Für seine Sammelleidenschaft reist er seit Jahren um die Welt und nutzt viele Netzwerke. Nun bringt er ein Buch über „Lost Grounds“ heraus.
Lost GroundsMichael Höller aus Bergisch Gladbach sucht Fußballstadien, die verlassen sind

Das Silmash Stadium in Lwiw in der Ukraine sieht ebenso trist aus, wie die meisten der Lost Grounds, die Michael Höller besichtigt.
Copyright: Michael Höller
Dass Michael Höller ein bisschen fußballverrückt ist, ist sicher nicht übertrieben zu behaupten. Denn der Bergisch Gladbacher hat ein ganz besonderes Hobby. Er sammelt, das heißt er besichtigt, sogenannte „Lost Grounds“.
Lost Grounds sind laut Höller Fußballstadien, die nicht mehr genutzt, abgerissen oder nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form genutzt werden. Kurz gesagt: Es sind ehemalige Fußballstadien. 700 davon hat Höller nach eigenen Angaben aufgesucht und ein Buch über diese Orte geschrieben.
642 Besuche in Stadien, in denen noch gespielt wird
Zunächst ein paar Eckdaten zu Höller: Er ist 55 Jahre alt, verheiratet, hat vier Kinder, wohnt in Bergisch Gladbach und arbeitet bei Saint Gobain Isover. Seit 37 Jahren ist er treuer FC Bayern Fan und Clubmitglied. Selbst gespielt habe er nie, sagt er.
Vor 35 Jahren fing er dann mit dem, wie man im Fachjargon sagt, Groundhopping an. Beim Groundhopping nehme sich ein Fan laut Höller zum Ziel, zum Beispiel in jedem UEFA-Land ein Spiel live zu sehen. 2019 habe er dieses Ziel erreicht und sei mittlerweile bei 642 Besuchen in betriebenen Stadien.
Viele verlassene Stadien spürt er durch sein Netzwerk auf
Vor etwa 13 Jahren seien dann die Lost Grounds hinzugekommen: „Ich bin auch geschichtlich interessiert und immer mehr auf die Lost Grounds aufmerksam geworden, weil es einige der Stadien, die ich aus meiner Jugend kannte, nicht mehr gab.“ So habe er beschlossen, bei seinen Reisen auch ehemalige Stadien zu besichtigen.
Einige Lost Grounds habe er durch einfaches Googeln gefunden. Auf andere sei er nur gestoßen, weil er sich auf Facebook mit Fangruppen vernetzt. Seine Reisen zu betriebenen und verlassenen Stadien hält Höller auf einer eigenen Website, genannt „Michas Groundhopping“, fest.
Auf einen „Lost Ground“ zu kommen, sei wie ein Rausch
Was aber ist der Reiz dahinter, verlassene Fußballstadien zu besichtigen? „Die Begehung gibt mir vor allem einen Adrenalinkick. Wenn ich von einem interessanten Lost Ground erfahre, beginnt mein Interesse. Und bis ich vor Ort bin, baut sich eine gewisse Spannung auf“, beschreibt er. Er wisse vorher nie, ob es überhaupt noch etwas zu sehen gibt und wie er auf das Gelände kommt. Wenn er dann drinnen sei und Fotos machen könne, sei es wie ein Rausch.

Verlassene Sportplätze, wie hier in Bergisch Gladbach-Kradepohl, haben es Michael Höller angetan.
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Ganz ungefährlich sind die Begehungen nicht. Vor allem mit frei laufenden Hunden habe er schon öfter Bekanntschaft gemacht. Passiert ist ihm bisher zum Glück noch nichts. Auf den Reisen sei er meist allein. Oft nutze er dafür die Zeit, in der seine Frau mit den Kindern verreise. Sie komme ursprünglich aus Belarus und besuche mehrmals pro Jahr Familie und Bekannte. „Ich gehe aber auch hin und wieder für ein verlängertes Wochenende weg.“
In der Ukraine hat man ihm eine Bomben-Warnapp empfohlen
Zum Beispiel nach Lwiw in der Ukraine. Dorthin habe es ihn verschlagen, als der Krieg bereits begonnen hatte. „Nachts gab es eine Ausgangssperre und in der ganzen Stadt waren Poster von Gefallenen aufgehängt. Die historischen Gebäude wurden zum Schutz verrammelt und man hat große Stromgeneratoren für den Notfall gesehen“, berichtet Höller. „Ansonsten hatten die Cafés geöffnet und die Leute sind ihrem Alltag nachgegangen. Es sah trügerisch entspannt aus“, erinnert er sich.
Für solche Ziele kommen ihm seine Netzwerke gelegen. Per Facebook habe er sich mit Ukrainern ausgetauscht, die ihm hilfreiche Tipps zur Vorbereitung geben konnten. Zum Beispiel das Installieren einer Bomben-Warnapp auf dem Handy oder die Empfehlung für ein Hotel mit Luftschutzkeller. Auch im Irak sei er schon gewesen, aus Sicherheitsgründen allerdings mit einem Fremdenführer.
Höller nimmt kilometerlange Fußmärsche in Kauf
Doch nicht nur die Orte können Schwierigkeiten bereiten, auch die Transportmittel. Da er kein Auto und keinen Führerschein besitzt, ist der 55-Jährige mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs. „Manchmal lege ich kilometerweite Fußmärsche zurück. Dass ich mir den Weg erkämpfe, macht es für mich aus. Es fühlt sich dann verdient an“, meint er. Außerdem könne er sich so auf seine Umgebung konzentrieren und Land und Leute kennenlernen. Hin und wieder eine Nacht an einem Bahnhof zu verbringen, gehöre dazu.
Vor etwa drei Jahren hatte Höller dann so viele Lost Grounds zusammen, dass ihm die Idee gekommen sei, ein Buch darüber zu schreiben. Nach langer Suche nach einem Verlag kontaktierte ihn Meyer & Meyer und vor etwas mehr als zwei Wochen ist sein Buch mit dem Titel „Ein Stadion geht – die Legende bleibt: Meine Reisen zu den Lost Grounds Europas“ dann erschienen. Es umfasst 125 Geschichten über Lost Grounds, manche davon seien schön, andere lustig und wieder andere traurig.
Im Buch finden sich viele berührende Geschichten
Und welche ist seine liebste Geschichte? „Schwierig“, sagt Höller und denkt einen Moment lang nach. Eine, die ihn besonders gerührt habe, habe sich im schottischen Glasgow zugetragen. Dort sei er auf das verlassene Shawfield Stadium gestoßen. Von 1898 bis 1986 habe der Verein Clyde F. C. in dem Stadion gespielt, zunächst in der ersten Liga, später in der Unterliga. Bis heute sei das Stadion für Fans ein Stück Heimat.
Kurz vor seinem Besuch sei nämlich eine Gruppe ehemaliger Spieler des Clyde F.C. dort gewesen, weil ein Junge 1957 im Stadion gestorben war. „Eine Mauer war nicht mehr stabil und ist zusammengebrochen. Dadurch wurde er tödlich verletzt. Die Fans sind zum Todestag im Stadion gewesen und haben die Flagge des Clyde F.C. an der Stelle, wo das Unglück passiert ist, aufgehängt“, berichtet der vierfache Familienvater.
Das nächste Ziel könnte Belgien sein
Seine Leidenschaft ist Höller deutlich anzuhören: „Diese Orte kann man nicht künstlich erschaffen. Sie haben eine Tradition und man kann dort alle möglichen Relikte finden. Es müssen ganz bestimmte Bedingungen erfüllt sein, damit solche Plätze entstehen.“ Zum Beispiel, dass das Stadion nicht abgerissen wird. Zum Teil sei die Nostalgie, die er an den Orten empfinde, der Grund für das Geschichtensammeln. „Wenn die Plätze weg sind, sind sie weg.“
Ein anderes Hobby verfolge er nicht. Er konzentriere sich lieber auf eine Sache. Wenn ihm das Sammeln irgendwann keinen Spaß mehr mache, werde er aufhören. Seine Suche nach Lost Grounds setzt Höller fort. Mittlerweile findet er allerdings nicht mehr so viele, schließlich hat er schon einige abgeklappert. Vielleicht gehe er noch nach Belgien, meint er. Dort habe er schon ein Stadion ins Auge gefasst. Wenn er genügen Lost Grounds besichtigt habe, könne er sich vorstellen, ein weiteres Buch zu schreiben.