Seit einigen Jahren legt das Land das Projekt „Dritte Orte“ auf. Es soll in ländlichen Gebieten einen Treffpunkt sichern und kulturelles Angebot bieten.
Ministerin Brandes zu Dritten OrtenKulturelle Angebote in Rhein-Erft, „wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen“

Ina Brandes ist Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
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Der letzten Dorfgaststätte in Stotzheim drohte der Abriss – und den Bürgerinnen und Bürgern im Hürther Stadtteil der Verlust eines lieb gewonnenen Treffpunkts und auch eines Stückes Identität. Um das Op d'r Eck zu retten, gründete sich im April 2023 ein Quartiersverein. Mit Hilfe der Stadt und des Landes entstand ein Kulturgasthaus, ein „Dritter Ort“.
Das Beispiel aus Stotzheim steht exemplarisch für das, was die Landesregierung in den vergangenen Jahren mit ihrem Programm „Dritte Orte“ bezweckt. Anlässlich des Tages der „Dritten Orte “ sprachen wir mit Ina Brandes (CDU), Ministerin für Kultur und Wissenschaft in NRW.
Frau Ministerin, was ist ein „Dritter Ort“, und welche Absicht verfolgt die Landesregierung mit dem Förderprogramm?
Der Begriff „Dritter Ort“ stammt vom Soziologen Ray Oldenburg aus den 80er Jahren. Danach gibt es einen ersten Ort, an dem wir wohnen, und einen zweiten Ort, an dem wir arbeiten. Mit dem Dritten Ort beschreibt er öffentliche Orte für Begegnung und Austausch, an dem wir Gemeinschaft erfahren und kulturelle Erlebnisse teilen können. Einen Platz, an dem es keinen Konsumzwang gibt, wo man sich zu Hause fühlen kann. Aus diesem Gedanken ist das Konzept für das Programm der Dritten Orte entstanden. Für den ländlichen Raum in Nordrhein-Westfalen heißt das: Viele Orte, an denen die Menschen früher ganz ungezwungen, ohne Verabredung zusammengekommen sind, gibt es nicht mehr.
Welche sind das?
Der leerstehende Dorfladen, die aufgegebene Eckkneipe oder die nicht mehr genutzte Kirche sind zu Narben im Ortsbild geworden. Das Dritte-Orte-Programm führt diese ungenutzten Gebäude mit Menschen zusammen, die das Potenzial erkennen, kluge Ideen haben und diese Orte mit viel Leidenschaft und ehrenamtlichem Engagement mit einem kulturellen Angebot neu beleben. Und das funktioniert sehr, sehr gut. Wir hatten in der zweiten Förderrunde noch einmal über 100 Bewerbungen. Die Qualität der Bewerbungen war so gut, dass es uns sehr schwergefallen ist zu entscheiden, wer gefördert wird.

Ina Brandes beim Redaktionsgespräch in Brühl.
Copyright: Andreas Engels
In der zweiten Förderrunde wurden 28 Projekte vorgeschlagen, 21 davon werden jetzt umgesetzt. Nach welchen Kriterien hat die Jury die Projekte bewertet?
Es gibt eine Reihe von Kriterien, etwa ein gastronomisches Angebot, gute Erreichbarkeit und eine zeitgemäße technische Ausstattung. Als Kulturministerium achten wir besonders darauf, dass es ein ansprechendes kulturelles Angebot gibt. Und ganz zentral ist für uns die Frage, ob wir überzeugt sind, dass das Team der Ehrenamtler groß und breit genug aufgestellt ist, sodass der Dritte Ort langfristig Bestand hat. Dritte Orte sind auf Dauer angelegt und nicht bis zum Ende der mindestens vierjährigen Förderung durch das Land Nordrhein-Westfalen.
Was hat Sie an den Projektvorschlägen in Hürth und Pulheim besonders überzeugt?
Das ist zunächst die Örtlichkeit. Pulheim ist ein idealtypischer Dritter Ort, weil das Konzept, das ich gerade beschrieben habe, ursprünglich für Büchereien entwickelt wurde. Sie sollten zu Orten werden, an denen man sich begegnet und ins Gespräch kommt. In Skandinavien und den Niederlanden hat das dazu geführt, das öffentliche Bibliotheken ganz neu konzipiert und zu Kulturzentren ausgebaut wurden. Was uns in Hürth und Pulheim sehr überzeugt hat, ist zudem die Breite des Angebotes und das große Engagement der Menschen im Ort für die Menschen im Ort.
Das Land hat nicht nur Geld gegeben, sondern die Initiativen durch ein Projektbüro (pro loco, d. Red.) auch beraten. Was plant die Landesregierung, um die Dritten Orte auch nach Auslaufen des Anschubprogramms nachhaltig zu einem Erfolg zu machen und eventuell noch weiterzuentwickeln?
Der Kern des Dritten Ortes sind die Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Sie halten die Gemeinschaft zusammen. Sie sind die Seele eines jeden Dritten Ortes. An vielen Orten stellen wir fest, dass das Engagement des Kernteams weiter ausstrahlt und alle gesellschaftlichen Gruppen mitnimmt – seien es Sport- und Musikvereine, Kirchengruppen oder andere private Initiativen. Der Dritte Ort profitiert dann von so viel ehrenamtlichem Engagement auch aus anderen Bereichen, dass er sich selbst trägt. Wichtig ist, dass die Dritten Orte auch für finanzielle Einnahmequellen sorgen, sei es durch Sponsoren, das gastronomische Angebot oder ein niedriges Eintrittsgeld für kulturelle Veranstaltungen. Darüber hinaus arbeiten wir an einer gemeinsamen Plattform, damit sich die Dritten Orte dauerhaft untereinander vernetzen, sich austauschen und voneinander lernen.
Apropos Finanzierung. Wie viel Geld bekommen die Dritten Orte vom Land Nordrhein-Westfalen?
Zunächst fördern wir eine einjährige Konzeptphase mit bis zu 50.000 Euro. In dieser Zeit entwickeln die Teams auf einem weißen Blatt Papier ihre Idee für einen dauerhaft funktionierenden Dritten Ort. In einem Juryverfahren wird dann entschieden, welche Projekte in die dreijährige Umsetzungsphase aufgenommen werden. Das Land fördert jeden dieser Dritten Orte mit bis zu 450.000 Euro. In beiden Phasen unterstützt das Projektbüro pro loco zum Beispiel mit Fortbildungen, Vernetzungstreffen und Antragstellungen. Da die erste Generation der Dritten Orte voll in die Pandemie und Energiekrise gelaufen ist, haben wir für diese Orte eine dreijährige Verstetigungsphase angeschlossen, in der wir uns langsam aus der Landesförderung zurückziehen. Im ersten Jahr der Verstetigung erhalten die Projekte jeweils bis zu 50.000 Euro, im zweiten bis zu 40.000 Euro und im dritten Jahr bis zu 30.000 Euro. Das Gesamtbudget für das Dritte-Orte-Programm beträgt für die Jahre 2025 bis 2028 18 Millionen Euro.
Hürth und Pulheim grenzen an die Kulturmetropole Köln. Wie passt das zu einem Kulturförderprogramm für den ländlichen Raum?
Das Landwirtschaftsministerium definiert eine Gebietskulisse, in der klar geregelt ist, wo der ländliche Raum anfängt und wo er aufhört. An diese Gebietskulisse halten wir uns. Ganz abgesehen davon gehört es zur Lebensqualität, dass es vor Ort ein kulturelles Angebot gibt, das auch ohne Auto erreichbar ist. Das ist insbesondere für Familien mit kleinen Kindern und ältere Menschen, die nicht mehr so mobil sind oder sein wollen, wichtig. Realistisch braucht man von Pulheim und Hürth mit dem Auto 30 Minuten und mehr für ein Konzertbesuch in der Kölner Innenstadt. Deshalb ist es vernünftig, den Menschen auch in der Nähe von Metropolen ein gutes kulturelles Angebot zu machen. Im ganzen Land haben wir übrigens eine gute Durchmischung von Dritten Orten, die nah an einer Großstadt liegen und Orte, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

Ina Brandes besucht am Tag der „Dritten Orte“ mehrere Kultureinrichtungen in der Region.
Copyright: Andreas Engels
Projekte wie die Kulturgaststätte in Stotzheim wecken Begehrlichkeiten auch andernorts. Überall werden Gaststätten und Säle geschlossen und fallen als Begegnungsstätten weg. Was können Landesregierung und Kommunen tun, um gegenzusteuern?
Unsere Antwort ist dieses Programm. Deswegen haben wir zu einer zweiten Förderrunde aufgerufen und haben über das ganze Land verteilt inzwischen 45 Dritten Orte. Unter den hervorragenden Bewerbungen waren viele Projekte, die es wert sind, in Zukunft weiterentwickelt zu werden.
Wie schließen Sie aus, dass es Konkurrenzsituationen zu Gastwirten gibt?
Bevor es ein Antrag in die Jury schafft, schauen sich zum Beispiel Vertreter von pro loco das Projekt vor Ort an. So können wir ausschließen, dass wir mit dem Dritten Ort der Gastronomie im direkten Umfeld Konkurrenz machen. Einige Gastwirte profitieren sogar von den Dritten Orten, weil bei ihnen das Catering für Veranstaltungen gebucht wird. Wir wollen den ländlichen Raum stärken, nicht schwächen.
Kultur ist eine freiwillige Aufgabe, die Kommunen sind allerdings klamm. Zielt das Programm auch ein bisschen darauf ab, Ersatz zu schaffen?
Tatsächlich ist die Unterstützung durch die Kommune eine der Voraussetzungen für eine Förderung. Das kann zum Beispiel finanzielle Hilfe sein oder die Bereitstellung von Räumlichkeiten. In der Regel sind wir in Gemeinden unterwegs, in denen es schon bisher nur wenig oder kein Kulturprogramm gab. Deshalb sind die Kommunen froh, dass es wieder ein kulturelles Programm vor Ort gibt, das vom bürgerlichen Engagement getragen wird.
Sind die Kommunen, in denen sich ein Dritter Ort befindet, von weiteren Bewerbungen ausgeschlossen?
Die sehr breit aufgestellte Jury aus Fachleuten, entscheidet im ersten Durchgang nur nach Qualität und nicht nach regionalen Gesichtspunkten. Ganz zum Schluss, wenn es mehr Bewerber als Plätze gibt, schauen wir, ob zwei in derselben Ortschaft oder sehr nah beieinander liegen. Das wesentliche Kriterium ist dann, dass die Projekte inhaltlich überzeugend sind. Es ist unser Anspruch, dass sie eine dauerhafte Perspektive haben. Dazu gehört auch, dass sie sich nach dem Auslaufen der Förderung selbst tragen können.
Plant das Land eine dritte Projektgeneration?
So lange ich politische Verantwortung trage, werde ich mich dafür einsetzen, dass wir das Programm fortsetzen. Es ist ein extrem nachhaltiges Projekt – auch im ökologischen Sinn, weil wir eben nicht etwas Neues bauen, wie leider so oft in Deutschland, sondern vorhandene Gebäude nutzen. Zudem ist der Bedarf an kulturellem Leben im ländlichen Raum groß genauso wie die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren. Ich habe schon sehr viele Dritte Orte besucht, und es sind jedes Mal Termine, von denen ich mit mehr Energie abfahre als ich bei der Ankunft hatte. Die Begeisterung der Menschen für ihren Dritten Ort ist ansteckend. Und man trifft immer auch diejenigen, die sich über das Angebot freuen. Eine ältere Dame sagt mir zum Beispiel: ‚Ich habe mir schon immer gewünscht, dass hier mal wieder was los ist, und jetzt kann ich mich hier wieder mit meinen Freundinnen treffen‘.
Das Programm
Mit einem bunten Nachmittag und einem musikalisch-literarischen Abend feiert der Quartiersverein den landesweiten „Tag der Dritten Orte“ am Samstag, 5. Juli, 14 bis 17 Uhr im Kulturgasthaus Op d'r Eck an der Keutenstraße 14 in Hürth-Stotzheim.
Mit dabei ist der Hürther Beststellerautor Carsten Henn, der aus seinem neuen Kinder- und Jugendbuch „Die goldene Schreibmaschine“ liest. Die Line-Dance-Gruppe unter der Leitung von Monika Rade bringt Schwung in den Saal, die Joe M. Big Band der Musikschule sorgt für beschwingte, sommerliche Töne.

Die Stadt Hürth hatte die Gaststätte Op d'r Eck mit dem Saal Rommerskirchen an der Keutenstraße in Stotzheim gekauft.
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Im gesamten Haus stellt der Hürther Fotograf KaPe Schmidt Werke aus 35 Jahren künstlerischem Schaffen vor. Außerdem gibt es Führungen durch das Haus, vom urigen Gewölbekeller bis unters frisch ausgebaute Dach. Am Infostand stellt der Quartiersverein das Projekt Kulturgasthaus vor.
Beim Abendprogramm um 19.30 Uhr präsentiert das Ensemble der Opernwerkstatt am Rhein unter dem Titel „Das Literarische Quartett: Lieblingslieder und Herzenstexte“ ein außergewöhnliches Bühnenformat. Literarische Texte, etwa aus Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“, werden mit bekannte Songs aus Pop, Rock und Musical verbunden. Das Publikum darf mitdenken und mitraten: Welcher Song passt zu welcher Szene?
Der Eintritt für das Abendprogramm kostet 18 Euro. Karten und weitere Informationen zum Kulturgasthaus gibt es im Internet. (aen)
Auch das „buk“, kurz für Buch und Kultur Stommeln, öffnet am Tag der Dritten Orte von 14 bis 18 Uhr seine Türen. Veranstaltungsort ist die Öffentliche Bücherei St. Martinus in Pulheim-Stommeln, Hauptstraße 55.

Anne Siebertz ist seit 2021 im Team der Bücherei St. Martinus. Sie ist für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Copyright: Maria Machnik
Rund um das Thema „Glück“ stehen Ausstellungen und Aktionen auf dem Programm: „Was für ein Glück!“ lautet der Titel einer Ausstellung mit Führungen. Unter „Was macht mich glücklich?“ gibt es Aktionen für Kinder und Erwachsene. Es gibt ein Glücksrad, Glückskekse und einen Basteltisch. „Das war (k)ein Glückstag!“ – Das buk blickt am Tag der Dritten Orte auch zurück.
Ministerin Ina Brandes hat für 16 Uhr ihren Besuch angesagt. Es folgt eine Podiumsdiskussion zum Thema „Was brauchen wir zum Glück?“, abschließend ab 17 Uhr Abendbrot. (eva)