Momente des FußballsDurch drei Instanzen vor den Spruchkammern

Wolfgang Waldheim ist bereits seit etlichen Jahrzehnten Vorsitzender des TuS Lindlar, auch bereits zu der Spielzeit, als die eigene Reserve dem SV Frielingsdorf II unterlegen war.
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Lindlar – Der Autor ist langjähriger Beobachter des Fußballs im Kreis. Seine Serie schildert in 30 Folgen besondere, emotionale oder kuriose Momente aus lokalen Fußballspielen der letzten 15 bis 25 Jahre.
Alles begann damit, dass der TuS Lindlar im Mai 2005 ein paar Spielberichte des SV Frielingsdorf anforderte. Zu diesem Zeitpunkt noch kaum zu erahnen: Dies sollte der erste Schritt eines Tanzes sein, den die beiden Gemeinderivalen vor insgesamt drei Instanzen im Fußball-Verband Mittelrhein vollführen würden.
Hintergrund war ein Spiel zwischen den beiden Reserveteams der Vereine in der Kreisliga B. Der Aufstiegskandidat TuS Lindlar II hatte überraschend gegen das Kellerkind SV Frielingsdorf II mit 0:2 verloren. Nun gut, die Gäste waren mit Michael Henke und René Blumberg aus der 1. Mannschaft etwas verstärkt. Aber hatten die beiden überhaupt eingesetzt werden dürfen?
Fragliche Schutzfrist für Stammspieler
In der Westdeutschen Fußballszene galt seinerzeit die grobe Regel, dass Stammspieler der oberen Mannschaft zehn Tage pausieren müssen, ehe sie in einer unteren Mannschaft mitmischen dürfen. Also wagte der TuS Lindlar einen Blick in die Spielberichte und ermittelte: Henke und Blumberg hatten am 24. April letztmals für die 1. Mannschaft des SV Frielingsdorf gespielt, am 27. April dann erstmals für das Reserveteam und am 1. Mai erneut für die Zweitvertretung – eben gegen den TuS Lindlar II.
Das waren nur sechs Tage Pause, keine zehn. Nun ja, meinte man beim SVF. Am 27. April habe man sich tatsächlich vertan, da hätten Henke/Blumberg nicht spielen dürfen. Sei’s drum: Dieses Spiel gegen den SSV Bergneustadt II wurde ohnehin mit 2:3 verloren gegangen, und so hatte der Gegner nicht einmal Einspruch eingelegt.
Den Einsatz des Duos gegen den TuS Lindlar II fand der SV Frielingsdorf jedoch korrekt. Zur Zehn-Tages-Pause, offiziell wurde diese Schutzfrist genannt, heiße es in der Spielordnung weiter: „Findet innerhalb dieser zehn Tage mehr als ein Punktspiel der unteren Mannschaft statt, so gilt die Schutzfrist nach der Durchführung des ersten Spiels als beendet.“ Schön und gut, entgegnete der TuS Lindlar, und legte Einspruch ein. Die Schutzfrist ende aber nicht alleine durch das Stattfinden einer Partie der unteren Mannschaft. Sie ende nur dann, wenn die betroffenen Spieler in der fraglichen Begegnung auch tatsächlich aussetzen. Das hatten Blumberg und Henke aber nicht getan. Ergo bliebe es bei der Zehn-Tages-Frist, und folglich sei der Einsatz des Duos gegen den TuS Lindlar II irregulär gewesen. Das klang irgendwie nicht ganz unschlüssig.
Hin und Her des SV Frielingsdorf in der Tabelle
So folgte die Kreisspruchkammer in ihrer Sitzung am 27. Mai der Sichtweise des TuS Lindlar und sprach ihm aus der eigentlich verlorenen Begegnung eine 2:0-Wertung zu. Das war zwei Tage vor dem letzten Spieltag der Saison, vor welchem sich plötzlich ein völlig verändertes Tabellenbild ergab: Der TuS Lindlar II war nun Zweiter statt Dritter und dürfte an den Aufstiegsspielen teilnehmen. Der SV Frielingsdorf II indes fiel von Platz 13 auf 15 und hätte absteigen müssen.
Tat er aber noch lange nicht. Denn nun legte wiederum der SV Frielingsdorf Einspruch ein. In der Spielordnung stehe, die Schutzfrist ende mit dem ersten Spiel der unteren Mannschaft, basta. Hier einen Zusammenhang zum Aussetzen der Spieler herauszulesen, sei ein wenig zu viel der Interpretation. Und tatsächlich: Die Bezirksspruchkammer, die den Fall in zweiter Instanz verhandelte, hielt es mit dem SV Frielingsdorf. Deshalb hob sie das Urteil der Kreisspruchkammer wieder auf und wertete die Begegnung wie ausgetragen, also 2:0 für den SV Frielingsdorf.
Für das Tabellenbild hieß es entsprechend „Kommando zurück“, mit Auswirkungen auf den Tabellenkeller.
Statt abzusteigen, durfte der SV Frielingsdorf den Klassenerhalt feiern. Dafür musste der nur scheinbar gerettete SC Vilkerath in die Abstiegsspiele und der SSV Bergneustadt II direkt absteigen – lange Gesichter bei zwei Vereinen, die am Verfahren völlig unbeteiligt waren.
Warten auf das finale Urteil beim TuS Lindlar
Doch Obacht: Das Ende der sportgerichtlichen Fahnenstange war noch nicht erreicht. Dem TuS Lindlar standen Rechtsmittel zu, und diese nahm er auch in Anspruch. Möge sich nun in dritter und letzter Instanz die Verbandsspruchkammer kümmern um diesen Paragrafen, der sich so unterschiedlich lesen lässt, wenn man ihn nur genug wendet und dreht. Der Fußballkreis Berg geriet in Handlungsnot. Schließlich war die Saison inzwischen vorbei. Es waren Entscheidungsspiele anzusetzen. Der Spielausschuss hielt sich an das aktuelle Urteil – Sieg für den SV Frielingsdorf – und nominierte den SC Vilkerath für die Abstiegsspiele. Gott bewahre vor dem Chaos, das entstehen würde, sollte die Verbandsspruchkammer das Urteil noch einmal umschmeißen.
Der Juni ging, der Juli ebenfalls. Statt Spielpläne für die bald beginnende neue Saison zu planen, mussten die Kreisfunktionäre immer noch auf das finale Urteil zur alten Saison warten. Dann stieg endlich weißer Rauch auf: Die Verbandsspruchkammer bestätigte das Urteil zugunsten des SV Frielingsdorf. Der 2:0-Sieg vom 1. Mai war nun endlich offiziell in die Saisonchronik gemeißelt und würde nie wieder in Frage gestellt.
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Der TuS Lindlar nahm die sportgerichtliche Niederlage gelassen. Er verabschiedete sich aus dem Rechtsstreit mit dem Hinweis, der zuständige Verband möge die Spielordnung bei Gelegenheit doch etwas präziser formulieren. Dann käme es künftig erst gar nicht mehr zu solchen Streitfällen. Und so geschah es auch – nicht schnell, aber bestimmt. Denn gut fünf Jahre später beschloss der Westdeutsche Fußball- und Leichtathletik-Verband (WFLV, heute WDFV) eine Änderung der Spielordnung. Nun durfte ein Spieler der höheren Mannschaft bereits nach fünf statt zehn Tagen Pause wieder in der unteren Mannschaft ran.
Und des Pudels Kern? Die strittige Zusatzregelung, wonach die Schutzfrist nach der ersten Begegnung direkt ende, die wurde ersatzlos gestrichen.