Bundestagsabgeordneter Tebroke im Interview„Wir brauchen einen Neustart“

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Rhein-Bergs direkt gewählter Abgeordneter im Deutschen Bundestag: Dr. Hermann-Josef Tebroke (CDU)

Rhein-Bergs direkt gewählter Abgeordneter im Deutschen Bundestag: Dr. Hermann-Josef Tebroke (CDU)

  • Dr. Hermann-Josef Tebroke bewirbt sich beim Kreisparteitag erneut um die Kandidatur als Direktkandidat der CDU für die Bundestagswahl im September.
  • Im Interview spricht er mit uns unter anderem über die Politik in der Corona-Pandemie.
  • Tebroke erklärt, warum man aus seiner Sicht die Krise auch als Chance nutzen sollte.

Rhein-Berg – Seit 2017 ist der frühere Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises, Dr. Hermann-Josef Tebroke, Mitglied des Deutschen Bundestags. Am Samstag bewirbt er sich – vorgeschlagen vom Kreisvorstand seiner Partei – beim Kreisparteitag erneut um die Kandidatur als Direktkandidat der CDU für die Bundestagswahl im September. Mit dem 57-jährigen Betriebswirt, früheren Hochschulprofessor und Politiker hat Guido Wagner gesprochen.  Sie waren an der Verabschiedung der Bundesnotbremse beteiligt, in deren Folge nun die Inzidenz-Werte tatsächlich wieder sinken. Ein Erfolg? Dr. Hermann-Josef Tebroke: Ich hätte mir gewünscht, dass wir die Bundes-Notbremse nicht gebraucht hätten. Auch dass sie derart viele Details regelt, widerstrebt mir. Ich halte das für keine gute Entwicklung.

Keine gute Entwicklung, dass das Parlament nicht stärker in der Pandemiebekämpfung eingebunden ist?

Nein, wir waren die ganze Zeit mehr eingebunden, als es in der Öffentlichkeit vielleicht den Anschein hatte. Wir haben wirklich viele Debatten geführt. Nein, ich hätte mir – im Sinne des Subsidiaritätsprinzips – gewünscht, dass es ohne Bundes-Notbremse funktioniert hätte.

Dafür hätten sich die Ministerpräsidenten an die gemeinsamen Beschlüsse der Ministerpräsidenten-Kanzlerin-Konferenz halten müssen.

Eben! Ich nehme den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten ab, dass sie das Beste für alle wollten und um den Ernst der Lage wussten. Aber dann ging einer nach dem anderen raus und hielt sich nicht an gemeinsam gefasste Beschlüsse. Und so wurden zum Beispiel Lockerungen – wie Anfang März gemeinsam beschlossen – nicht wieder zurückgenommen, als die Inzidenz stieg. Dieses widersprüchliche Verhalten hat die Menschen vor Ort verunsichert. Das geht in einer solchen Krise nicht. Am Ende hat niemand die Verantwortung auch wirklich getragen.

Außer Frau Merkel nach dem unglücklichen Versuch, kurzfristig eine „Osterruhe“ umzusetzen.

Ja, aber ihr „Ich übernehme die Verantwortung“ war doch eine Klatsche für alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, die sich nicht auch dazu bekannt haben. Schließlich ist diese unglückliche Lösung doch in der MPK von allen mitgetragen. Und am Ende blieb als Notlösung nur noch eine schnelle Bundesregelung, für die man in den Ländern keine Verantwortung mehr übernehmen musste.

Was sollte Politik daraus für künftige Krisenbewältigung lernen? Weniger Föderalismus, mehr Zentralstaat?

Das wünschen sich vielleicht einige, das ist aber nicht das, was wir daraus wirklich lernen können. Vielmehr wäre es gut zu erkennen, dass wir uns – zumal in Krisen – über die verschiedenen Ebenen hinweg besser und ergebnisoffener austauschen, dass wir schneller entscheiden und – im Sinne eines abgestimmten Vorgehens – auch Kompromisse machen. Und wir müssen einander zutrauen und abverlangen, gegebenenfalls auch unpopuläre Maßnahmen zu entscheiden und diese dann auch umzusetzen.

Das hat ja schon auf Kreisebene nicht funktioniert. Da haben Landrat und Bürgermeister im Schulterschluss noch vor Inkrafttreten die drohende Landesnotbremse mit einer eigenen Allgemeinverfügung ausgehebelt, damit Geschäfte länger offengehalten werden konnten . . .

Dazu möchte ich mich jetzt nicht äußern. Wichtig ist generell, dass wir weniger Regeln brauchen, die aber dann klar das Ziel erkennen lassen, zu dem sie führen sollen. Das müssen wir besser erklären. Nur so kann es gelingen, die Menschen auf Dauer mitzunehmen. In einer Krise und komplexen Lage kommt es auf Vertrauen in die Politik an – noch mehr als sonst.

Und da richtet eine Masken-Affäre wie die bei der Union natürlich umso größeren Schaden an.

Dass da zwei ehemalige Fraktionskollegen in einer Notsituation Geld kassiert haben, ist unentschuldbar, schäbig, und es begründet oder verstärkt sicher weiteres Misstrauen.

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Will auch im September 2021 wieder für den Bundestag kandidieren: Dr. Hermann-Josef Tebroke.

Derzeit scheint es, als versuchten einige Politiker, die Motivation der Menschen durch die Debatte aufrecht zu erhalten, was für Geimpfte schon bald wieder möglich sein soll . . .

Wir brauchen eine Phase des Aufräumens und des Neustarts, die allerdings viel weiter gehen muss als die Rechte und Möglichkeiten aus der Zeit vor der Pandemie wiederherzustellen. Wir brauchen einen regelrechten Transformationsprozess für eine langfristige Perspektive.

Sie sind selbst im Finanzausschuss des Bundestags, der sich mit Perspektiven für die in Not Geratenen, mit den finanziellen Hilfsprogrammen befasst hat. Die aber haben nicht nur für Jubel bei den Betroffenen gesorgt – weil viele Hilfen nur schwer zu bekommen waren oder erst sehr verspätet ausgezahlt wurden . . .

Es gab in der Corona-Krise – vielleicht zu hohe – Erwartungen an die Politik, die nicht oder nur unzureichend erfüllt wurden. Dabei vergisst man aber, dass vielleicht 80 Prozent funktioniert hat und nur 20 Prozent nicht. Aber an diesen 20 Prozent müssen wir arbeiten. Da müssen wir besser werden. Wir müssen uns intensiver mit Fehlerkultur, Krisenmanagement und sicher auch mit Reformen des Föderalismus auseinandersetzen. Aber zu Ihrer konkreten Frage: Rückblickend muss man sagen, wir hätten besser weniger immer wieder neue Programme aufgelegt, als bestehende Programme im Wesentlichen fortgeschrieben. Die Vielzahl der Hilfen, die auch aus unterschiedlichen Ministerien angestoßen und immer wieder verändert wurden, haben die Verwaltungen teilweise auch überfordert. Bei der langfristigen Perspektive denke ich aber nicht nur daran, dass Betroffene die Pandemie wirtschaftlich überstehen.

Sondern?

Die Pandemie hat uns einige Probleme in unserer Gesellschaft, in unserem Leben aufgezeigt, die wir jetzt durch einen Transformationsprozess langfristig in den Griff bekommen und neu gestalten sollten. Wir sollten die Krise da als Chance und Hinweis für Reformen nutzen.

An was denken Sie zum Beispiel?

Es geht beispielsweise um Gastronomie, Sport und Kultur, die durch die Schließungen besonders stark und immer noch betroffen sind. Zugleich hat die Pandemie gezeigt, wie wichtig uns diese Bereiche sind. Daher müssen wir uns jetzt Gedanken machen, wie wir sie langfristig stabilisieren können. Oder die Position des Einzelhandels: Der Lockdown hat noch mehr Umsatz hin zum Versandhandel verlagert. Wir müssen jetzt diskutieren, welche Rolle Einzelhandel künftig unter welchen Rahmenbedingungen spielen kann und soll. Und welche Bedeutung er beispielsweise auch für unsere Innenstädte hat.

Das heißt, vor der Pandemie bestehende Herausforderungen sind für Sie durch die Krise nicht in den Hintergrund getreten, sondern gerade in den Fokus?

Genau. Das betrifft auch das vor der Krise ja gerade in einer bis dahin nicht gekannten Dimension und Breite diskutierte Thema Klimaschutz. Da kann die Marktwirtschaft meines Erachtens auch deutlich mehr Lösungen beitragen, als ihr gemeinhin zugetraut wird.

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In jedem Fall sollten wir nicht versuchen, nur immer neue Regeln für die Wirtschaft aufzustellen, sondern viel mehr Raum geben für Innovationen, die Dringlichkeit des Themas deutlich machen und motivieren. Nur wenn wir ein Bewusstsein auch für die ökonomischen Risiken des Klimawandels schaffen, wird es uns gelingen, dagegen anzugehen – insbesondere mit dem marktwirtschaftlichen Instrumentarium. Zurzeit bleibt einfach zu viel Kreativität auf der Strecke. Wir brauchen mehr Lust am Neuen – die Lust, einen Beitrag zur Lösung dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung zu leisten. Je mehr wir dafür begeistern können, umso besser.

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