns von einer Familie trennen mussten“, bedauert Walter Kellermann.

„Es ist normal, dass Reibungspunkte entstehen, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammenleben“, sagt Bibi Opiela. Sie koordiniert das Refrather Netzwerk der ehrenamtlichen Unterstützer in Refrath. 42 Gastfamilien sind es allein in diesem Stadtteil. „Meine Erfahrung ist, dass Geflüchtete es mit privater Unterstützung leichter haben, anzukommen.“ Trotzdem könne das Zusammenleben zur Belastung werden. Wichtig sei, dass man sich eine Privatsphäre bewahre.

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Am Dienstag ist eine der Mütter mit Tochter und Sohn in die Container nach Lückerath umgezogen. Mit der Entscheidung habe sie sich sehr schwer getan, sagt Irmgard Kellermann. Aber seitdem sie „die rote Linie“ gezogen habe, klappe das Zusammenleben besser. „Wir waren zu leichtsinnig“, sagt die 69-Jährige. Die anderen fünf Ukrainer seien in ihrem Haus weiter willkommen, bis sich etwas Neues für sie ergebe.

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