Trotz „klasse Schnitzelbrötchen“In Rhein-Erft fehlen Lehrkräfte – Experte fordert „radikales Umdenken“

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Mathilde Ehlen vor der Bedburger Hauptschule.

Mathilde Ehlen ist Direktorin an der Bedburger Hauptschule. Auch hier fehlen Lehrerinnen und Lehrer.

Der Lehrermangel im Rhein-Erft-Kreis ist akut. Politikwissenschaftler Dr. Winfried Kösters fordert ein Umdenken, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Vor einigen Tagen machte die Mitteilung die Runde, dass eine Reihe von Schulen im Rhein-Erft-Kreis erheblich unter Lehrermangel leiden. Die Redaktion machte sich deshalb auf Ursachensuche. Das Ergebnis ist niederschmetternd: Wahrscheinlich wird alles noch viel schlimmer. Das sagt der Bergheimer Politikwissenschaftler Dr. Winfried Kösters. Er fordert ein „radikales Umdenken“, sonst bekomme die Gesellschaft das Lehrerproblem nicht in den Griff – und nicht nur dieses Problem.

Kösters ist Demografieexperte, schreibt Beiträge und hält Vorträge über gesellschaftliche Entwicklungen in ganz Deutschland. Die Hauptursache für den Lehrermangel sieht Kösters darin: „2031 gehen über 1,36 Millionen Menschen aus dem letzten Babyboomerjahr 1964 in Rente. Im selben Jahr kommt aber mit 682.000 nur die Hälfte an jungen Menschen auf den Arbeitsmarkt. Wir kriegen Schwierigkeiten in allen Bereichen.“

Wir müssen lernen, in Talenten zu denken statt in Abschlusszeugnissen
Winfried Kösters, Demografieexperte

Für Mathilde Ehlen ist das nichts Neues. Die Leiterin der Arnold-von-Harff-Hauptschule in Bedburg ging im Vorjahr auf Suche nach neuen Lehrkräften. Nachdem sie zuvor die Stellen erfolgreich für Seiteneinsteiger geöffnet hatte, wollte sie in der zweiten Runde ausgebildete Hauptschullehrer, sogenannte „Erfüller“, finden, denn: „Die Seiteneinsteiger müssen jeden Donnerstag zur Weiterbildung. Wenn wir zu viele davon haben, bekommen wir Probleme.“ Doch die Stellen wurden nicht besetzt.

Viele angehende Lehrer kommen aus Köln und wollen nicht so weit fahren, hat Ehlen erfahren: „In anderen Bewerbungsrunden rufe ich die Erfüller an. Dabei höre ich, dass Bedburg etwas weit ab vom Schuss liege und mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen sei.“ Für Kösters ist das Schicksal der Schule ein Beispiel für einen problematischen Trend: „Künftig könnten die Arbeitnehmer sich die Jobs aussuchen – und nicht umgekehrt. Jeder nimmt, was ihm am genehmsten ist oder am nächsten liegt.“

Lehrermangel an Arnold-von-Harff-Hauptschule in Bedburg liegt nicht an mangelnder Qualität

An der Qualität der Bedburger Schule kann die mangelnde Lehrernachfrage jedenfalls nicht liegen. Das Gebäude ist fast neu, das Kollegium relativ jung und offenbar sehr motiviert. „Wer einmal hier war, der bleibt auch“, sagt Mathilde Ehlen stolz. Viele, die in Bedburg ihr Referendariat gemacht hätten, fingen als Lehrer dort an.

Auch technisch sei die Schule in einem Topzustand, weiß Andreas Trump, Lehrer für Mathematik und Technik: „In jedem Klassenraum und bald in jedem Fachraum haben wir digitale Tafeln, interaktive Kurzbeamerlösungen, zudem Rechner für jeden Lehrer.“ Ein weiterer Schwerpunkt ist die Vorbereitung auf das Berufsleben und intensive Hilfe bei der Lehrstellensuche sowie zahlreiche Praktika durch gute Verbindungen zu den heimischen Unternehmen.

Außerdem gibt es im Bedburger Schulzentrum eine Mensa, die außer Mittagessen zwischendurch auch „klasse Schnitzelbrötchen“ serviere, so ein Lehrer. Es gibt auch eine Übermittagsbetreuung, wo die Jüngeren Hausaufgaben machen können. Gut ausgestattete Werkräume und eine Übungsküche stehen den 340 Schülerinnen und Schüler ebenfalls zur Verfügung. Die Schülerzahlen steigen gerade durch Krieg und Flucht. Lehrer Andreas Trump sagt: „Nichts ist mehr wert als ein Arbeitsplatz, wo man gerne ist. Die 45 Kilometer von Düren pendele ich gerne.“ Auch Kollegen aus Euskirchen und Wegberg sähen das so, sagt Schulleiterin Ehlen.

Winfried Kösters: „Pragmatischer an Probleme herangehen“

Demografieexperte Winfried Kösters schätzt den Einsatz der Bedburger, aber reicht er? Kösters fordert ein radikaleres Umdenken: „Dass die Menschen bald nicht mehr da sind, will nicht in die Köpfe der Politiker. Dabei sind die Zahlen seit Jahrzehnten bekannt. Wir können es uns nicht leisten, Arbeitnehmer aus anderen Ländern abzuweisen oder ihnen den Berufseinstieg schwer zu machen, indem wir ihre Abschlüsse nicht anerkennen.“

Lehrer aber kann man, anders als Pflegekräfte, schwer importieren. An der Bedburger Hauptschule sind derzeit 26 Lehrkräfte und ein Referendar beschäftigt. Dazu gibt es zwei Sozialarbeiter und eine Multiprofessionelle Kraft, die im Unterricht mitwirkt. Unterm Strich blieben aber drei Lehrerstellen und eine Sonderpädagogenstelle unbesetzt. Den größten Mangel gibt es in Mathe und Technik. Mathilde Ehlen wird im Frühjahr wieder auf Lehrersuche gehen.

Kösters ist sicher, dass Suchen allein bald nicht mehr reicht. Sehr bald müsse man viel pragmatischer an die Probleme herangehen, sonst bekomme man sie nicht mehr gelöst, fürchtet er: „Wir müssen lernen, in Talenten zu denken statt in Abschlusszeugnissen. Warum soll nicht ein Koch einen Tag pro Woche Unterricht geben? Warum nicht ein ehemaliger Dachdecker für den Technikunterricht eingestellt werden?“

Auch eine noch viel intensivere Zusammenarbeit mit der Übermittagsbetreuung sei nötig. Kösters ist sicher: „Sich mit Marketing und Bezahlung in den Branchen gegenseitig die Fachkräfte abzujagen, damit ändern wir nichts.“

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