Ein „Zusammenschluss von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ wendet sich in einem Brief an die Öffentlichkeit. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus.
„Kultur der Angst im Rathaus“Erftstadts Bürgermeisterin sieht sich massiver Kritik ausgesetzt

Erftstadts Bürgermeisterin Carolin Weitzel (CDU) steht in der Kritik.
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Der Tag der Kommunalwahl rückt näher – und Bürgermeisterin Carolin Weitzel (CDU) wird über diese Misstöne vermutlich nicht erfreut sein. In einem offenen Brief wendet sich ein „Zusammenschluss von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung Erftstadt“ – so ist das Schreiben unterzeichnet – an seine 45-jährige Vorgesetzte. Sie werfen ihr Führungsschwäche, unzureichende Kommunikation und Versäumnisse bei der Personalführung vor.
In dem Schreiben ist ferner von zunehmenden strukturellen und organisatorischen Missständen in der Verwaltung die Rede. Wörtlich heißt es: „Die aktuelle Situation ist für viele Beschäftigte nicht mehr tragbar. Wir sind Ihre Angestellten, die ihre Arbeit gerne machen — wenn man sie uns unter fairen, respektvollen und tragfähigen Bedingungen ermöglicht.“
Wir möchten auch nicht mehr hören, dass die Politik schuld sei
Die Unterzeichner, die aus Sorge vor Repressalien anonym bleiben, betonen, dass sie keine weiteren Kolleginnen und Kollegen verlieren und Teil einer Verwaltung sein möchten, „die für Verlässlichkeit, Kollegialität und Bürgernähe steht. Dafür braucht es klare Veränderungen. Wir möchten auch nicht mehr hören, dass die Politik schuld sei.“ Weitzel als Bürgermeisterin sei intern die oberste Dienstherrin.
Die Liste mit den Kritikpunkten ist lang. So herrsche in der Stadtverwaltung „eine Kultur der Angst“. Viele Kolleginnen und Kollegen trauten sich nicht mehr, Missstände offen anzusprechen. „Anerkennung für gute Arbeit ist selten, während Fehler übermäßig betont werden“, heißt es. Dieses Klima sei auch ein Grund für den hohen Krankenstand – er liege deutlich über dem üblichen Maß vergleichbarer Verwaltungen.

Die CDU hat Weitzel im März erneut zur Bürgermeisterkandidatin gewählt. Es gratulierten (v.l.) der Bundestagsabgeordnete Detlef Seif, der Landtagsabgeordnete Gregor Golland, der Stadtverbandsvorsitzende Stephan D. Bremer und Wahlleiter Gerd Schiffer gratulierten.
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Erschreckend hoch sei dabei die Zahl der Langzeiterkrankungen. Die verbleibenden Mitarbeitenden müssten die Lücken auffangen, was zu einer weiteren Verschärfung der Arbeitsbelastung führe: „Die Fluktuation innerhalb lhrer Amtszeit ist so hoch wie unter keinem Bürgermeister zuvor.“
Die Verfasser des offenen Briefes bemängeln zudem eine unklare Verteilung der Aufgaben: Verantwortlichkeiten würden weitergereicht, ohne dass sich eine SteIle verbindlich für zuständig erkläre. Dies erzeuge Unsicherheit und ein Klima mangelnder Verbindlichkeit. Zudem setze Weitzel, die 2020 ins Amt gekommen war, falsche Schwerpunkte: Es entstehe „der Eindruck, dass formale Aspekte wie Gendern, Einsparungen, fehlerfreie Schriftstücke und eine perfekte Außendarstellung wichtiger sind als eine nachhaltige Personalentwicklung und die Schaffung funktionierender Strukturen“.
Weitzel zeigt sich überrascht, dass sie nicht persönlich angesprochen worden sei
Carolin Weitzel wertet den „Weg des offenen, anonymen Briefes verbunden mit dem Zeitpunkt der bevorstehenden Kommunalwahl“ als ein rein politisch motiviertes Vorgehen. In der Stadtverwaltung sei hinlänglich bekannt, dass sie die Anliegen ihrer Mitarbeitenden ernst nehme und für Gespräche in dienstlichen wie auch persönlichen Belangen stets offen sei. Dass sie von den Verfassern des Briefes nicht persönlich angesprochen worden sei, überrasche sie, sagte die Bürgermeisterin auf Anfrage dieser Redaktion. Und weiter: „Da ich ein kollegiales und von Wertschätzung geprägtes Arbeitsklima pflege, sind die Verfasser ebenso herzlich eingeladen, mit mir vertraulich über ihre Sorgen zu sprechen und intern gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.“
Dem Personalrat liegt das Schreiben ebenfalls vor. Vorsitzende Ulrike Liedemann zweifelt nicht an dessen Echtheit, handele es sich doch um Sachverhalte, auf die die Personalvertretung seit Jahren hinweise. Bewerten möchte sie den Schritt ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht – sie möchte das Gespräch mit der Bürgermeisterin suchen.
Bei den Ratsfraktionen fällt das Echo geteilt aus. Stephan D. Bremer (CDU) verurteilt den Brief als „bewusstes Wahlkampfmanöver“. Die beschriebenen Tatbestände wie der Mangel an geeignetem Personal seien nicht hausgemacht, sondern Problemstellungen, die nicht nur öffentliche Verwaltungen, sondern auch private Unternehmen träfen. Es sei Aufgabe des Personalrats, mit der Verwaltung „die Herausforderungen zum Wohle des Personals unserer Stadt zu meistern“.
Franz Holtz (FDP) zeigt sich überrascht: Seine Fraktion habe in den zurückliegenden Monaten und Jahren von den Beschäftigten keine Klagen gehört. „Darüber hinaus sollten Missstände intern geklärt werden und nicht über die Presse angeprangert werden“, teilte der Fraktionsvorsitzende mit. Er könne nur feststellen, „dass in meinen zahlreichen Kontakten mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung keinerlei Kritik zum Arbeitsklima oder Führungsverhalten geäußert wurde“. Holtz und Bremer beklagen zudem, dass ihnen der offene Brief nicht vorgelegen habe und Vertreter anderer Fraktionen Inhalte bereits in Facebook-Gruppen veröffentlicht hätten.
Mitarbeitende, die seit Jahren nicht gehört wurden, machen nun öffentlich auf eine ,Kultur der Angst‘ aufmerksam
Gemeint ist Bernd Bohlen (Aufbruch '22). Der ehemalige Erftstädter SPD-Spitzenpolitiker stellt sich vor die Beschäftigten im Rathaus. Der Druck auf sie sei unerträglich geworden, teilt er in einer Stellungnahme mit. Er werte den Brief daher als Hilfeschrei. Die geschilderten Probleme seien über die Jahre hinweg im Verborgenen geblieben, mehr und mehr seien sie dann aber auch öffentlich geworden. Er könne jeden einzelnen Vorwurf bestätigen.
Dass Weitzel und CDU/FDP so täten, als hörten sie zum ersten Mal von der Unzufriedenheit in der Rathaus-Belegschaft, könne er kaum glauben. Er habe Weitzels Führungsschwäche und ihre Respektlosigkeit gegenüber Mitarbeitenden schon in seiner Haushaltsrede im Mai 2024 kritisiert. Wenige Wochen zuvor hatte der Personalrat in der Anhörung zum Stellenplan Probleme wie den hohen Krankenstand, die Fluktuation und den Fachkräftemangel angesprochen. Die Stellungnahme ist öffentlich und im Ratsinformationssystem der Stadtverwaltung einzusehen.

Stephanie Bethmann (Grüne): „Das Schreiben verdeutliche eine über Jahre gewachsene Führungs- und Organisationskrise.“
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Die Grünen zeigen sich nicht überrascht vom Vorstoß aus der Belegschaft. Im Gegenteil: Er bestätige ihre Besorgnis, teilt die Fraktionsvorsitzende Stephanie Bethmann mit. Sie hält den Weg, einen offenen Brief zu schreiben, für konsequent: „Mitarbeitende, die seit Jahren nicht gehört wurden, machen nun öffentlich auf eine ,Kultur der Angst‘ aufmerksam.“ Ihre Fraktion habe wiederholt in den Ratsgremien eine Strategie zur Personalbindung, Senkung der Krankheitsstände und Verbesserung des Arbeitsumfelds gefordert – ohne Wirkung.
Das Schreiben verdeutliche eine über Jahre gewachsene Führungs- und Organisationskrise. Dies zeige sich auch an Vorgängen wie der gescheiterten Übernahme der Musikschule, bei der es Bürgermeisterin Weitzel nicht gelungen sei, Mitarbeitende frühzeitig und vertrauensvoll einzubinden. Bethmann fordert „dringend mehr und frühzeitige Kommunikation, klare Zuständigkeiten, ein modernes Führungsverständnis und ein vertrauensvolles Miteinander. Stattdessen erleben wir Überforderung, schlechte Delegation und mangelnde Einarbeitung“.
Dass einem irgendwann der Ruf vorauseilt und oft keine qualifizierten Bewerbungen mehr kommen, muss ich nicht betonen
Ähnlich äußert sich die SPD-Fraktionsvorsitzende Susanne Loosen: Ihre Fraktion habe Weitzel dringend gebeten, sich mit dem Personalrat über diese Themen zu beraten. Ihrer Kenntnis nach finde allerdings bis heute kein regelmäßiger Austausch statt. Sie sieht die Verwaltung in einer gefährlichen Abwärtsspirale.
Langjährige Mitarbeitende hätten frustriert die Stadt verlassen, und es gebe mittlerweile massive Probleme bei der Besetzung von Stellen: „Es gibt Neue, die ihren Dienst gar nicht erst antreten oder noch während oder kurz nach der Probezeit die Stadt wieder verlassen“, berichtet Loosen. „Dass einem irgendwann der Ruf vorauseilt und oft keine qualifizierten Bewerbungen mehr kommen, muss ich nicht betonen.“ Das sei nicht allein Weitzels Verschulden. Bis auf wenige Ausnahmen betreffe das beschriebene Verhalten weitere Führungspersonen oberhalb der Amtsleitungsebene.

Das Erftstädter Rathaus in Liblar.
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Aus der Sicht von Raymond Pieper ist Bürgermeisterin Weitzel die falsche Ansprechpartnerin. Die Vorgehensweise der mutmaßlichen Absender sei im Rahmen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverhältnis prekär, teilte der Fraktionsvorsitzende der Freien Wählergemeinschaft mit. Wenn städtische Mitarbeitende Arbeitsklima und Krankenstand kritisieren wollen, sei der Personalrat erster Adressat. Falls die Arbeitnehmervertretung die Kritikpunkte in die politischen Gremien trage, werde man sich selbstverständlich damit beschäftigen.
Nico Miller (Linke) kommt zu einer anderen Einschätzung: Er wertet das Schreiben als Hilferuf der Beschäftigten, der zu einem Weckruf für die Politik werden müsse. Weitzel sollte sich nach Ansicht des Fraktionsvorsitzenden die Frage stellen, „ob sie wirklich für den Job geeignet ist“. Sie habe in ihrer Amtszeit weder Führungsstärke bewiesen, noch zeige sie Empathie oder Nähe für die Bürger und Mitarbeiter. Die mangelnde Transparenz gegenüber der Politik sei ein weiterer Kritikpunkt, den man ihr anlasten könne.
Auch ein Brandbrief zu den Problemen der Feuerwehr
Auch andere Bereiche des städtischen Betriebs wollen sich mit den Gegebenheiten nicht abfinden. In einem Schreiben der Feuerwehr und des Rettungsdienstes, das dieser Redaktion vorliegt, werden Sorgen hinsichtlich deren Einsatzfähigkeit geäußert. Der Tenor: Personalmangel, Überstunden, hoher Krankenstand, verfallende Urlaubsansprüche, weil wichtige Dienste sonst unbesetzt bleiben würden. Regelmäßig komme es vor, dass wegen der zu kurzen Personaldecke Rettungsfahrten in Erftstadt von Feuerwehren aus den Nachbarstädten übernommen werden müssten. Die Sicherheit der Bevölkerung stehe auf dem Spiel.