„Was da abgeht, ist Wahnsinn“Diskussion über Strukturwandel im rheinischen Revier

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Der Tagebau Hambach bei Elsdorf - der Strukturwandel und die Zeit nach der Kohel waren Thema bei einer Podiumsdiskussion in Kerpen.

Kerpen – Severin von Hoensbroech betreibt rund um Schloss Türnich nachhaltige Landwirtschaft. Peter Staudt will als Geschäftsführer eines mittelständischen Start-up-Unternehmens die Wasserstofftechnologie vorantreiben. Jutta Schnütgen-Weber ist Ortsgruppenvorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz, und Birgit Peltzer kümmert sich im Grünen-Stadtverband vor allem um das Thema regionale Mobilität: Menschen mit ganz unterschiedlichen Perspektiven diskutierten am Mittwochabend auf Einladung der Grünen im Rathaus über den Strukturwandel im rheinischen Revier.

Uneffektiv und undurchsichtig

In einem Punkt allerdings war man sich bei allen Unterschieden weitgehend einig – nämlich in der Frustration darüber, wie uneffektiv und undurchsichtig die staatlichen Lenkungsstellen eben diesen Strukturwandel bislang organisieren würden. Insbesondere die Verteilungsmechanismen für die mit 14,8 Milliarden Euro gefüllten Fördertöpfe und damit auch die Arbeit der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) gerieten in die Kritik. „Was da abgeht, ist der pure Wahnsinn. Die meisten Leute, mit denen ich in diesem Zusammenhang zu tun habe, sagen inzwischen: Darauf hab“ ich echt keinen Bock mehr, ich mach“ was anderes“, beschrieb Biobauer von Hoensbroech die Gemütslage.

Wasserstoffexperte Staudt sieht das genau so: „Wir machen eine Subventionierung der Hochschulen und Forschungsinstitute. Aber dort, wo am Ende die Wertschöpfung stattfinden soll, nämlich im Mittelstand, kommt nichts an. Die Leute sind frustriert, weil sie gemerkt haben, dass die Unterstützung für die mittelständischen Unternehmen in diesem ganzen Strukturwandelprozess einfach nicht da ist.“

Viel Arbeit für die Sterne

Staudt und von Hoensbroech schilderten an Beispielen, wie schwierig, aufwendig und langwierig es allein schon sei, bei der ZRR die nötigen Sterne für eine positive Projektbewertung zu bekommen. Habe man die grundsätzliche Förderfähigkeit seiner Idee endlich bescheinigt bekommen, gehe das eigentliche Bewilligungsverfahren unter Beteiligung diverser Bezirks-, Landes- und Bundesbehörden erst richtig los.

„Am Ende wartet man zwei, drei, vier Jahre auf den Bescheid. Es gibt schon Unternehmen, die gar keine Fördermittel aus dem Strukturwandeltopf mehr haben wollen, weil sie für dieses ganze Prozedere nicht die Zeit und nicht die Ressourcen haben“, klagte Staudt. „Da haben wir es wirklich mit einem Bürokratie-Monster zu tun. Wie kann es sein, dass wir uns mit einer derartigen Zerfaserung der Prozesse dermaßen selbst im Weg stehen?“, fragte Severin von Hoensbroech.

Forderung nach Förderung

Alles andere als zufrieden ist auch Naturschützerin Jutta Schnütgen-Weber. „Wo bleiben die Konzepte für einen nachhaltigen Umgang mit Wasser und Boden? Da kommen im Zeichen des Klimawandels riesige Herausforderungen auf uns zu. Deshalb würde ich mir viel mehr Förderprojekte wünschen, die konkret darauf abzielen, unsere Landschaft klimaresilienter zu machen und einen dem sich verändernden Klima angepassten Lebensraum zu schaffen. Doch aus Sicht des Naturschutzes finde ich da bei der ZRR fast nichts.“

Etwas besser läuft es laut Birgit Pelzer in Sachen Mobilität. Es gebe zumindest schon gute und von der ZRR positiv bewertete Ideen etwa für die Nachnutzung der Kohlebahnen oder für eine neue Revier-S-Bahn. „Am Geld wird es nicht scheitern. Aber wenn man sich anschaut, wie lange in Deutschland an Eisenbahnstrecken geplant wird, kriegt man die Krise. Aus leidvoller Erfahrung mit endlosen Planungsverfahren befürchte ich, dass man für die simple Reaktivierung der alten Bahnstrecke von Kerpen-Mitte nach Horrem am Ende wohl 30 Jahre brauchen wird.“

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