„Tiere sind keine Seelentröster auf Zeit“Bergheimer Heim warnt vor Haustier-Boom

Lesezeit 3 Minuten
Der ungarische Terrier Lupo und einige andere Hunde und Katzen demonstrieren mit diesem Schild im Internet.

Der ungarische Terrier Lupo und einige andere Hunde und Katzen demonstrieren mit diesem Schild im Internet.

Bergheim – Während Sylvia Hemmerling telefoniert, liegt Lupo ahnungslos unter dem Tisch: Ihr 13-jähriger Bürohund, ein ungarischer Terrier, hat über Facebook 1,25 Millionen Menschen erreicht. Oder besser gesagt sein Frauchen Hemmerling, die beim Tierheim Dellbrück, zu dem organisatorisch auch das Bergheimer Tierheim gehört, für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.

Hemmerling hatte sich im Namen des Vierbeiners an die Internet-Community gewandt. In Zeiten des Lockdowns könne sich das Tierheim vor Anfragen nicht mehr retten, hatte sie ihren Lupo schildern lassen. Auf etwa das Dreifache im Vergleich zum Normalbetrieb beziffert Hemmerling die derzeitige Nachfrage, besonders nach Hunden und Katzen.

Sie kann sich darüber nicht richtig freuen, denn sie fürchtet, dass viele Tiere nach dem Lockdown, wenn die Menschen wieder weniger Zeit zu Hause verbringen werden, in die Tierheime zurückkommen werden. „Und dann hätten wir viel mehr Tiere, aber weniger Budget“, zeigt sich Hemmerling besorgt.

Rhein-Erft: Tierheim lässt sich Zeit bei der Tiervermittlung

Seit fast einem Jahr habe das Tierheim geschlossen, Termine zur Vermittlung der Tieren mache man telefonisch und über E-Mail aus. Immer häufiger müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Menschen absagen, die ein Tier haben wollen. „Es geht immer um das Wohl des Tieres, das liegt uns am Herzen“, sagt Hemmerling. Ob ein Tier einen neuen Besitzer bekommt, hänge nach Treffen und Gesprächen auch vom Bauchgefühl ab. „Wenn das Bauchgefühl bei beiden Seiten stimmt, ist alles gut.“

Bergheim_Tierheim_Hunde_Corona_(2)

Wenn sie aber jemandem absagen, führe der nächste Weg häufig ins Internet. Dabei wisse man aber nicht immer, was man kaufe, warnt sie.

Bis das Tierheim ein Tier vermittle, gebe es mehrere Treffen. „Wir lassen uns damit Zeit.“ Denn jedes Tier habe seine Biografie. Es könne etwa sein, dass Menschen mit einer bestimmten Rasse überfordert seien, das Tier dennoch haben wollten, weil sie es niedlich fänden. „Tiere sind keine Seelentröster auf Zeit, sondern anspruchsvolle Wesen, die eine lebenslange Verantwortung fordern“, macht das Tierheim bei Facebook deutlich.

Anrufer kauft sich kranken Hund im Internet

Kürzlich erst habe sie einen Anruf von jemandem bekommen, der unwissentlich auf einer Plattform im Netz einen kranken Hund gekauft habe. „Den übernehmen wir dann.“ Etwa 80 Katzen und 25 Hunde befänden sich zurzeit im Bergheimer Tierheim, berichtet Hemmerling. Pro Jahr vermittle es etwa 400 Katzen und 200 Hunde.

Bergheim_Tierheim_Hunde_Corona_(5)

Noch könne sie nicht beobachten, dass die Menschen ihre Tiere verstärkt wieder loswerden wollten. Auf Schildern haben Bewohnerinnen und Bewohner des Tierheims aber ihrer Sorge davor schon einmal prägnant Ausdruck verliehen mit dem Spruch „Freund fürs Leben, nicht für den Lockdown“.

Das Bergheimer Tierheim warnt vor Internetkäufen

„Es gibt schon einen Haustierboom in Corona-Zeiten“, sagt Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund in Bonn, dem bundesweit rund 550 Tierheime angeschlossen sind. Zwar habe sie keine konkreten Zahlen, die das belegen, sie könne aber bestätigen, dass zu vielen Tierheim-Bewohnern mehr Anfragen hereinkämen. Das habe durchaus positive Auswirkungen. „Es konnten auch schwierige Langzeitinsassen vermittelt werden“, das habe sie verschiedentlich gehört. Doch habe das Ganze auch eine Kehrseite.

Das könnte Sie auch interessieren:

Pommerening warnt ausdrücklich vor Haustierkäufen im Internet: „Der erste Gang sollte immer ins Tierheim führen“, rät sie. Wenn man einen Gefährten fürs Leben finden wolle, warteten dort viele Tiere auf ein liebevolles Zuhause. Der Tierschutzbund fordere sogar, dass der Onlinekauf von Tieren verboten wird. „Das ist ein großes Problem“, sagt Pommerening. Sie spricht von organisierten Banden, die Tiere im Netz verkaufen.

Der Haustierzucht-Verein Deutschland (HVD) erklärt auf Anfrage, dass einige Züchterinnen und Züchter wegen der höheren Nachfrage, die wegen der Corona-Umstände zu verzeichnen sei, ihre Preise erhöht hätten. Eine grundsätzliche Aussage darüber sei aber schwer zu treffen, zumal es bei Hunden und Katzen Unterschiede gebe.

KStA abonnieren