ArchäologieWelche Schätze im Tagebau Hambach verborgen liegen

Ausgrabung bis zur Sohle: Ein römischer Brunnen im Tagebau Hambach
Copyright: M. Zanjani/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege
Kerpen – Wie lebten die Menschen vor 2000 Jahren im Großraum Köln? Was bewegte sie? Woran glaubten sie? Es sind wahre Schätze, die Archäologen schon seit Jahren immer wieder beispielsweise im Braunkohletagebau Hambach ausbuddeln. Ob Schmuck, Grabbeilagen, Überbleibsel von Gebäuden oder einfach nur Alltagsgeschirr: Die spektakulären Funde machen Geschichte erlebbar und erklären das Leben in der Region in den ersten Jahrhunderten nach Christus.
Sextus Gesatius war aufgeregt, ja nervös wie lange nicht mehr. Er diente seit mehr als 20 Jahren als vilicus des Guthofs an der Straße von der Colonia Claudia Ara Agrippinensium nach Juliacum. Vor zwei Wochen war ihm die Nachricht überbracht worden, dass der Patron gestorben sei, kurz darauf kündigte der Erbe, der neue Gutsherr, sein Kommen an.
Quintus Vettius Severus, so lautete sein Name, war der Adoptivsohn des alten Besitzers, und – so hatte man Sextus überbracht – er sollte ein überaus junger, überaus eitler und arroganter Mann sein. Sextus hatte daher alle Angehörigen der familia zusammengerufen, Freie wie Sklaven - Feldarbeiter, Hirten, aber auch die Mägde und die beiden Köchinnen. Er hatte dem Gesinde mitgeteilt, dass der neue Herr aus der nahe gelegenen Kolonie „Colonia Claudia Ara Agrippinensium“ (CCAA), aus der sich später die heutige Stadt Köln entwickelt hat, in den nächsten Tagen zum Gutshof komme. Die Zimmer des Herrenhauses sollten deshalb aufs sorgfältigste gereinigt werden, auch die Bäder sollten gesäubert werden, die Ställe ausgemistet, der Weinkeller aufgeräumt, die Küche geputzt, der Rasen gemäht, die Wege gereinigt werden.
Die Knechte hatte Sextus beim „Worfeln“ angetroffen - „geworfelt“ wurde gewöhnlich an windigen Tagen im Freien; dabei schmissen die Männer die Ähren mit Hilfe geflochtener Getreideworfel, flacher Korbschalen, in die Luft, damit der Wind „die Spreu vom Weizen trennen“ konnte. Die schweren Körner, die herunterfielen, schaufelte man in Behälter, die Spreu wird als Futter verwendet.
Architektonische Sensationen im Tagebau Hambach
Bereits im Jahr 1926 gab es erste Hinweise auf eine römische Siedlung südlich der Ortslage Niederzier-Steinstraß (Kreis Düren), die an der alten Fernstraße Köln-Jülich, im Bereich der Flur „Gewährhau“, lag. Doch erst in den Jahren 1985/86, als der Braunkohlentagebau Hambach sich diesem Ortsbereich näherte, wurde an dieser Stelle ein antiker Wohn- und Hofplatz, eine villa rustica, auf einem Grabungsareal von über sieben Hektar freigelegt.
Der von Hecken und Zäunen umgebene Gutshof, dessen wissenschaftliche Kennziffer „Hambach 59“ lautet, nahm einen Platz von etwa 1,5 Hektar ein. Auf dem Gelände, das vom Ende des 1. bis ins 3. Jahrhundert kontinuierlich besiedelt war, wurden die Grundrisse von insgesamt neun Gebäuden entdeckt.
Geschichte wieder lebendig gemacht
„Wenn Geschichte„Grabbeilagen, Opfergaben oder einfach nur Geschirr oder Bronzekannen: Diese von uns gefundenen Dinge sind es, die das Leben vor 2000 Jahren wieder erlebbar machen“, erklärt Ausgrabungsleiter Robin Peters vom Amt für Bodendenkmalpflege NRW.
Literatur

Das Buch des Kölner Historikers Carl Dietmar
Copyright: Carl Dietmar
„Eine plastische und zutreffende Beschreibung“, sagt Ausgrabungsleiter Robin Peters vom rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege. Das Buch von Carl Dietmar, Hrsg., Schatzkammer rheinisches Braunkohlenrevier: Geschichten aus der Vergangenheit (Mainz: von Zabern, 2010).
Er und sein Team forschen derzeit im Raum Kerpen-Manheim. Nur etwa zehn Kilometer südöstlich vom Gutshof in Niederzier. Dessen Geschichte und Geschichten hat der Historiker Carl Dietmar in seinem Buch „Schatzkammer rheinisches Braunkohlerevier“, auf das sich auch dieser Artikel vielfach bezieht, plastisch rekonstruiert.
50 Menschen lebten auf einem Gutshof
Schon vor der römischen Eroberung Galliens war die Landwirtschaft der wichtigste Sektor der Wirtschaft am Rhein. Die Lössgebiete westlich von Köln waren bereits im späten 1. Jahrhundert nach Christus relativ dicht bewohnt. Das gesamte Territorium scheint damals vermessen, parzelliert und an Siedler verteilt worden zu sein – darauf deutet vor allem hin, dass die Höfe in regelmäßigen Abständen angelegt worden sind und im allgemeinen eine Größe von 50 Hektar an bewirtschaftetem Land aufwiesen. Man schätzt, dass auf den Gutshöfen durchschnittlich etwa 50 Menschen lebten. In den landwirtschaftlichen Schriften des römischen Autors Columella (1. Jahrhundert n. Chr.) heißt es, für die Bestellung von 200 iugera (50 Hektar) seien zwei Ochsengespanne und acht Feldarbeiter erforderlich, für intensiven Obstanbau setzte Columella drei weitere Landarbeiter an.

Beigaben aus einem Kindergrab, darunter ein Amulettröllchen, aus Erkelenz-Lützerath, 1. Hälfte 4. Jahrhundert
Copyright: J. Vogel/LVR-LandesMuseum Bonn
Besitzer der villae rusticae waren neben Veteranen, die nach ihrer Dienstzeit mit Landgütern ausgestattet worden sind, auch vornehme Kölner Bürger, die selbstverständlich ihren Wohnsitz in der CCAA hatten und ihre Güter entweder verpachteten oder durch Verwalter bewirtschaften ließen.
Fußbodenheizung und Gemälde an den Wänden
„Da – das wird er sein!“ Sextus Gesatius hielt eine Hand vor die Augen, um nicht vom gleißenden Sonnenlicht geblendet zu werden. Es war später Vormittag an einem wunderschönen, warmen Frühherbsttag. Auf dem Feldweg, der zur Straße führte, bemerkte er einen einzelnen Reiter, der sich in leichtem Trab dem Eingangstor des Guthofs näherte.
Der vilicus war überrascht – er hatte erwartet, dass der neue Herr per Reisewagen und mit Gefolge erscheinen werde. Der Reiter, ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, der einen einfachen weißen Umhang über seiner Tunika trug, hatte inzwischen den Hof erreicht. Ehe er vom Pferd sprang, grüßte er mit einer weitausholenden Armbewegung das Gesinde, das – mit einigen Ausnahmen – angetreten war, den neuen pater familias zu begrüßen.
„Herr, ich bin dein Verwalter“ – Sextus verbeugte sich tief, er ließ sich das Zaumzeug reichen und übergab das Pferd einem der Knaben, die das Vieh hüteten – „sei willkommen auf deinem Besitz!“ Er winkte einen Sklaven heran, der in einer Schüssel Brot, Käse, gekochte Eier und Obst darreichte.
„Das ist also mein Haus“, sagte Quintus. Er blickte zum Herrenhaus – „eine eher bescheidene villa.“ „Herr, der erste Eindruck täuscht, wenn du das Innere besichtigst, wirst du bemerken, dass es ein Haus ist, das dir viel Bequemlichkeit und Komfort bieten wird, der Wohnraum hat eine Fußbodenheizung, er ist mit Mosaiken geschmückt und die Wände sind mit Malereien verziert.“
Datierung mit Hilfe von Keramiken
Vor allem Keramiken hätten in der Römerzeit „einem relativ schnellen Wechsel der Moden“ unterlegen, erläutert Robin Peters. „Etwa die Form und Art der Gefäße ist da entscheidend, die Herstellung und die Verzierungen. Einzelne Scherben können wir oft schon auf 50 bis 100 Jahre genau datieren.“ Der Ausgrabungsleiter deutet auf ein kleines, graues Gebilde. Das schmale Exponat, das unscheinbar neben großen Zinskrügen, Keramikschüsseln und einem römischem Tischservice aus damaliger Zeit liegt, sieht auf den ersten Blick aus wie ein vertrocknetes Stück Holz.
Zauberformeln als Wegweiser in Jenseits
„Das ist ein Amulettröllchen aus Zinn, das mit Zauberformeln und magische Zeichen beschriftet wurde“, erklärt Peters den spektakulären Fund, der auch mit Hilfe der Keramiken auf die erste Hälfte des vierten Jahrhunderts nach Christus datiert wurde. Das Kunstwerk wurde in einem Kindergrab entdeckt: „Die Verstorbenen haben so etwas um den Hals getragen. Als Glücksbringer, als Wegweiser ins Jenseits.“
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Einer der vielen Funde, die von Archäologen des Landschaftsverbandes in den vergangenen Monaten gemacht wurden. In Zülpich beispielsweise wurden in römischen Gräbern des 2. bis zum frühen 4. Jahrhundert unter anderem intakte Gläser und eine Öllampe gefunden. In der Bonner Altstadt wurden bei Aushubarbeiten in einem römischen Erdkeller 15 Amphoren entdeckt. In diesen antiken Einweg-Behältnissen, die vom 1. bis ins 3. Jahrhundert in der römischen Provinz Baetice (Spanien) hergestellt wurden, transportierte man Wein, Defructum (Obstmost), eingelegte Oliven, Öl und Garum (Fischsauce).

Bauopfer in einem römischen Landgut aus Kerpen-Manheim (Rhein-Erft-Kreis), 1. Hälfte 1. Jahrhundert nach Christus
Copyright: J. Vogel/LVR-LandesMuseum Bonn
Und in Kerpen-Manheim wiederum wurde letztlich „ein zusammengebackener Block aus Erde und Metallen“ gefunden, erzählt Chefausgräber Peters. Erst bei der Restauration im Landesmuseum Bonn seien ein S-förmiger Schlüssel, sowie acht „Fibeln“ zum Vorschein gekommen, metallene Verschlüsse für die römischen Gewänder. „Sowohl aufgrund der Datierung in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts nach Christi, also den Beginn der Besiedlung, als auch aufgrund der kompakten Deponierung in einer Grube dürfte es sich um ein initiales Bauopfer handeln“, so Peters.
„Ihr sollt alle in meinem Dienste bleiben“
„Sextus - das ist doch dein Name?“, rief Quintus Vettius Severus. Von seinem Vater wisse er, „dass die hiesige Landwirtschaft gut geführt ist, dass hier fleißige und ehrliche Leute die Arbeit verrichten, dass der Ertrag des Landgutes immer zufriedenstellend war.“ Nun war es an Sextus Gesatius, seine Überraschung zu verbergen. Dieser junge Mann, der neue Patron, verhielt sich äußerst umgänglich und liebenswürdig
Quintus zeigte auf die große Säule des Jupiter, die vor dem Hofbrunnen stand. „Möge der Segen des Gottes alle, die hier leben, schützen. Und ihr sollt eines wissen: Es war der Wunsch meines Vaters, dass ihr alle in meinem Dienst verbleiben sollt, es wird sich hier nichts ändern.“ Für das Landleben sei er noch zu jung, ergänzte der Patron. „Die Stadt bietet mir nun mal alles, was meine Neugier befriedigt, gesellschaftlichen, ja literarischen Umgang, Theater und Arena, politische und ökonomische Kontakte. Wo finde ich das alles hier?“
Tag der Archäologie am Samstag von 10 bis 18 Uhr
Beim Tag der offenen Tür in der Bodendenkmalpflegestelle Titz kann das jüngere Publikum bei einer Mitmach-Grabung selbst archäologisch „arbeiten“. Kinder und Jugendliche dürfen auch töpfern oder selbstständig Leder prägen. Auf dem gesamten Freigelände der Außenstelle sind Römer- und Germanen-Darsteller*innen unterwegs. Bei handwerklichen Vorführungen wird gezeigt, wie in römischer Zeit Glasperlen in einem Ofen und wie im Mittelalter Keramikgefäße hergestellt wurden. Zudem besteht die Möglichkeit, eine Ausgrabung im Vorfeld des Tagebaus Hambach zu besuchen
Adresse: LVR-Amt für Bodendenkmalpflege Außenstelle TitzEhrenstr. 14-1652445 Titz-Höllen
Zwei Tage blieb der „Hauptstädter“. Dann reiste er wieder ab und wurde viele Jahre, in denen der Gutshof gute Gewinnen abwarf, nicht mehr in der Provinz gesehen.